Militärrabbiner in der Bundeswehr



Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, zur Eröffnung der Konferenz „Militärrabbiner in der Bundeswehr. Zwischen Tradition und Herausforderung“

Foto: Zentralrat

Anrede,

ich begrüße Sie alle heute besonders gern hier! Das liegt nicht in erster Linie an dem Ort – obwohl ich selten Gelegenheit habe, eine Veranstaltung in einer ehemaligen Kirche zu eröffnen.

Nein, es liegt am Thema. Ich freue mich sehr, dass die Debatte über Militärrabbiner in der Bundeswehr mittlerweile weite Kreise zieht. Und dass wir diese Debatte heute mit Ministerin von der Leyen und  mit hochkarätigen Fachleuten konzentriert an  drei Tagen weiterführen können, macht mich ebenfalls froh.

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie Ihre Teilnahme kurzfristig möglich machen konnten!

Uns, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, ist es wichtig, bei dieser Debatte möglichst alle mitzunehmen. Denn mit unserem Angebot, der Bundeswehr Rabbiner zur Verfügung zu stellen, wollen wir uns nicht gegen bestehende Strukturen stellen. Unser Angebot richtet sich nicht gegen die Kirchen. Es richtet sich auch nicht gegen Soldaten anderer Konfessionen oder gegen Soldaten ohne Konfession.

Nein, mit den Kirchen und mit den für die ethische und politische Bildung Verantwortlichen in der Bundeswehr wollen wir gemeinsam die Truppe stärken.

Zur Einstimmung in die Konferenz möchte ich gerne  - in aller Kürze - drei Aspekte des Themas näher beleuchten:

Zunächst erscheint es mir wichtig, wie wir auf die Bundeswehr schauen und welche Erwartungen wir an die Bundeswehr richten.

Erwarten wir eine moralisch einwandfreie Armee mit vorbildlichen Soldaten, die Deutschland im Inland und im Ausland Ehre machen? Wenn wir ehrlich sind: Ja! Doch ist dieser Anspruch realistisch?

Wenn die Bundeswehr ein Abbild unserer Gesellschaft ist – und das ist für mich die Grundthese – dann kann sie nicht nur aus vorbildlichen Soldaten bestehen. Mit dieser Erwartungshaltung überfrachten wir die Bundeswehr. Dann überfordern wir die Soldaten.

Daher kann der Anspruch meines Erachtens nur lauten: Es sollte alles getan werden, um unsere Soldaten in ihrer Gewissensbildung, in ethischen Fragen so gut wie möglich auszubilden und zu unterstützen, damit Missstände unserer Gesellschaft wenigsten nur begrenzt Einzug halten in die Bundeswehr.

Es gab allerdings in den zurückliegenden Jahren immer wieder Anlass zu fragen, ob dies gelingt. Inzwischen ist es so, dass die Frage im Raum steht, ob Rechtsextremismus in der Bundeswehr ein strukturelles Problem ist. Nach einem jüngsten Zeitungsbericht der „Frankfurter Rundschau“ untersucht der Militärische Abschirmdienst derzeit 450 Fälle mit Verdacht auf Rechtsextremismus.

Meine Damen und Herren,

bei 450 Verdachtsfällen können wir nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Entscheidend ist zudem, ob diese Soldaten mit rechtsextremen Gedankengut sich untereinander vernetzt haben. Nach den jüngsten Vorfällen in der Hessischen Polizei und immer wieder in der sächsischen Polizei muss das einkalkuliert werden.

Denn Organisationen, die eine klare Befehlsstruktur haben – und haben müssen! – sind für Rechtsextremisten attraktiv. Das kommt ihrem Denken entgegen.

Die rechtsextreme Szene in Deutschland wächst. Es finden regelmäßig rechtsextreme Konzerte statt. Es gibt eine blühende rechtsextreme Subkultur. Auch die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremen wächst. Das alles lässt sich im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes nachlesen.

Angesichts dieser Entwicklung in unserer Gesellschaft ist es nicht erstaunlich, dass auch die Bundeswehr mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen kämpft. Auch der gestiegene Einfluss der AfD dürfte sich bemerkbar machen. Junge Menschen, die sich der AfD nahe fühlen, sind empfänglich für rechtsextremes Gedankengut. Die Grenzen sind hier fließend.

Auch Antisemitismus sollte die Bundeswehr in den Blick nehmen. Denn der Antisemitismus wächst ebenfalls. In Deutschland ist die Zahl der antisemitischen Straftaten  2018 im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent gestiegen. Darunter waren 62 Gewaltdelikte. Das waren mehr als doppelt so viele wie 2017.

