Gala-Abend auf dem Gemeindetag 2023



Ansprache Dr. Josef Schuster, 16.12. in Berlin

Foto: Gregor Matthias Zielke

Kwod Harabanim,

sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

sehr geehrte Teilnehmer des Gemeindetages,

ich freue mich, Sie, lieber Herr Bundeskanzler, in den Reihen des Gemeindetages 2023 des Zentralrats der Juden in Deutschland begrüßen zu können. Ihr Kommen bedeutet den mehr als 1400 Mitgliedern der jüdischen Gemeinden, die Sie hier sehen, sehr viel. Wir wissen es zu schätzen, dass Sie in Zeiten stürmischsten politischen Fahrwassers zu uns kommen. Es mag einerseits an Ihrer hanseatischen Ruhe liegen, anderseits haben Sie gerade in den vergangenen Wochen seit dem 7. Oktober mit aller Deutlichkeit klargemacht, dass Ihr Platz an der Seite der jüdischen Gemeinschaft ist und so empfinde ich auch Ihren Besuch heute vor allem als Zeichen dieser Solidarität.

Herr Bundeskanzler, Sie waren als erster westlicher Regierungschef nach dem 7. Oktober in Israel. Sie wollten sich ein Bild machen von dem Grauen und Schrecken; von den tiefen Wunden, die die Hamas in der Seele Israels und des jüdischen Volkes hinterlassen hat. Und ich spüre Ihre Ergriffenheit, ihren Ernst, wenn wir über diese Themen sprechen. Am 9. November haben Sie mir in der Synagoge in der Brunnenstraße zugestimmt, als ich sagte, es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land, wenn nach dem Horror des 7. Oktobers zahlreiche Menschen mit arabischem Migrationshintergrund auf die Straße gehen und diesen barbarischen Akt des Terrors feiern.

Sie haben Konsequenzen angekündigt und sind dabei sie umzusetzen – wir unterstützen Sie dabei bis zum Ende dieses Weges! An Universitäten und im Kunstbetrieb – an Orten, die sich meist selbst für äußerst zivilisiert halten – wird Judenhass so offen ausgelebt wie selten in diesem Land. Die Schulen sind ein Ort der Unsicherheit und der Angst für jüdische Schüler geworden – das ist beschämend! Antworten darauf sehe ich noch keine. Ein möglicher Hebel wäre gewesen, das Leugnen des Existenzrecht Israels gesetzlich unter Strafe zu stellen, aber ich habe auf der Justizministerkonferenz miterleben müssen, dass es für diesen klaren Schritt keine Mehrheiten gibt. Stattdessen wird im Land des „Nie wieder ist jetzt“ erstmal abgewartet. „Nie wieder“ ist also doch zuweilen eher irgendwann.

Und das gilt leider auch für den Platz, den die Bundesregierung in den Vereinten Nationen einnimmt. Er ist nicht an der Seite Israels, sondern wabert zwischen den Stühlen. Er ist nicht bei den USA. Wenn aber aus Washington aus dieser Position der unverbrüchlichen Solidarität mit Israel auf der großen Bühne dann der Extremismus der Siedler im Westjordanland – wie ich finde, zu recht – kritisiert wird, dann ist Deutschland wieder ganz schnell dabei. Die Bundesregierung macht sich damit angreifbar für Relativierungen – bitte seien Sie sich dessen stets bewusst.

Israel und die Hamas sind keine gleichzusetzenden Konfliktparteien. Die Hamas ist eine barbarische Terrororganisation und Israel ist als einzige Demokratie im Nahen Osten ein Vorposten der westlichen Freiheit. Deutschland muss fest an Israels Seite stehen. Das Land gleicht dem unseren in Herrschaftssystem und Gesellschaftsform so wie kein anderes in der Region. Wir glauben gemeinsam an die Freiheit des Einzelnen, die Liberalität der Gesellschaft und dass die Würde des Menschen über allem steht. Viele der Menschen hier im Saal haben in den vergangenen Wochen die Kampagne des Zentralrats „Israel verteidigt uns“ unterstützt, mit der wir Spenden für die Association for Israels Soldiers gesammelt haben. 150.000 Euro konnten wir am Ende überweisen für Hygiene-Kits, die die Soldaten zu Beginn ihres Einsatzes erhalten. Wir dürfen nicht vergessen: Israel verteidigt unserer Art zu leben, Israel verteidigt auch unserer Freiheit, Israel verteidigt uns!

Herr Bundeskanzler, Sie haben bei der Gedenkstunde zum 9. November auch Martin Niemöller zitiert, der vor einer schrittweisen Zerstörung des Gemeinwesens gewarnt hat, sollte eine Gesellschaft in ein „wir“ und ein „die da“ abdriften. Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, lieber Herr Bundeskanzler.

Wir Juden verwehren uns einer Aufteilung der Gesellschaft in abgeschlossene Gruppen, an deren Ende immer Spaltung steht. Das ist das Geschäft der anderen. Es gibt auch nicht die Juden und die Muslime, wie ich es leider auch von in diesem Land verantwortlichen Politikern manchmal lese. Wir – die jüdische Gemeinschaft – tritt ein für eine offene Gesellschaft. Wir treten gerade nach den verstörenden Bildern nach dem 7. Oktober gegen eine Pauschalisierung der Muslime in diesem Land ein.

Aber wir Juden, wir weichen auch nicht zurück. Wir geben nicht klein bei, im Gegenteil. Dieser Gemeindetag, der Sie heute empfängt, ist ein starkes Zeichen des jüdischen Zusammenhalts. Wir sind selbstbewusst. Wir wollen frei leben in Deutschland, unserem Land. Wir wollen „Zusammen leben“ – so haben wir das Motto dieses Gemeindetags gewählt und so soll es in das Land hinausgetragen werden.

Wir werden jetzt erst recht, im Wissen und in der Demut der schrecklichen Bilder aus Israel, ein Fest der Jüdischkeit feiern. Wir lassen uns von dem Terror nicht das Leben bestimmen, aber wir blenden ihn auch nicht aus. Auch wenn unsere Herzen schwer sind, lassen wir es nicht zu, dass die Narrative der Terroristen gewinnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort!

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