Eröffnung der Carlebach-Synagoge



Festrede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, zur Eröffnung der Carlebach-Synagoge Lübeck, 12. August 2021

Foto: Felix König

Festrede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, zur Eröffnung der Carlebach-Synagoge Lübeck, 12. August 2021

Anrede,

was lange währt, wird endlich gut. Die Jüdische Gemeinde hier in Lübeck musste viel Geduld aufbringen, bis wir nun die Eröffnung der Synagoge feiern können. Doch angesichts der Monate des Lockdowns, die hinter uns liegen, wissen wir es vermutlich viel mehr als früher zu schätzen, zu einem Fest tatsächlich zusammenzukommen.

Und – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – sich in der Synagoge zu versammeln oder im Gemeindezentrum zu treffen, das war früher so selbstverständlich. Über die vergangenen Monate ist mir der Wert dieser Zusammenkünfte wieder richtig bewusst geworden. 

Die Corona-Pandemie hat unsere Blickwinkel verändert. Weil heute ein freudiger Tag ist, möchte ich einen Aspekt nennen, der der Tragweite dieser Krise nicht gerecht wird, aber dafür fröhlich stimmt:

Angesichts der verschiedenen Video-Übertragungen aus Synagogen in diesem Jahr ist mir etwas klar geworden, was vorher für mich nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat: Es hat große Vorteile, wenn eine Synagoge wirklich schön ist. Wenn ein Gottesdienst auch optisch gut rüberkommt.

Und genau das ist hier der Fall: die restaurierte Carlebach-Synagoge ist ein Schmuckstück. Heute wollen wir sie ihrer Bestimmung übergeben: dass hier Menschen gemeinsam Gottesdienste gestalten.

Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank aussprechen an den Bund, das Land Schleswig-Holstein, die Stadt Lübeck und an die drei Stiftungen, die diese Restaurierung möglich gemacht haben.

Es ist wahrlich keine leichte Zeit, die hinter uns liegt. Und noch wissen wir alle nicht, wie sich die Pandemie in den kommenden Monaten entwickeln wird.

All jene Menschen, die in diesen schweren Monaten die Gemeinde zusammengehalten haben, dürfen ruhig ein wenig stolz auf sich sein. Sie mussten und Sie haben Außergewöhnliches geleistet!

Und ich hoffe für unsere Gemeinden, vor allem aber für unsere Gesellschaft insgesamt, dass wir Lehren aus dieser Corona-Zeit ziehen. Dass diese Zeit letztlich auch zu Fortschritten führt.

Das Zusammenkommen einer Gemeinde ist nicht nur aus religiösen Gründen wichtig. Nein, es geht um noch viel mehr: die jüdischen Gemeinden sind ein Ort des Zusammenhalts und der Stärkung, ein Ort der Selbstvergewisserung und der Identitätsbildung.

In diesen Zeiten, in denen wir mit einer Partei wie der AfD leben müssen, in denen Menschen bei Demos gegen die Corona-Auflagen ohne Skrupel gelbe „Judensterne“ tragen, als würden sie verfolgt – in diesen Zeiten brauchen wir diesen Zusammenhalt besonders dringend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bin gebeten worden, heute die Festrede zu halten. Dafür bedanke ich mich herzlich!

Die Gelegenheit möchte ich nutzen, um einen Blick auf die aktuelle politische Lage und das jüdische Leben zu werfen.

Ich möchte zunächst aber auf ein besonderes Datum eingehen: das Jahr 321 n. d. Z. Denn in diesem Jahr erließ Kaiser Konstantin ein Edikt, dass es Juden erlaubte, Mitglied im Kölner Stadtrat zu werden. Dies ist das älteste schriftliche Zeugnis für jüdisches Leben in deutschen Landen.

In diesem Jahr begehen wir daher das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Wir wollen damit die deutsch-jüdische Geschichte präsenter machen, um das Verständnis für Juden in Deutschland zu vergrößern und zu vertiefen. Denn im Hinblick auf die Zukunft möchten wir bessere Zeiten erreichen als es momentan der Fall ist.