Das sind die offiziellen Zahlen der Polizei. Und damit nur die gemeldeten Straftaten. Auch wenn wir aufgrund der gestiegenen Aufmerksamkeit für das Thema einkalkulieren müssen, dass mehr Straftaten als antisemitisch registriert werden als früher, müssen wir leider dennoch von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Und wir müssen uns viele Vorfälle hinzudenken, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle lagen, dennoch ganz klar Judenfeindlichkeit zum Ausdruck gebracht haben.

Bestürzend fand ich zudem jüngst eine Aussage der neuen Antisemitismus-Beauftragten bei der Berliner Staatsanwaltschaft. Claudia Vanoni berichtete in der „Berliner Morgenpost“, dass von 440 Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Vorfälle nur rund 15 Prozent – 15 Prozent! – vor Gericht landeten. Denn in einem sehr großen Teil der Fälle ließ sich kein Täter ermitteln, so dass die Verfahren eingestellt werden mussten. Frau Vanoni hielt es daher für plausibel, dass viele Taten gar nicht erst angezeigt werden, weil die Betroffenen davon ausgehen, dass eine Anzeige ohnehin nichts bringt.

Es ist zudem eine Tatsache, dass antisemitische Einstellungen im politischen Spektrum von Rechts bis Links zu finden sind. Wie es der vom Bundestag eingesetzte Expertenkreis Antisemitismus festgestellt hatte, ist der Israel-bezogene Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft anzutreffen.

Auch hier gilt: Die Bundeswehr ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Daher werden sich auch unter Soldaten, und zwar aller Dienstgrade, antisemitische Einstellungen finden. Doch wie sagte gerade Bundespräsident Steinmeier sehr treffend zur Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“?

Ich zitiere: „Antisemitismus ist in jeder demokratischen Gesellschaft so etwas wie eine rote Linie. Sie muss es sein. Und diese Linie ist nicht verhandlungsfähig.“

Doch wie sensibilisieren wir Soldaten für Antisemitismus? Hier spielt meines Erachtens der lebenskundliche Unterricht eine wichtige Rolle. Auch das eigene Verhalten und festgefahrene Denkmuster können in diesem Unterricht hinterfragt werden.

Und so wie wir gerade in der Gesellschaft an neuen Meldesystemen arbeiten und darüber debattieren, wie wir antisemitische Vorfälle besser erfassen können, so sollte auch innerhalb der Bundeswehr darüber debattiert werden.

Es ist sehr zu begrüßen, dass der MAD an einer neuen Meldepraxis arbeitet. Es stellt sich aber darüber hinaus die Frage: An wen können sich Soldaten bei Verdachtsfällen oder handfesten Vorfällen wenden? Gibt es auch eine Anlaufstelle, wenn es sich um Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze handelt? Oder wird so etwas als Bagatelle abgetan?

Hier sollten die Soldaten ermutigt werden, auch sozusagen kleine rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle an ihre Vorgesetzten weiterzugeben. Sie dürfen dann nicht als Nestbeschmutzer oder Kameradenschweine gelten.

Militärgeistliche können dabei eine wichtige Rolle spielen. Sie sind Vertrauenspersonen für die Soldaten. Und sie entwickeln ein feines Gespür für die Stimmung und die Lage in der Truppe.

Denn, und darauf, meine Damen und Herren, möchte ich als zweiten Aspekt Ihre Aufmerksamkeit lenken, Soldaten stehen in einer ganz besonderen Situation. Mit kaum einem anderen Beruf lässt sich das vergleichen.

Die Bundeswehr sieht Soldaten als mündige Staatsbürger. Der Ausdruck „Staatsbürger in Uniform“ ist zu einem geflügelten Wort geworden. Diese Abgrenzung zur Wehrmacht, die ihren Eid auf Hitler geschworen hatte, war fast so etwas wie eine Voraussetzung für die Gründung der Bundeswehr.

Blinder Gehorsam, kein eigenes Denken, kein Verantwortungsbewusstsein – diese Art des Soldatentums sollte es in Deutschland nie mehr geben. Die Prinzipien der „Inneren Führung“ sowie der lebenskundliche Unterricht erhielten daher einen hohen Stellenwert in unserer Armee.

Und wenn wir auf die Jahrzehnte seit 1955 zurückblicken, so ist genau dies das Erfolgsrezept der Bundeswehr geworden.

Und seitdem die Bundeswehr an Auslandseinsätzen teilnimmt und viel stärker als vor 1993 mit Kriegs- und Krisensituationen konfrontiert ist, ist die ethische Bildung der Soldaten noch wichtiger geworden.

Denn sie befinden sich einerseits in einer Struktur, in der Befehl und Gehorsam zwingende Voraussetzung für das Funktionieren und die schnelle Reaktionsfähigkeit der Armee sind. Zugleich sollen sich die jungen Menschen ihres eigenen Verstandes bedienen und der Stimme ihres Gewissens folgen.

