"Wir wollen dem Judentum hier eine Zukunft mit starken Wurzeln verschaffen"



Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, über die Chancen und Perspektiven seiner Gemeinden in Deutschland

01. Februar 2012 16.20 Uhr, BZ

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland repräsentiert und lebt heutzutage die allerbesten Traditionen unseres Judentums: Die ernsthafte Verantwortung, unsere wertvolle jüdische Substanz zu bewahren, die lebhafte Fantasie, sich aufgeschlossen und modern auch neuen Herausforderungen zu stellen und die feste Entschlossenheit, gerade und ausgerechnet hier in Deutschland wiederum eine ganz neue jüdische Gemeinschaft gemeinsam aufzubauen - allen Katastrophen ausdrücklich zum Trotz.

Ich wünsche mir hier ein Judentum, das bestimmt niemals unsere Leidensgeschichte und unsere Märtyrer vergessen wird, das aber von nun an die positiven Dimensionen des Judentums noch viel stärker pflegt, sich selbst bewusst macht und dann auch mit Energie und Elan nach außen trägt. Denn nur wer selbst begeistert ist, wird auch andere begeistern können: Ein Judentum, das sich nicht nur verzweifelt und manchmal verkrampft darüber Gedanken macht, wie deutsch es denn sein darf, sondern wie jüdisch es denn sein will.

Wir Juden stehen in einer langen, kostbaren Kette von so vielen jüdischen Generationen und tragen stets die Verantwortung dafür, dass die Kette vom Sinai weitergeknüpft werden kann und niemals reißen darf. Es reicht jedoch nicht aus, nur die Fackel des Judentums an unsere Nächsten weiterzugeben, wir müssen auch darauf achten, dass das Feuer des Judentums in den Herzen unserer Kinder neu entflammen kann: unsere Traditionen, unsere Kultur und unser Wissen. Das ist unsere eigene Aufgabe, die wir an niemanden delegieren können, ja: Das ist heute unsere historische und moralische Mission, die uns immerzu inspirieren muss.Das Judentum in Deutschland wird künftig vielfältiger sein und seine Kraft auch aus seiner neuen Buntheit schöpfen. Es muss die Weisheit aufbringen, sich gerade auch an der neuen jüdischen Vielfalt zu erfreuen, die uns alle bereichert und stärkt. Es wird ein Judentum sein, das seine singulären Fundamente kennt und würdigt und schätzt, das sich freilich nicht nur selbst bespiegelt, sondern sich kommunikativ, initiativ und kreativ an allen Debatten in der Gesellschaft beteiligt, gestützt von einer wieder aufs Neue wachsenden jüdischen Kulturszene im Land, getragen vom Respekt für unseren neuen Facettenreichtum, befeuert von einem rundum positiven jüdischen "Spirit".Ein solches Judentum wünsche ich mir hier. Und genau so eine Gemeinschaft wollen und werden wir hier gemeinsam aufbauen, mit Begeisterung und mit Leidenschaft.Wir wollen dem Judentum hier eine Zukunft mit starken Wurzeln verschaffen, als Fundament für das Über-sich-Hinauswachsen und eine ganz neue positive Perspektive, die noch weit über unsere eigene Zeit hinausreichen soll. Ein ehrgeiziger Plan, gewiss. Er wird uns gelingen.

Dieser Gastbeitrag von Dr. Dieter Graumann erscheint in der April-Ausgabe der englischsprachigen Zeitung "Jewish Voice From Germany"

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