Die reichen Juden



Gastbeitrag von Dieter Graumann / „zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft“, Heft Juni 2012

Es gibt einen wunderbaren alten jüdischen Witz: Samuel Kohn liegt im Sterben, seine Familie hat sich um das Sterbebett versammelt. Mit letzter Kraft fragt Samuel: "Rebecca, mein Weib, bist du da?" - "Ja, Samuel, ich bin bei dir!" - "Und Jossele, mein Sohn, bist du da?" - "Ja, Tate, ich bin da!" - "Sarah, geliebte Schwiegertochter, bist du da?" - "Ja, Tate, ich bin da!" Da richtet sich Samuel auf und fragt erregt:"Und wer steht unten im Geschäft?" In unseren Witzen nehmen wir Juden uns selbst liebevoll aufs Korn, Selbstironie war schon immer eine jüdische Spezialität. Über die Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, wurden aber auch die Vorurteile und Stereotypen über Juden verballhornt – so wurden sie womöglich etwas erträglicher. „Juden denken immer nur ans Geschäft, und Juden sind reich" - das ist ein verbreitetes Klischee über Juden. Bis heute finden sich Publikationen, in denen mit anscheinend seriösen Statistiken belegt wird, wie überdurchschnittlich wohlhabend Juden in den USA oder anderswo auf der Welt sind. Namen wie Rothschild oder – in jüngerer Zeit – des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg stehen für jüdischen Reichtum. Viele denken dabei auch an Rockefeller.

Nach Reichtum zu streben, widerspricht nicht der jüdischen Religion. Allerdings gilt auch das Gebot, den Armen zu geben, das Gebot von sozialer Solidarität wird im Judentum immer ganz besonders hoch gehalten.

Doch jenseits aller Klischees und theologischen Debatten ist eines gewiss: Es gibt einen großen Reichtum des Judentums. Einen Reichtum, der sich gerade nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Wir sind reich an Traditionen, Riten und Gebräuchen. Die jüdische Kultur ist wie ein funkelnder Schatz. Wir sind auch reich an Erfahrung – leider auch an so furchtbarer wie der der Shoa – die das europäische Judentum samt seines kulturellen Reichtums und materiellen Besitzes fast komplett ausgelöscht hat.

Eine kleine Flamme hielten die Juden jedoch immer am Brennen. Selbst den Nazis mit ihrer systematischen Vernichtungsstrategie gelang es nicht, die jüdische Identität zu zerstören. Genau das hat mit dem Reichtum des Judentums zu tun. Ich will das an einem Beispiel erläutern.

Selbst säkulare Juden – Religiöse ohnehin - kommen gerne an den hohen jüdischen Feiertagen mit ihren Familien oder Freunden zusammen. Es wird nicht nur gegessen und getrunken, sondern auch die uralten jüdischen Bräuche werden zelebriert. Im Mittelpunkt etwa des Pessach-Festes, das in diesem Jahr zeitlich parallel zu Ostern lag, steht der Seder-Abend. An diesem Abend gedenken wir des Auszugs des jüdischen Volkes aus Ägypten, aus der Sklaverei in die Freiheit.

Bei dem Festmahl stellt das jüngste Kind am Tisch vier Fragen zum Unterschied des Seder-Abends zu anderen jüdischen Festen. Die Tischgemeinschaft antwortet und erinnert damit zugleich an die Ereignisse beim Auszug aus Ägypten. Ich werde etwa nie den Moment vergessen, als ich selbst als Vierjähriger zum ersten Mal die vier Fragen stellen durfte. Auch der erste Seder, den ich selbst führte, und der erste Seder, an dem unsere Kinder die vier Fragen stellten, sind mir für immer unvergesslich.

Diese Rituale machen uns Juden bewusst, in einer Jahrtausenden alten Tradition zu leben. Wir fühlen uns verbunden mit den vorangegangenen Generationen und zusammengehörig mit allen Juden auf der Welt. Wir haben in der Diaspora und in den dunkelsten Stunden immer an diesen Traditionen festgehalten und tun es bis heute – das macht uns reich. Diesen Reichtum kann uns niemand so leicht wegnehmen.

Der Reichtum der jüdischen Kultur ist mittlerweile auch in Deutschland wieder sichtbar. Dank der Zuwanderung von Juden aus Osteuropa sind unsere Gemeinden immens gewachsen. Die Einwanderer haben uns wahrlich bereichert: Sie brachten nicht nur ihre ureigenen Erfahrungen und Bräuche ihrer Länder mit, sondern auch ihre Talente. Autoren wir Wladimir Kaminer und Lena Gorelik sind einem breiten Publikum bekannt. Viele Musiker bereichern uns mit ihrem Können und Talent. Sie alle stehen für jüdische Kultur, die in Deutschland endlich wieder einen festen Platz gefunden hat. Ich hoffe, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland diese neue jüdische Vielfalt, diesen Reichtum auch wahrnimmt. Und uns gerade nicht nur als Trauernde und Mahner betrachtet.

Und weil jüdische Witze auch zu unserem reichen kulturellen Erbe gehören, will ich mit einem weiteren schließen: Ein Schnorrer war bei Rothschild. „Wieviel hast du bekommen?", will sein Kollege wissen. „Einen Gulden." - „So wenig?" - „Ja, weißt du, es geht ihm schlecht. Ich habe selber gesehen, wie seine zwei Töchter im Salon auf einem einzigen Klavier zusammen gespielt haben!"

Und übrigens: Rockefeller war gar kein Jude – er war Christ!

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