In philosophischen Abhandlungen lässt sich dieser Widerspruch bestimmt wunderbar auflösen.

In Masar-i-Sharif stelle ich mir das sehr viel schwieriger vor.

Gerade angesichts der existenziellen Herausforderungen, denen die Soldaten ausgesetzt sind, halte ich geistlichen Beistand, Seelsorge und Wertevermittlung für zentral, um die Bundeswehr in eine gute Zukunft zu führen.

Und diese Werte- und Ethikvermittlung können Religionsgemeinschaften im lebenskundlichen Unterricht in besonderer Weise leisten. Die Kirchen beweisen dies seit Jahrzehnten. Generell können Seelsorger Halt und Orientierung bieten. Sie stellen sicher, dass keine politisch definierte Moral vermittelt wird, sondern ein sinnvoller und notwendiger Abstand zum Staat gegeben ist. Sie zeigen den Wert eines Menschen jenseits von militärischen Erfolgen auf. Sie stellen dem Kriegshandwerk die christliche und künftig hoffentlich auch jüdische Friedensethik entgegen.

Damit, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich zum dritten Aspekt kommen: dem veränderten Verhältnis der jüdischen Gemeinschaft zur deutschen Armee.

Aus leicht nachvollziehbaren Gründen war es für Juden in den 1950er Jahren in der Regel undenkbar, in einer deutschen Uniform Soldat zu werden. Sie waren von der Wehrpflicht befreit, und nur sehr wenige meldeten sich freiwillig zur Bundeswehr. Zwar wurden auch in der jüdischen Gemeinschaft die Unterschiede zwischen Wehrmacht und Bundeswehr gesehen. Jegliche Gleichsetzung wäre ahistorisch und unzutreffend gewesen, auch wenn es personelle Kontinuitäten zwischen Wehrmacht und Bundeswehr gab. Dennoch war die Traumatisierung der jüdischen Gemeinschaft durch die Schoa so groß, dass die Entbindung von der Wehrpflicht der einzig richtige Schritt war.

Seitdem sind viele Jahrzehnte vergangen. Nicht nur neue Generationen sind herangewachsen, sondern die jüdischen Gemeinden haben sich auch in ihrer Zusammensetzung stark verändert. Nicht wenige junge Juden haben heute Großeltern, die in der Roten Armee gekämpft haben.

Auch im Selbstverständnis ist ein Wandel eingetreten. Juden sehen Deutschland als ihr Zuhause und wollen diese Gesellschaft mitgestalten. Wir wollen in diese Gesellschaft hineinwirken, so wie es das Judentum über Jahrhunderte auf deutschem Boden getan hat.

Die Bundeswehr ist Teil dieser Gesellschaft. Daher sind wir bereit, auch in und für die Armee unseren Beitrag zu leisten. Neben jüdischen Soldaten, die in der Bundeswehr dienen, möchten wir mit Militärrabbinern die jüdische Perspektive und jüdische Ethik einbringen.

100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem mehrere Militärrabbiner in der deutschen Armee im Einsatz waren, sollten wieder Rabbiner ihren Dienst bei den Soldaten aufnehmen.

Auf Grundlage eines Militärseelsorgestaatsvertrages sollten sowohl orthodoxe als auch liberale Rabbiner an der Seelsorge und am lebenskundlichen Unterricht für die Soldaten mitwirken.

Ich habe mich erst vor wenigen Tagen mit Ihnen, sehr geehrte Frau Verteidigungsministerin, darüber ausgetauscht. Es war ein sehr angenehmes und konstruktives Gespräch. Zu Details will ich mich jetzt nicht nicht äußern. Ich vermute, dass die Ministerin gleich selbst ein paar Sätze dazu sagen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Sie werden gleich noch vertieft in die Tagungsthematik eingeführt, daher möchte ich es bei diesen Gedankenanstößen belassen.

Und da ich eingangs erwähnt hatte, dass ich nicht häufig Gelegenheit habe, Veranstaltungen in ehemaligen Kirchen zu eröffnen, will ich Ihnen zum Schluss von Leo Baeck berichten. Der berühmte Rabbiner war im Ersten Weltkrieg als Militärrabbiner im Einsatz. Und weil er natürlich nicht an jedem Ort eine Synagoge vorfand, wurde er sehr erfinderisch, um G’ttesdienste für Soldaten abhalten zu können. Er hielt sie im Freien, in leer stehenden Häusern.

Und in Kirchen!

Insofern ist dieser Ort für unsere Konferenz sehr gut gewählt!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich jetzt auf das Grußwort der Ministerin!

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