Herausforderung und Chance – Integration der jüdischen Zuwanderer

Seit 1990 sind die jüdischen Gemeinden durch Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion enorm gewachsen

Die Integration der jüdischen Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist für den Zentralrat der Juden in Deutschland zu einer der größten Herausforderungen seit seiner Gründung 1950 und seit Ende der Deutschen Einheit geworden. Eine Fülle von Regelungen spiegelt die verschiedenen Phasen der jüdischen Zuwanderung wider.

Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion waren die dortigen Juden einem immer aggressiveren Antisemitismus ausgesetzt. Daher entschlossen sich viele von ihnen zur Auswanderung. In Deutschland wurde die Zuwanderung der Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bis zum 31. Dezember 2004 durch das Kontingentflüchtlingsgesetz geregelt. Am 1. Januar 2005 wurde es vom neuen Zuwanderungsgesetz abgelöst. Seit 1990 sind etwa 220 000 Menschen im Zuge der jüdischen Zuwanderung nach Deutschland gekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen fand den Weg in die jüdischen Gemeinden Deutschlands. Deren Mitgliedszahlen stiegen dadurch zum Teil um fast 90 Prozent.

Sprachkurse

Eine der Hauptaufgaben des Zentralrats der Juden in Deutschland ist es daher, die Gemeinden bei der Integration der jüdischen Zuwanderer zu unterstützen. Zum einen schafft der Zentralrat die Grundvoraussetzungen für die Integration, indem er zahlreiche Sprachkurse in den jüdischen Gemeinden fördert. Zum anderen sorgt der Zentralrat dafür, dass die Menschen an ihre jüdischen Wurzeln und ihren jüdischen Glauben, den sie in ihren Heimatländern jahrzehntelang nicht ausleben konnten, herangeführt werden. Mit Hilfe von geschultem Personal oder Rabbinern werden den Zuwanderern jüdische Riten und Gebräuche sowie jüdisches Wissen vermittelt. So ist es gelungen, die Zuwanderer an die jüdischen Gemeinden zu binden und sie am Gemeindeleben teilhaben zu lassen.

Erfolgsgeschichte

Zahlreiche Menschen, die Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland gekommen sind, haben inzwischen Führungsposten oder andere verantwortungsvolle Aufgaben in den Gemeinden übernommen. Die Integration der jüdischen Zuwanderer ist eine Erfolgsgeschichte, die der Zentralrat der Juden gemeinsam mit den Gemeinden in den kommenden Jahren fortschreiben möchte.

Einhergehend mit dem stetig wachsenden Antisemitismus in der Sowjetunion reisten seit 1990 mehr und mehr Juden anfangs vor allem in die DDR ein und baten bei der jüdischen Gemeinde in Ostberlin um Aufnahme und Hilfe. Am 11. Juli 1990 beschloss der Ministerrat der DDR die Gewährung der Einreise und des ständigen Aufenthalts für Juden aus der Sowjetunion. Diese Regelung wurde nicht in den Einigungsvertrag der beiden deutschen Staaten übernommen, so dass dieses ungeregelte Flüchtlingsproblem auf Bitten des damaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, an die Innenministerkonferenz verwiesen wurde. Mit Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 wurde die Aufnahme von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion dann in der bis Dezember 2004 gültigen Form geregelt.
 

Unbefristete Aufenthaltserlaubnis

Aufnahmeberechtigt waren nach diesem Verfahren alle Personen, die nach staatlichen Personenstandsurkunden selbst jüdischer Nationalität waren oder von mindestens einem jüdischen Elternteil abstammten. Es wurde entschieden, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion – ohne zahlenmäßige und zeitliche Begrenzung, aber entsprechend den Aufnahmekapazitäten der einzelnen Länder – aufgrund von Einzelfallentscheidungen in analoger (entsprechender) Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ermöglicht werde. Der Begriff „analog“ verdeutlicht dabei, dass eine eindeutige Rechtsgrundlage nicht vorhanden war. Dadurch erhielten die jüdischen Zuwanderer mit ihrer Aufnahme grundsätzlich den Status eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention, durch den sie auch Anspruch auf bestimmte Vergünstigungen (z.B. Sprachkurse, Unterbringung, Sozialhilfe) hatten. Außerdem wurde ihnen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nichtjüdische Ehegatten, minderjährige Kinder und unverheiratete volljährige Kinder, die im Haushalt des Aufnahmeberechtigten lebten, konnten zusammen mit ihm einreisen, wenn sie in den Antrag einbezogen waren. Im Rahmen dieser Aufnahmeregelung reisten bis zum 31. Dezember 2004 rund 199 000 jüdische Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik ein.