Das Festjahr hat bisher schon eine außerordentlich große Resonanz in Politik, Gesellschaft und den Medien gefunden. Und auch die Anzahl der etwa 1.500 Projekte ist bemerkenswert, die im Rahmen dieses Themenjahres auf kommunaler, regionaler und auf Bundesebene stattfinden.

 

Der Verein „321 – 2021, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ will jüdische Geschichte und jüdisches Leben in seiner ganzen Breite darstellen: die fröhlichen und glücklichen Zeiten, die Koexistenz und das friedliche Nebeneinander durch diese Jahrhunderte, ebenso wie die weniger glücklichen Zeiten, die Abgründe, die Schoa.

 

Der Verein hat sich 2018 mit dem Ziel gegründet, das Festjahr zu starten, Menschen und Institutionen anzusprechen und für unsere Idee zu gewinnen.

In zahlreichen Städten finden Veranstaltungen statt. Die Menschen sollen die Gelegenheit bekommen, sich über jüdisches Leben zu informieren - und zwar ohne die üblichen Vorurteile. Corona geschuldet mussten zwar viele Projekte verschoben oder ganz abgesagt werden. Es ist uns jedoch gelungen, das Festjahr bis Mitte 2022 zu verlängern, so dass alle die Chance erhalten, ihre Veranstaltungen nachzuholen.

Der menschlichen Kreativität sind im Festjahr kaum Grenzen gesetzt. Ein Chor mit Liedern von unbekannten jüdischen Dichtern; ein Sextett, das Stücke von jüdischen Komponisten spielt; eine Schule, die sich mit jüdischen Pädagogen auseinandersetzt; Vorträge, die einen Überblick über jüdische Wissenschaftler oder Politiker geben; Konferenzen, Workshops, Synagogenführungen, Aufführungen zu aktuellen Themen, Ortsführungen, ja sogar koschere Kochkurse werden angeboten.

Die Zahl von etwa 1.500 Veranstaltungen, von denen ich gesprochen habe, kommt durch die Beteiligung vieler Menschen und Institutionen zustande. Durch die Unterstützung des Bundes konnten Projektpartnern eine finanzielle Förderung angeboten werden.

Viele Institutionen wie Kirchen, Verbände, Volkshochschulen oder Universitäten sind genauso beteiligt wie kleine Vereine. Dies ist uns sehr wichtig, weil gerade die Beteiligung vieler unterschiedlicher Veranstalter die Möglichkeit eröffnet, unser Anliegen breit in die Bevölkerung zu streuen. Es sollen möglichst viele Menschen die Gelegenheit haben, jüdische Themen kennenzulernen.

Wenn wir mit all dem Beschriebenen erreichen, dass alte Ressentiments abgebaut werden und damit auch weniger Antisemitismus bestehen wird, haben wir einen großen Schritt in eine bessere Zukunft gemacht. Jedem ist mittlerweile klar, dass der Antisemitismus in den letzten Jahren stark zugenommen hat und unser Festjahr ist auch ein Versuch, durch Prävention dem etwas entgegenzusetzen.

Mich freut das alles sehr. Wenn ich ehrlich bin, habe selbst ich das so nicht erwartet, obwohl ich zu den Gründungsmitgliedern des Träger-Vereins gehöre.

 

 

 

 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

dass sich die Idee zu dem Festjahr entwickelte, hatte wie erwähnt viel mit der aktuellen politischen Lage zu tun. Es stellt sich immer drängender die Frage, was wir gegen den wachsenden Antisemitismus tun können.

 

Erst vor wenigen Monaten konnten wir aus Anlass des Gaza-Konflikts wieder auf deutschen Straßen beobachten, wie schnell sich Menschen versammeln und judenfeindliche Parolen rufen oder israelische Fahnen vor Synagogen verbrennen. Das ist keine legitime Kritik am Nahostkonflikt, das ist nichts Anderes als Antisemitismus.

 

In diesem Fall war es in der Hauptsache muslimischer bzw. arabischer Antisemitismus.

