Danksagung Birgit und Horst Lohmeyer



Die Verleihung des Paul-Spiegel-Preises an uns hat uns mindestens ebenso überrascht wie geehrt, denn eigentlich tun wir in unserem Dorf Jamel wenig mehr als immer wieder lautstark um Hilfe bei der Verteidigung der Demokratie zu bitten.

Der Paul-Spiegel-Preis stellt nun die Krönung der uns bisher zuteil gewordenen Unterstützung dar. Er macht uns stolz und zugleich ein wenig verlegen. Denn immerhin werden wir, die wir beide zur Generation der Enkel der nationalsozialistischen Täter gehören, durch Vertreter der Nachfolgegeneration der damaligen Opfer mit diesem Preis ausgezeichnet.

Worum geht es uns bei unserem Engagement, für das wir – zu unserer ausgesprochen großen Freude – geehrt werden?

Vorab: Die Demokratie ist die beste Gesellschaftsform, die wir kennen. Nicht immer gerecht, stets verbesserungswürdig, doch in ihrer Menschenfreundlichkeit bisher durch kein anderes System des menschlichen Zusammenlebens übertroffen.

Seit 2004 leben wir, die ursprünglich Westdeutschen, in Mecklenburg und versuchen seither, das Leben, die Menschen hier, ihre Geschichte, ihr »In-die-Demokratie-geschubst-« oder auch »gestolpert-Sein« zu verstehen und unsere Auffassung von demokratischem Zusammenleben mit den Vorstellungen der ostdeutschen Freunde und Kollegen in Einklang zu bringen.

So wie es sich für uns darstellt, haben die aktuell in der Bevölkerung beobachtbaren Phänomene der Demokratiemüdigkeit, die Staatsverdrossenheit, das Verurteilen des gesamten demokratischen Gesellschaftsmodells eine direkte Verbindung zu historischen Phänomenen: Nach 1945 empfand sich manch ein Deutscher als Opfer von Politik, nahm – erst verführt, dann besiegt und jetzt desillusioniert und gekränkt – die Haltung »Politik kommt für mich nie wieder in Frage« ein. Sehr schön nachzulesen ist dies zum Beispiel in der Autobiografie des ostdeutschen Schriftstellers Erich Loest.

Während in Westdeutschland mit der Demokratie ein Gesellschaftssystem entstand, das durch seine potentiellen Möglichkeiten der tatsächlichen Mitbestimmung dieser Haltung der Kriegsüberlebenden recht erfolgreich entgegenwirkte, verfestigte sich dieses »Mit-Politik-will-ich nichts-zu-tun-haben« im anderen Teil Deutschlands unter den Bedingungen der DDR-Diktatur und übertrug sich auch auf die folgenden Generationen.

Es dauerte bis in die späten 80er Jahre, bis durch das Wirken der Bürgerbewegung die zementierten Zustände in Ostdeutschland laut in Frage gestellt und letztlich abgeschafft wurden. Nun sollte es auch hier, in Ostdeutschland, gelebte Demokratie geben – was immer dies für den eigenen Lebensalltag bedeutete.

Fatalerweise ist es jedoch keineswegs »flächendeckend« gelungen, den Menschen in Ostdeutschland die Spielregeln, die Chancen sowie die Grenzen der Demokratie nahe zu bringen.

Oft hören wir in Alltagsgesprächen von denen, die sich (auch heute noch) als Opfer der Politik verstehen, die Klage des »Die da oben – die ja doch machen, was sie wollen – und wir hier unten«. Schnell folgen dann häufig Äußerungen wie »Zu DDR-Zeiten war es gar nicht so schlecht, vieles war sogar besser als heute.«

Uns schmerzt es, so etwas zu hören und zu erleben, wie Menschen sich, die Demokratie, unsere Gesellschaft, ja letztlich unser Land aufgeben. Und das in vielen Fällen, ohne vorher probiert zu haben, selbst in das gesellschaftliche Leben einzugreifen, aktiv mitzumischen anstatt sich, ohne Widerspruch, an den gesellschaftlichen Rand drängen zu lassen.

Umso bitterer, wenn dann Extremisten und Verfassungsfeinde mit ihren verführerisch einfachen Parolen auf Menschenfang gehen, die vermeintlich Chancenlosen und Frustrierten unter den Schutzmantel ihrer mörderischen Ideologie locken und zugleich diejenigen, die ihre Absichten durchschauen oder ihnen zumindest misstrauen, dem Terror von Einschüchterung und Gewalt aussetzen.

Wir wissen wovon wir sprechen: Die wenigen Familien in unserem 10-Häuser-Dorf Jamel, die nicht zu den Rechtsextremen gehören, sind nur »mutig« im Nicht-mit-uns-sprechen und, in einem Fall, im Verfassen von feindlichen E-Mails an uns. Ansonsten führt die aggressive Einschüchterung durch die Rechtextremen auch in Jamel zum generellen Wegschauen, Sich-nicht-Einmischen und, in manchen Fällen, sogar zum leutseligen Nachbarschafts-Smalltalk mit den Neonazis.

Dies ist ebenso schmerzlich wie die Entwicklung, von der wir gerade in der letzten Woche auf einer Tagung »WIR- Initiative« zum Thema Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern erfuhren: Der Einschüchterungsterror der Rechtsextremen wirkt hier in Mecklenburg-Vorpommern, gerade in der Generation der unter 20-jährigen, umfassend. Für Jugendliche gehört es mittlerweile zum Alltag, rechtsextreme Äußerungen, Symbole oder Angriffe – z. B. an ihren Schulen – taten- und wehrlos zu erdulden. So gut wie keiner wagt es, dagegen zu intervenieren, zu protestieren oder gar, sich zu engagieren. Das Problem wird vielerorts einfach tot geschwiegen.

Mit der fatalen Folge, dass rechtsextreme Statements und Symbole inzwischen als zum Lebensalltag gehörend wahrgenommen werden. Lehrer, Sozialpädagogen und Eltern scheinen dagegen machtlos zu sein. Auf diesen fruchtbaren Nährboden fallen dann die Agitationen von Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Die Folgen können wir uns alle ausmalen.

Niemand muss ein Held sein – was wir mit unserem persönlichen Engagement jedoch aufzeigen wollen, ist die Gefahr des Gewährenlassens: Rechtsextremismus hat eine faschistische, menschenfeindliche Diktatur zum Ziel – und nichts anderes! Es ist also ein Gebot der Menschlichkeit, nicht die Augen vor den Umtrieben der Rechtsextremen zu verschließen – seien sie organisiert in den gewaltbereiten so genannten »Kameradschaften«, bei den scheinbar modernen »Autonomen Nationalisten« oder in staatlich – leider noch immer – legitimierten Parteien wie der NPD.

Es gilt vielmehr, überall dort, wo man rechtsextreme Agitation, rechtsextremen Terror oder rechtsextreme Unterwanderung gesellschaftlicher Strukturen (seien es Gremien, Vereine oder Dörfer) bemerkt, seine Stimme zu erheben, Stellung zu beziehen oder zumindest die Öffentlichkeit über die Vorfälle zu informieren. Sei es am eigenen Wohnort, dem Arbeitsplatz, in der Schule oder im Sportverein.

Es muss allen Menschen klar sein – oder klar gemacht werden – wohin es führt, die Rechtsextremen zu tolerieren, sie gewähren zu lassen oder sie auch nur zu ignorieren. Hier sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefragt. In der Verantwortung jedes Einzelnen liegt es, zu verhindern, dass auf deutschem Boden die dritte Diktatur innerhalb eines Jahrhunderts entsteht.

Gemeinsam können wir das!

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