"Ein Zeichen des Vertrauens"



Foto: Jörn Neumann

Grußwort des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, zum 10-jährigen Bestehen der Synagoge Pforzheim, 17.01.2016

Anrede,

ich freue mich sehr, heute bei diesem glanzvollen Festakt zum 10. Jahrestag der Eröffnung dieser Synagoge dabei zu sein, und überbringe Ihnen die Glückwünsche von Dr. Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland!

Heute ist wirklich ein besonderer Tag.

Wenn ich mich umsehe, in dieser hellen, modernen Synagoge und meinen Blick schweifen lasse, dann wird mir erneut bewusst: Es ist eine ganz besondere Freude, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten überall in Deutschland wieder Synagogen eröffnet wurden! Sie sind das sichtbarste Zeichen für das wieder erstarkte jüdische Leben in Deutschland. Und die Synagogen sind wichtig für unser jüdisches Gemeindeleben, denn sie sind das Herz unserer Gemeinden!

Auch die Infrastruktur rund um die Synagoge ist wichtig: ein Gemeindezentrum mit Versammlungsräumen, einer Mikwe, Büros, oft auch ein Kindergarten oder gar eine Grundschule.Doch das Kernstück, das Zentrum ist die Synagoge selbst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

uns allen ist bewusst: Der Neubau oder die Wiedereröffnung von Synagogen ist in Deutschland alles andere als selbstverständlich. Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist erst knapp 71 Jahre her. 1945 war die jüdische Gemeinschaft in Europa fast ausgelöscht. Das jüdische Leben zerstört. Deutschland glich einer Trümmerwüste. Die wenigen Überlebenden der Shoa, die in Deutschland hängen blieben – viele unfreiwillig – hatten dennoch Mut und Hoffnung nicht verloren und bauten das jüdische Leben neu auf. Das erfüllt mich bis heute mit Respekt und Dankbarkeit!

Und so gilt auch in unserer Zeit noch: Eine neue Synagoge ist ein Zeichen des Vertrauens. Eine jüdische Gemeinde, die den Mut fasst, eine neue Synagoge zu bauen, sagt damit: Wir vertrauen dem Land, in dem wir leben. Wir vertrauen darauf, dass wir hier eine Zukunft haben. Wir möchten in diesem Land bleiben. Eine neue Synagoge ist wie eine Hand, die zur Versöhnung ausgestreckt wird. Ein größeres Kompliment, als eine Synagoge zu bauen, können wir Deutschland kaum machen!

Eine neue Synagoge ist zugleich ein Zeichen des Willkommens.Ein Zeichen des Willkommens durch die Stadt und ihre Bürger. Denn ohne die Unterstützung der Kommune und oft auch des jeweiligen Bundeslandes, ohne die Unterstützung durch Spenden ist ein Synagogen-Neubau eigentlich unmöglich. Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Unterstützern von damals, vor allem aber dem Verein Pro Synagoge, danken für ihr Engagement! Meistens gehören auch die beiden christlichen Kirchen zu den Unterstützern. Hier in Pforzheim haben sie die beiden wunderbaren Decken-Leuchter gespendet.

Die Kirchen, die Bürger, die Stadt setzen damit ein nicht minder wichtiges Zeichen.Mit einem Synagogen-Neubau sagen sie: Wir bejahen jüdisches Leben unter uns! Wir freuen uns darüber. Wir sind dankbar, dass es in Deutschland wieder eine jüdische Gemeinschaft gibt.

In Pforzheim gibt es die neue Synagoge jetzt seit zehn Jahren. Die Jüdische Gemeinde Pforzheim mit ihrem Vorsitzenden Rami Suliman setzt dieses Zeichen des Vertrauens.

Die äußeren Bedingungen für ein sicheres jüdisches Leben sind seitdem leider nicht leichter geworden, sondern deutlich schwieriger. Die weltweite Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus war uns zwar seit den Anschlägen auf das World Trade Center bewusst. Doch wohl niemand von uns allen hier hätte sich ausgemalt, dass Europa davon so betroffen sein könnte, wie es inzwischen der Fall ist. Wer die Hoffnung hatte, Synagogen und andere jüdische Einrichtungen in Deutschland kämen einmal ohne Polizeischutz aus, wurde eines Besseren belehrt.

Ebenso haben uns 2014 die anti-israelischen Demonstrationen in Berlin, Frankfurt oder im Ruhrgebiet verunsichert. Hunderte Demonstranten brüllten judenfeindliche Parolen, wie wir das auf deutschen Straßen nicht mehr für möglich gehalten hätten. Es gab in dieser Zeit nur sehr wenige Solidaritätsbekundungen für die jüdische Gemeinschaft. Zu einer großen Kundgebung gegen Judenhass musste der Zentralrat der Juden selbst aufrufen.

Ist es angesichts dieser sehr frischen Erinnerung so verwunderlich, dass wir skeptisch sind, wenn sehr viele Menschen nach Deutschland kommen, die aus Ländern stammen wie Syrien oder dem Irak, Länder, die seit Jahrzehnten mit Israel tief verfeindet sind? Wir sind die Letzten, die Grenzen schließen oder verfolgten Menschen keine Zuflucht geben wollen. Wir sehen aber auch: die Integration der Flüchtlinge in unser Wertesystem und in unsere demokratischen Grundregeln wird eine große Herausforderung!

Deutschland muss sich überlegen, welche Kapazitäten da sind, damit dies erfolgreich gelingen kann.Denn eine erfolgreiche Integration ist zugleich Voraussetzung, damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet. Schon jetzt sind die Auswüchse am rechten Rand sehr beunruhigend. Bewegungen wie Pegida oder Parteien wie die AfD richten sich vor allem gegen Muslime und sähen Hass, wo sie können. Sie untergraben unsere Demokratie, und ihr Hass kann sich ganz schnell auch gegen andere Minderheiten richten. Das ist uns sehr bewusst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

dieses Jubiläum nehme ich zum Anlass, um mit vollem Selbstbewusstsein zu betonen: Jüdisches Leben muss weiterhin einen festen Platz in unserer Gesellschaft haben! Jüdisches Leben in Deutschland muss geschützt werden, damit es sich weiter entwickeln kann. Wir vertrauen in diesen Staat und seine Bürger. Wir werden weiterhin Synagogen bauen und jüdische Schulen eröffnen. Sie alle, die heute der Einladung zum Festakt gefolgt sind, setzen ein Zeichen, dass jüdisches Leben in Deutschland willkommen ist.

Dafür danke ich Ihnen und wünsche uns allen – auch wenn die Zeiten beunruhigend sind – einen fröhlichen und wunderbaren Festakt, sowie der Jüdischen Gemeinde Pforzheim alles erdenklich Gute für die Zukunft!

Einer Synagoge kann man schlecht gratulieren. Doch der Jüdischen Gemeinde Pforzheim ein herzliches Mazal tov!

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