Doch Israel-bezogener Antisemitismus findet sich auch in der Mitte unserer Gesellschaft. Seit einigen Monaten begleitet uns in den Feuilletons und vor allem unter Kulturschaffenden eine intensive Debatte über die Israel-Boykott-Bewegung BDS. Ich möchte dieser in Deutschland recht kleinen Bewegung nicht mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, als ihr gebührt. Doch kurz will ich auf die Debatte eingehen:

 

Der Bundestag hat im Mai 2020 nach ausführlicher Diskussion einen Beschluss gefasst, getragen von Union, SPD, FDP und Grünen. Darin verurteilt der Bundestag die Boykottbewegung und nennt ihre Methoden und Argumentationsmuster antisemitisch. Zudem fordert der Bundestag, der BDS-Bewegung keine Räume oder finanzielle Unterstützung zu gewährleisten. Rechtlich bindend ist dieser Beschluss für Länder und Kommunen nicht.

Dennoch nahmen Ende vergangenen Jahres Vertreter von großen deutschen Kultureinrichtungen den Beschluss zum Anlass, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beklagen. Ich möchte hier klipp und klar sagen: Antisemitismus ist keine Meinung!

Und wenn sich Künstler, Wissenschaftler oder andere Intellektuelle der BDS-Bewegung anschließen oder dafür plädieren, dass Israelis irgendwo ausgeladen werden, nur weil sie jüdische Israelis sind – dann müssen sie es auch ertragen, dass ihre Haltung als das benannt wird, was sie ist: antisemitisch.

 

 

Für noch gefährlicher halte ich in Deutschland allerdings den Antisemitismus, der von Rechtsextremisten verbreitet wird. Was passiert, wenn sie ihre Worte in Taten umsetzen, konnten wir im Oktober 2019 in Halle erleben.

 

Die Menschen, die sich an Jom Kippur in der Synagoge versammelt hatten, wurden nur durch eine starke Eingangstür gerettet. Dennoch verloren zwei Menschen bei dem Attentat ihr Leben.

 

Und gerade hier in Lübeck ist allen Bürgern seit dem Brandanschlag auf die Synagoge im Jahr 1994 bewusst, wie gefährlich der Judenhass von Rechtsextremisten ist.

 

Es war ein sehr wichtiger Schritt, dass die Bundesregierung 2020 den Kabinettsausschuss Rechtsextremismus und Rassismus eingerichtet hat. Der Ausschuss hat eine Fülle von Maßnahmen vorgelegt. Jetzt ist es wichtig, dass diese Maßnahmen wegen des Endes der Legislaturperiode nicht in der Schublade verschwinden, sondern umgesetzt werden.

 

Vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sozusagen die Graswurzelarbeit gegen Rechtsextremismus leisten, brauchen eine verlässliche Unterstützung. Daher halte ich ein Demokratiefördergesetz für sinnvoll und hoffe, dass die künftige Regierungskoalition in Berlin das in Angriff nehmen wird.

 

Das gemeinsame Ziel aller Demokraten muss es zudem sein, dass die AfD wieder aus den Parlamenten verschwindet. Diese Partei arbeitet nach meiner Einschätzung kontinuierlich daran, die demokratischen Grundwerte auszuhöhlen und unsere politische Kultur in der Bevölkerung zu diskreditieren. Dabei scheut sie vor Tabubrüchen nicht zurück. Minderheiten wie Muslime oder Asylbewerber werden verächtlich gemacht.

 

Meine Damen und Herren,

diese Politik der AfD halte ich für brandgefährlich! Sie bereitet letztlich den Boden für Anschläge wie in Halle oder in Hanau.

 

Wir dürfen uns daher nicht damit zufriedengeben, wenn die AfD ein paar Prozentpunkte bei Wahlen verliert. Es geht nicht um verlorene Stimmen, sondern sie hat in unseren Parlamenten nichts verloren!

 

Antisemitismus zu bekämpfen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, gleicht einem Marathonlauf. Es braucht einen langen Atem.

 

 

 

 

 

Den Zentralrat der Juden begleitet dieser Kampf seit seinem Bestehen, also seit über 70 Jahren. In jüngster Zeit haben wir vor allem die jüngeren Menschen in den Blick genommen, mit dem Ziel, antisemitische Vorurteile gar nicht erst entstehen zu lassen.

