Rede von Paul Spiegel



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, anlässlich der Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2002 an Iris Berben am 03.09.2002

Eigentlich treffen wir uns einmal im Jahr zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises in Berlin, am Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dass wir heute in Frankfurt am Main zusammengekommen sind, um Iris Berben zu ehren, hat einen einfachen Grund: Wir sind der Wissenschaft gewichen. Weil nämlich zur Zeit in Berlin ein großer Kardiologenkongress stattfindet und daher dort keine Hotelzimmer für unsere Gäste bereit stehen, sind wir hierher gekommen.

An dieser Stelle danke ich der Jüdischen Gemeinde Frankfurt – sowohl Vorstand wie Verwaltung -, dass wir in so kurzer Zeit diese für uns so wichtige Veranstaltung nicht nur hier durchführen können, sondern dass wir auch schnelle und in der Tat professionelle Unterstützung bei Vorbereitung und Organisation erhalten haben.

Berlin haben wir für heute also den Herzspezialisten überlassen, und wir erfüllen uns unseren Herzenswunsch in Frankfurt: In einem würdigen Rahmen – nämlich hier im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum – eine der bekanntesten, beliebtesten und charmantesten Schauspielerinnen dieses Landes mit dem höchsten Preis, den wir zu vergeben haben, auszuzeichnen und damit deutlich sichtbar zu dokumentieren, wie sehr wir Iris Berben und ihr Engagement für Gerechtigkeit und Toleranz schätzen.

Seien Sie uns alle, meine Damen und Herren, herzlichst willkommen. Somit komme ich zum schwierigsten Part meiner kurzen Rede, nämlich das glatte Parkett des Begrüßungsprotokolls zu betreten.

Zunächst möchte ich daher jene Gruppe begrüßen, die ich als besonders wichtig betrachte, nämlich diejenigen unter Ihnen, die ich gleich vergessen werde zu erwähnen. Ich rechne fest mit Ihrem Einverständnis, dass ich darauf verzichte, eine namentliche Begrüßung vorzunehmen. Deswegen erkläre ich zunächst, dass Sie alle durch Ihr Erscheinen uns nicht nur erfreuen sondern auch beehren.

Gestatten Sie mir, aber ein paar Ausnahmen zu machen, indem ich einige wenige von Ihnen – sozusagen stellvertretend für Sie alle – doch namentlich begrüße. An erster Stelle begrüße ich natürlich Wolfgang Thierse, den Präsidenten des Deutschen Bundestages, und danke ihm, dass er gleich die Laudatio auf die Leo-Baeck-Preisträgerin halten wird. Es muss nach wie vor gelten, dass demokratische Politiker nicht in Verbindung gebracht werden dürfen mit Verbrechern des Naziregimes.

Mein besonderer Gruß gilt den anwesenden Rabbinern, dem Botschafter des Staates Israel, Shimon Stein. Ich begrüße die Damen und Herren Abgeordneten des Bundes, der Länder und der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, die Repräsentanten der im Bundestag und Ländern vertretenen Parteien, die Damen und Herren Staatssekretäre, den Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhahn, ferner die Leiterin der Gauck-Behörde, Marianne Birthler, sowie die Repräsentanten der Konfessionen, der Wohlfahrtsverbände, der Justiz, der Wirtschaft, der Kunst, Kultur und Wissenschaft, der Stiftungen, Vereine und Verbände und der elektronischen sowie Printmedien.

Mein herzlicher Willkommensgruß gilt den anwesenden früheren Leo-Baeck-Preisträgern, meinen Kollegen in Präsidium und Direktorium des Zentralrats, sowie den Vorständen und Repräsentanten der jüdischen Gemeinden und Landesverbänden sowie der jüdischen und israelischen Organisationen.

Ganz besonders freue ich mich über die Anwesenheit von Ida Bubis, die ich nicht nur begrüße als Witwe meines unvergessenen Vorgängers und geliebten Freundes Ignatz Bubis seligen Angedenkens, sondern auch als frisch gebackene Großmutter eines neuen Ignatz Bubis. Ihnen, liebe Frau Bubis, und Ihrer Tochter Naomi auch von dieser Stelle eine ganz herzliches Masal tov!

