Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, bei der Rabbinerordination 2018, Beth Zion Synagoge, Berlin, 9.10.2018

Sperrfrist: Dienstag, 9. Oktober 2018, 11.00 Uhr

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Anrede,

als Sie die Einladung zur Ordinationsfeier erhielten, hatten Sie vermutlich nicht damit gerechnet, Ihrem Sitznachbarn so nahe zu kommen. Ja, die Beth Zion Synagoge ist klein. Dennoch bin ich froh, dass wir an diesem besonderen Ort zusammengekommen sind, um junge Rabbiner und Kantoren von hier aus in ihre Ämter zu senden.

Dieses Gebäude ist vermutlich die letzte erhaltene Privatsynagoge Berlins. Es waren einst entweder sehr wohlhabende und fromme Familien, die sich eine private Synagoge leisteten oder ein Verein wie Beth Zion, in dem sich vor gut 100 Jahren vor allem Juden zusammengefunden hatten, die aus Polen nach Berlin gekommen waren. Sie brauchten wegen gestiegener Mitgliederzahlen ein neues Bethaus, aber die Grundstückspreise waren hoch.

So findet man in Berlin einige Synagogen und übrigens auch katholische Kirchen, die sich in den Hinterhof erstrecken oder gleich in zweiter Reihe gebaut wurden. Ob in der Pestalozzi- oder in der Rykestraße: Die Synagogen sind von der Straße aus kaum sichtbar. Ebenso wie dieses Kleinod hier, die Beth Zion Synagoge.

Wir haben uns aber nicht in erster Linie wegen der Berliner Geschichte entschieden, hier die Absolventen des Rabbinerseminars zu Berlin und des Instituts für traditionelle jüdische Liturgie Leipzig zu ordinieren. Nein, hier in der Brunnenstraße ist ein spirituelles Zentrum entstanden, in dem traditionelles Judentum gelehrt und gelebt wird.

Neben der Synagoge finden Sie hier eine Bibliothek, in der Talmud-Schüler wie einst vor 100 Jahren am Hildesheimer’schen Rabbinerseminar in unsere Schriften unterwiesen werden und über sie diskutieren. Hier fühlt sich die Gemeinde Kahal Adass Jisroel zu Hause. Und im Hof hören Sie an Werktagen helles Kinderlachen und fröhliches Geschrei von den Zöglingen des hier ansässigen jüdischen Kindergartens.

Und es ist der Standort des Rabbinerseminars zu Berlin und der Ronald S. Lauder Stiftung, die neben dem Zentralrat der Juden zu den maßgeblichen Unterstützern des Rabbinerseminars gehört. Wir sind hier also sozusagen in der studentischen Heimatsynagoge der drei jungen Rabbiner, die heute ordiniert werden.

Dieser Ort bietet vielen Menschen ein geistiges Zuhause. Sie leben hier ihr Judentum mit Freude und mit Selbstbewusstsein. Dieses spirituelle Zentrum ermöglicht eine volle Hinwendung zur Religion in einem geschützten Raum, um dadurch gestärkt hinaus in die Welt zu gehen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass wir heute wieder junge Rabbiner ordinieren. Rabbiner Kahanovsky, Rabbiner Ponomarov und Rabbiner Sajatz – Sie alle werden heute in die Welt geschickt, um entsprechend der Tora zu richten, wie es in ihren Ernennungsurkunden heißt.

Ich darf Ihnen im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland meine herzlichen Glück- und Segenswünsche aussprechen!

Erstmals ordinieren wir zugleich Absolventen des Leipziger Instituts für traditionelle jüdische Liturgie. Als Kantoren erfreuen Sie nicht nur die Besucher der Synagoge mit schönem Gesang. Nein, Ihr Gesang öffnet die Seelen und ist intensives Gebet. Auch Ihnen, lieber Herr Adler, lieber Herr Chauskin und lieber Herr Burstein, err herzlichen Glückwunsch und G’ttes Segen!

Rabbiner und Kantoren sind Menschen, die eine Gemeinde zur zweiten Heimat der Mitglieder machen können. Sie bieten Rat und Halt. Sie stärken die Identität der Gemeindemitglieder.

Dies ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Denn unsere Jüdischkeit selbstbewusst zu leben, das ist im zurückliegenden Jahr nicht einfacher geworden. Die eigene jüdische Identität zu festigen und zu bewahren – das ist eine Herausforderung.

In Deutschland gehören die Religionsfreiheit und die persönliche Freiheit zu den Grundrechten. Doch so vehement wie lange nicht muss die jüdische Gemeinschaft derzeit für diese Grundrechte kämpfen!

Freiheit bedeutet, sich bewegen zu können mit sichtbaren Zeichen des Judentums wie der Kippa oder dem Davidstern, ohne angestarrt, angepöbelt oder gar geschlagen zu werden.

Freiheit bedeutet, offen als Jude leben zu können, ohne als Kindermörder, Spekulant oder Raffzahn diffamiert zu werden.

Freiheit bedeutet, unsere Liebe zu Israel erklären zu können, ohne als Unterdrücker, Apartheids-Freund oder Aggressor abgestempelt zu werden.

Doch leider, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, stellen wir fest: Diese antisemitischen Vorurteile stecken tief in den Köpfen und verbreiten sich in einer beängstigenden Geschwindigkeit. Daher ist es angezeigt, wachsam zu sein.  Ebenso angezeigt ist es, gegen diese Judenfeindschaft aktiv zu werden. Das betrachte ich in erster Linie als Aufgabe der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft.

Deshalb ist es eine sehr positive Entwicklung, dass wir jetzt auf Bundesebene und in immer mehr Bundesländern Antisemitismus-Beauftragte haben. Das eröffnet uns im Kampf gegen Antisemitismus neue Möglichkeiten.

Doch auch die jüdische Gemeinschaft selbst hat längst diesen Kampf aufgenommen. Um jetzt nur für den Zentralrat zu sprechen: Wir haben eine Plattform geschaffen für Begegnungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Schülern. Wir arbeiten mit der Kultusministerkonferenz an einer besseren Fortbildung für Lehrer und an besseren Unterrichtsmaterialien. Wir unterstützen jedes Jahr unsere Gemeinden im November am Mitzvah Day, an dem viele Wohltätigkeitsaktionen mit nicht-jüdischen Partnern stattfinden.

Wir setzen uns für die Berufung von Militärrabbinern ein, damit jüdische Ethik auch in der Bundeswehr Einzug hält. Hier appellieren wir an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass auch die jüdische Tradition und Kultur bei der Demokratieausbildung der Soldaten eine Rolle spielt!

Wir tun dies alles, um unser Recht auf Religionsfreiheit mit Leben auszufüllen.

Wir tun dies aber auch für die Gesellschaft, ja für das Land, in dem wir leben. Denn so wie wir uns unserer Rechte bewusst sind, sind wir uns auch unserer Verantwortung bewusst.

Wer den Staat als Dienstleister für seine persönlichen Interessen betrachtet, hat nicht verstanden, was Demokratie bedeutet. Die Herrschaft des Volkes bedeutet, dass wir uns einbringen dürfen und dies auch tun sollten.

Daher werden wir, die jüdische Gemeinschaft, bei aller Wachsamkeit, die leider geboten ist, weiter aktiv mitarbeiten an einer Gesellschaft, die Unterschiede aushält und offen ist für Veränderungen.

Auch Sie als junge Rabbiner und Kantoren tragen Verantwortung und müssen sich einbringen. Ich wünsche Ihnen dafür ausreichend Kraft; Rückhalt in Ihrer Gemeinde und alles Gute!

 

 

 

 

 

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