Nach vier Jahren politischer Debatte und zwei parlamentarischen Anläufen verabschiedete der Bundesrat am 9. Juli 2004 das von der von SPD und Grünen geführten Bundesregierung beschlossene Zuwanderungsgesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Für jüdische Zuwanderer wurde im neuen Gesetz zunächst der Status quo festgeschrieben, der im Aufenthaltsgesetz von 1991 bereits geregelt worden war und die Bereitschaft der Bundesregierung unterstrich, in besonders gelagerten Fällen – wie z.B. bei der Aufnahme jüdischer Immigranten – ein Daueraufenthaltsrecht zu gewähren. Die Aufenthaltsgewährung sollte auch künftig durch die Landesbehörden festgeschrieben werden. Auf der Basis einer Vorlage der Innenministerkonferenz der Länder (IMK) war der Zuzug von Juden nur noch unter strikten Voraussetzungen möglich. Die wichtigsten Eckpunkte des IMK-Vorschlags sahen vor, dass nur Personen zuwandern durften, die

  • den Nachweis erbringen konnten, dass sie von einer jüdischen Gemeinde in Deutschland aufgenommen werden,
  • über Grundkenntnisse der deutsche Sprache verfügten,
  • nachweisen konnten, dass sie nicht dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen sein werden.

Der Zentralrat der Juden kritisierte diese restriktiven Vorschriften. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily sagte daraufhin eine einvernehmliche Regelung zu.

Nach monatelangen Verhandlungen wurde eine neue Regelung beschlossen:

  • Es wird keine Altersbeschränkung geben.
  • Familien werden nicht auseinandergerissen.
  • Jüdische Zuwanderer sollen ihren Lebensunterhalt in Deutschland zwar eigenständig bestreiten können, aber es wird keine automatische Sozialklausel geben. Vielmehr soll die Sozialprognose des Antragstellers auf seiner Selbstauskunft basieren.
  • Grundkenntnisse der deutschen Sprache müssen nachgewiesen werden.
  • Der Antragsteller muss in eine jüdische Gemeinde aufgenommen werden können.
  • Künftig wird die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) für jeden Antragsteller prüfen, ob er Jude ist, denn das Ziel der begünstigten Aufnahme ist, die jüdischen Gemeinden zu stärken.

Die Anordnung des Bundesministeriums des Innern über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion vom 24. Mai 2007 sah vor, dass bei abgelaufener Aufnahmezusage eines Landes oder des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eine erneute Antragstellung ausgeschlossen ist. In der Fassung vom 22. Juli 2009 wurde diese Regelung dahingehend geändert, dass erneute Anträge zulässig sind, wenn die Antragstellung bis zum 31. Dezember 2007 erfolgte.

Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Angabe der Nationalität (Volkszugehörigkeit) der Eltern in den Geburtsurkunden in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nicht mehr verpflichtend ist und daher oft fehlt, wurde bei ab dem 1. Januar 1990 geborenen Personen der Nachweis der jüdischen Abstammung über die Großeltern zugelassen.

Vor dem Hintergrund der Kriegshandlungen in der Ostukraine wurde für Antragsteller aus Regionen, in denen der Erwerb oder die Zertifizierung der Grundkenntnisse der deutschen Sprache auf absehbare Zeit unmöglich ist, die Möglichkeit geschaffen, ohne den Nachweis der deutschen Sprachkenntnisse in die Bundesrepublik einzureisen. Dabei wird die Aufnahmezusage mit der Auflage erteilt, diesen Nachweis innerhalb von zwölf Monaten nach Einreise zu erbringen.

Nach der aktuell geltenden Fassung der Anordnung des Bundesministeriums des Innern über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ist bei abgelaufener Aufnahmezusage eines Landes oder des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einmalig eine erneute Antragstellung zulässig, und zwar

  • bei bis zum 31. Dezember 2008 abgelaufenen Aufnahmezusagen,
  • bei ab dem 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2015 abgelaufenen Aufnahmezusagen, wenn für die Nicht-Inanspruchnahme ein triftiger Grund glaubhaft gemacht werden kann.

Wurde der Aufnahmeantrag aufgrund fehlenden Nachweises der jüdischen Nationalität bzw. Abstammung abgelehnt, so besteht nun die Möglichkeit, erneut einen Antrag zu stellen, wenn die Abstammung von einem jüdischen Großelternteil nachgewiesen werden kann.

Weitere Informationen zum Thema Jüdische Zuwanderung finden Sie auf der Internetseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: http://www.bamf.de/DE/Migration/JuedischeZuwanderer/juedischezuwanderer-node.html.