Die Nichterwähnten oder Vergessenen habe ich ja bereits begrüßt! Daher nun, last but not least: Herzlichst willkommen Iris Berben, ebenso Ihr Lebensgefährte Gabriel Lewy, und Ihr Sohn Oliver. Ebenso herzlich begrüße ich Ihre anwesenden engsten Freunde, die Ihnen zu Ehren angereist sind: u. a. Jossel Buchmann sowie Johannes Mario Simmel ferner aus Düsseldorf Brigitte Eickhoff, aus Berlin Rafael Roth sowie aus Monte Carlo Otto Kern.

Zum ersten Mal erhält diese Auszeichnung von uns eine Schauspielerin. Aber Iris Berben erhält den Leo-Baeck-Preis natürlich nicht für ihre wunderbare und großartige schauspielerische Leistung. Solche Auszeichnungen haben Sie, liebe Iris Berben, bereits erhalten, und ich bin sicher, dass Sie für Ihr schauspielerisches Wirken noch recht oft und verdientermaßen derartige Preise entgegennehmen werden.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland verleiht heute zum 48. Mal den Leo-Baeck-Preis. Mit diesem Preis, der vor vielen Jahren vom Zentralrat geschaffen wurde, sollen in Erinnerung an einen außergewöhnlichen Mann, ja eine Jahrhundertgestalt, Menschen ausgezeichnet werden, die sich in herausragender Weise für die jüdische Gemeinschaft eingesetzt und sich damit um sie verdient gemacht haben.

Ohne der Laudatio von Bundestagspräsident Thierse vorgreifen zu wollen, möchte ich aber erklären, dass Sie, liebe Iris Berben, für uns, die Juden in Deutschland, und für die Menschen in Israel, die seit vielen Monaten brutalem Terror ausgesetzt sind, Sie die verlässliche Freundin, die engagierte Mitstreiterin sind in Diskussionen und Dialogen, besonders wenn es darum geht, die Rechte von Minderheiten engagiert und ohne Wenn und Aber zu verteidigen.

Schon seit vielen Jahren treten Sie mit großem Temperament und überzeugend ein für das Existenzrecht des Staates Israel in sicheren Grenzen. Kompromisslos sind Sie im Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Vorurteile. Sie mischen sich ein, wenn Engagement nötig ist, und Sie zeigen Gesicht.

Ihre Lesung aus den Tagebüchern von Anne Frank und Joseph Goebbels hat mich tief beeindruckt. Größer könnte der Gegensatz wahrlich nicht sein: Ein kleines, jüdisches Mädchen zeichnet im Versteck, das es mit seiner Familie in Amsterdam gefunden hat, sein Leben auf und beschreibt seine Angst, entdeckt, deportiert und am Ende ermordet zu werden. Bekanntlich ist dieses am Ende geschehen.

Und auf der anderen Seite der Verbrecher Joseph Goebbels, der „Reichspropagandami­nister“, der Volksverführer und Mitverantwortliche für den monströsen Mord am europäischen Judentum. Auch er hatte Angst. Aber welch ein Unterschied! Während das kleine Mädchen mit seiner Familie um sein Leben bangte, hatte Goebbels Angst, dass das deutsche Volk nicht inbrünstig genug an den „Endsieg“ der Nazis glauben könnte, dass es am Ende sein Vertrauen in das Regime der Nazis verlieren könnte.

Die Gegenüberstellung dieser Tagebücher – als Lesung auf deutschen Bühnen großartig von Michael Verhoeven inszeniert – ist in ihrer Authentizität beklemmend, aber auch bewegend – nicht zuletzt durch Ihre von großer Intensität und Sensibilität getragene künstlerische Art des Vortrags.

Liebe Iris Berben, Sie haben in einem Interview gesagt, die Nachricht von der Verleihung des Leo-Baeck-Preises habe Sie gefreut, aber auch mit Scham erfüllt, weil Sie Ihr Engagement für ein vertrauensvolles Leben von Juden und Nichtjuden für selbstverständlich halten.