Ein zentraler Bereich sind die Schulen. Das Judentum kommt als Thema in der Schule überproportional viel im Zusammenhang mit der Schoa vor. In vielen Schulbüchern werden Juden ausschließlich als Opfer präsentiert. Die reiche jüdische Tradition, die Religion an sich, wichtige jüdische Denker und Rabbiner, der Beitrag des Judentums zur deutschen Kultur – das kommt hingegen meistens zu kurz.

Um hier Verbesserungen zu erreichen, arbeiten wir seit mehreren Jahren mit der Kultusministerkonferenz zusammen.  In der hiesigen Bildungsministerin Karin Prien haben wir dabei immer eine vehemente Unterstützerin gefunden!

Schon 2016 haben wir mit der KMK eine Gemeinsame Erklärung mit dem Ziel formuliert, die jüdische Religion, Kultur und Geschichte breiter als bislang in den Schulen zu vermitteln. Auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sollen diese Themen künftig eine größere Rolle spielen.

In diesem Jahr kamen in Zusammenarbeit mit den Antisemitismus-Beauftragten Empfehlungen zur Bekämpfung von Antisemitismus in den Schulen hinzu.

Denn Antisemitismus findet sich auch in den Schulen selbst. In den zurückliegenden Jahren sind mehrere Fälle von antisemitischen Übergriffen auf Schüler bekannt geworden. Und Sie können sich vorstellen: Was bekannt wird, ist nur ein Bruchteil.

Es gibt kaum jüdische Schüler auf staatlichen Schulen, die noch nicht Antisemitismus am eigenen Leib erfahren haben. Übrigens nicht nur durch Mitschüler, sondern manchmal auch durch Lehrer.

Unsere Empfehlungen, die jetzt verabschiedet wurden, sollen vor allem den Lehrkräften helfen, das Problem besser zu erkennen, um dagegen vorgehen zu können.

So kommen wir Schritt für Schritt voran auf dem Weg, gezielter als bisher Judenfeindlichkeit zu bekämpfen.

Ein wichtiger Baustein sind dabei persönliche Begegnungen mit Juden. Daher hat der Zentralrat der Juden das Projekt „Meet a Jew“ gestartet. Dabei besuchen jüdische Jugendliche und junge Erwachsene Schulklassen, Vereine oder Verbände, um dort von ihrem jüdischen Alltag zu berichten. Wir machen mit diesen Begegnungen durchweg gute Erfahrungen.

Und ebenso gehen wir auf Muslime zu. Mit Unterstützung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Frau Widmann-Mauz, führen wir das Projekt „Schalom Aleikum“ durch.

Dabei bringen wir jüdische und muslimische Vertreter der Zivilgesellschaft aus jeweils gleichen Bereichen zusammen: Etwa Sportler oder Start-up-Unternehmer oder Restaurant-Besitzer. Bei unseren Veranstaltungen wird deutlich, wo sie mit spezifischen Herausforderungen kämpfen, aber auch, wo sie Gemeinsamkeiten haben. Bewusst haben wir nicht Verbände oder Funktionäre als Projektpartner gewählt. Auf beiden Seiten findet dieser Austausch großen Zuspruch.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was ich unterm Strich aber für viel entscheidender halte, ist die Sichtbarkeit jüdischen Lebens. Sie entsteht durch aktive jüdische Gemeinden vor Ort und durch Bauwerke wie diese wunderbare Synagoge.

Wir brauchen diese Orte für die Gemeinden selbst, aber auch für Begegnungen mit der nicht-jüdischen Umgebung.

Ich wünsche Ihnen, hier in Lübeck, aber letztlich unserem Land insgesamt, dass solche Begegnungen ohne Einschränkungen möglich werden, um Unwissenheit, Ängste oder Vorurteile abzubauen.

Vielleicht ist dies irgendwann auch ohne Polizeischutz möglich. Das wünsche ich mir.

In diesem Sinne gratuliere ich zur Eröffnung der Carlebach-Synagoge und wünsche für die Zukunft alles erdenklich Gute!

 Lübeck, 12. August 2021

 

 

 

 

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