Das wiederum ehrt Sie -aber auch uns. Denn wir haben in diesem Jahr eine bittere Erfahrung machen müssen. Dass an Stammtischen antisemitische Witze erzählt und Sprüche gemacht werden, das kennen wir. Dass uns Rechtsextremisten und Neonazis mit Hass verfolgen, haben wir immer wieder erfahren. Dass Antisemiten uns unverschämte Briefe mit Beleidigungen und Drohungen schicken und unsere Synagogen und Gemeindehäuser von der Polizei bewacht werden müssen, ist uns leider allzu wohl vertraut.

Dass aber ein führender deutscher Politiker einer demokratischen Partei eine Diskussion anzettelt, in deren Verlauf er dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon und meinem Stellvertreter Michel Friedman die Verantwortung für wachsenden Antisemitismus in Deutschland anlastet, hat uns tief bestürzt, ja hat uns entsetzt.

Seit Jahrhunderten kennen wir die Behauptung, dass Juden am Antisemitismus Schuld tragen. Wir hätten nicht gedacht und es auch nicht für möglich gehalten, dass solche antisemitische Klischees nach der Shoah in Deutschland wieder öffentlich salonfähig gemacht werden können. Es stimmt, dieser Politiker hat sich nach Wochen der Kampagne bei allen Juden in Deutschland entschuldigt, Michel Friedman aber hat er dabei ausgenommen. Und somit fühlen wir uns nach wie vor von ihm beleidigt. Wahrlich erstaunlich, ja unverständlich, dass eine solche Beleidigung, wie wir sie seit Ende des Holocaust nicht mehr erleiden mussten, für denjenigen, der sie wiederholt ausgesprochen hat, ohne jegliche Konsequenzen geblieben ist.

Ich wiederhole, was ich immer und immer wieder gesagt habe: Kritik an israelischer Politik ist ebenso erlaubt wie an der Politik anderer Staaten. Ich bin nur erschrocken darüber, mit welcher Ungerechtigkeit und Vehemenz sich diese angebliche Kritik bei allzu vielen Menschen in diesem Land Bahn bricht. Kritisiert man israelische Politik gegen den Terror, so muss man auch den Terror gegen Israel benennen. Kein Kind, keine Frau, kein Mann in Israel kann sich sicher fühlen, wenn sie auf die Straße gehen. Hunderte sind in den letzten Monaten nicht mehr nach Hause gekommen nach der Schule, der Arbeit, dem Einkauf, dem Restaurantbesuch, dem Discoabend: Sie wurden Opfer von Selbstmordattentätern, die von gewissenlosen Mörderbanden auf den Weg geschickt worden sind, und wir wissen nicht, wer sich in diesem Moment wieder auf den Weg macht.

Man stelle sich diese Lage vor in einem europäischen Land oder in den Vereinigten Staaten. Ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass auch in diesen Ländern die Verantwortlichen die ganze Härte des Anti-Terrorkampfes walten lassen würden.

Wenn nun die Kritik an Israel allein auf die Reaktion auf solche unmenschlichen Anschläge fokussiert und als „Staatsterror“ gebrandmarkt wird, dann habe ich den Verdacht, dass mit dieser angeblichen Kritik auch Gefühle geäußert werden, die sich der eine oder andere Kritiker bislang in Deutschland nicht getraut hat zu formulieren.

Meine Damen und Herren, liebe Iris Berben! Der Leo-Baeck-Preis ist für uns etwas Besonderes, weil sein Namensgeber Rabbiner Leo Baeck seligen Angedenkens für uns Juden die Erinnerung bedeutet an eine – wie ich es eingangs bereits erwähnte – Jahrhundertgestalt des deutschen Judentums. Der Name Leo Baeck steht für Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit in einer Zeit, in der Unmenschlichkeit und Hass gewütet haben.

Wenn wir im Namen Leo Baeck eine Auszeichnung verleihen, so kommt sie von Herzen und mit Bewunderung für die so Geehrte. Der Zentralrat der Juden in Deutschland dankt Ihnen, liebe Iris Berben, für Ihr Engagement und Ihre Freundschaft für die jüdische Gemeinschaft, für den Staat Israel und seine Bewohner. Wir sind fest davon überzeugt, mit der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Sie im Sinne von Leo Baeck zu handeln, denn wir zeichnen eine Frau aus, die sich auszeichnet durch gelebte Menschlichkeit.

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