"Vom Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte"



Rede des Geschäftsführers des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, zur Eröffnung der Tagung „100 Jahre Balfour-Deklaration“ der Bildungsabteilung, Frankfurt, 29.03.2017

Foto: Rafael-Herlich

Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zur Tagung der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland mit dem Titel: „100 Jahre Balfour-Deklaration. Der Zionismus – von der Ideengeschichte zur nationalstaatlichen Umsetzung“.

Wahrlich kein geringer Anspruch, das Thema Zionismus in einer Fachtagung abhandeln zu wollen, selbst wenn man wie wir hier zweieinhalb Tage dazu Zeit hat. Die Publikationen zur Geschichte des Zionismus und zur Staatsgründung Israels füllen ganze Bibliotheken. Aber keine Angst – ich werde jetzt nicht der Versuchung erliegen, diese Geschichte in einem zehnminütigen Grußwort nachzuzeichnen. Dennoch ist es mir – zumal als ein in Tel Aviv geborener Jude – eine Herzensangelegenheit, einige Schlaglichter auf das Thema zu werfen.

Ich möchte beginnen, indem ich Sie auf eine kleine Zeitreise in das Jahr 1897 mitnehme. Zitat:

„An einem besonders heißen Tag, am Samstag, den 28. August 1897 – versammelten sich in der Synagoge in Basel unzählige Gläubige. Die kleine Schweizer Stadt stand nicht jeden Tag im Mittelpunkt von so viel Aufmerksamkeit. In der kleinen jüdischen Gemeinde und in den Straßen der Stadt liefen die Vorbereitungen für den ersten und – wie manche fürchteten – vielleicht letzten Zionistenkongress auf Hochtouren. Überall waren Juden: begeisterte Studenten aus Russland und Berlin, Rabbiner und Geschäftsleute, Professoren von deutschen Universitäten, Ladenbesitzer, Intellektuelle und Dichter, Bauern und Mitglieder der begüterten Klassen.

Sie kamen aus Algier und Bukarest, Odessa und London, Paris und Kattowitz – und alle beteiligten sich auf ihre Art und Weise erwartungsvoll und eifrig an dem Stimmengewirr aus aufwogenden Gefühlen, intellektuellen Debatten, Hoffnungen und Befürchtungen.

Würde von Basel eine neue Lehre ausgehen? Oder würde der Erste Zionistenkongress nur eine ebenso rasch vergessene Episode sein wie die anderen hoffnungslos dem Untergang geweihten Versuche jüdischer Organisationen, die Situation der Juden zu verbessern?“

So beschreibt Amnon Rubinstein, einst Minister in der Regierung unter Yitzhak Rabin, diesen denkwürdigen Tag. (A. Rubinstein, Professor für Rechtswissenschaft und in der Regierung von Yitzhak Rabin Technologie-, Bildungs- und Kultusminister in „Die Geschichte des Zionismus“, DTB 2001, S. 14)

Diese Zeilen, meine Damen und Herren, vermitteln einen lebendigen Eindruck davon, wie ungewiss und wie wenig wahrscheinlich der Erfolg des zionistischen Projektes einst gewesen ist. Dennoch hat es die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten, oft sogar extrem gegensätzlichen Positionen geradezu elektrisiert und mit Begeisterung erfüllt.

Sehr geehrte Damen und Herren, heute ist die Frage nach der politischen Perspektive eines solchen Kongresses, die sich die vielen einst in Basel versammelten Menschen stellten, beantwortet.

Der Kongress in Basel war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte.

34 weitere Kongresse sollten dem ersten Zionistenkongress von 1897 bis heute folgen.

Der erste gewählte Präsident der World Zionist Organization (WZO), Theodor Herzl, notierte am 3. September 1897 in sein Tagebuch, Zitat:

„Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder einsehen.“

Wie wir alle wissen, sollte er Recht behalten, und so konnte David Ben Gurion in einer bewegenden Rede am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel verlesen.

Seitdem sind viele Jahre ins Land gegangen, und heute im Jahr 2017 jähren sich 120 Jahre Erster Zionistenkongress (1897), 100 Jahre Balfour-Erklärung (1917), 70 Jahre UN-Teilungsplan (1947), 50 Jahre Wiedervereinigung Jerusalems und Sechs-Tage-Krieg (1967) sowie 40 Jahre Frieden mit Ägypten (1977).

Die politische DNA Israels ist aus zähem und manches Mal unerbittlichem Ringen zionistischer oder auch antizionistischer, religiöser und säkularer oder sozialistischer Protagonisten gewachsen. Diese DNA prägt die politischen innerjüdischen Debatten über den substanziellen Kern des Staates bis auf den heutigen Tag. Exemplarisch seien hier die Debatten um den jüdischen Charakter des Staates benannt, die Beziehung des Jischuw bzw. später Israels zur Diaspora, das Verhältnis zwischen Juden und Arabern bzw. Palästinensern sowie das Spannungsverhältnis zwischen Religion und Staat.

Unvergängliche Namen wie der von Theodor Herzl, Achad Haam, A. D. Gordon, Max Nordau, Moses Hess, David Ben Gurion und Wladimir Zeev Jabotinsky, Martin Buber und Franz Rosenzweig – sie alle und viele ungenannte mehr sind der Nährboden, auf dem die Staatsbildung gedieh.

Trotz aller Schwammigkeit in der Formulierung erwuchs aus der Balfour-Deklaration und dem vagen Versprechen einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk ein Staat.

Ein Staat, der Millionen Juden überall auf der Welt einen Ort gab, den sie mit Fug und Recht nunmehr den Ihren nennen konnten. Selbst wenn sie – zum Ärger manch eines israelischen Regierungschefs – für sich entschieden hatten, nicht im Heiligen Land zu leben, war und ist die Verbundenheit mit Israel für jüdische Existenz überall auf der Welt fundamental und prägend.

Trotz einer enormen Erfolgsbilanz, die der kleine und in seiner Existenz stets bedrohte Staat, der ungefähr so groß ist wie das Bundesland Hessen, für sich verbuchen kann, gerät er seit Jahrzehnten hauptsächlich mit negativen Schlagzeilen in die Berichterstattung.

Berichterstattungen über Selbstmordanschläge, den Streit zwischen Israelis und Palästinensern um die Wasserrechte, das Verhältnis zu den Palästinensern, das Agieren von IDF, Shin Beth und Mossad, das beständige Ringen um eine Ein- oder Zweistaatenlösung, den Streit um die Legitimität der Siedlungen, ganz aktuell das Agieren der israelischen Regierung im Hinblick auf die sogenannten BDS-Kampagnen (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) sind Negativ-Schlagzeilen, die es beständig in die Top-Meldungen diverser deutscher Nachrichtensender schaffen und das Israel-Bild vieler Menschen negativ prägen.

Weniger schlagzeilenträchtig sind dagegen Meldungen, wonach die israelische Wirtschaft hervorragend dasteht, der Export boomt, die Arbeitslosigkeit mit 4,8 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren ist, das Land eine niedrige Inflationsrate genießt, die israelischen Start-ups von einer Innovationsfreude sind, die dazu führt, dass sie weltweit gesuchte Kooperationspartner sind.

Auch der immerwährende Verweis darauf, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist, kann weder die UN überzeugen, ihre Resolutionsflut gegen Israel zu zügeln, noch eine Berichterstattung gewährleisten, die man als unvoreingenommen bezeichnen kann.

Zudem müssen wir zunehmend eine Israelisierung des Antisemitismus zur Kenntnis nehmen. Einerseits ist das Bild der Israelis gegenüber den Deutschen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015 überraschend positiv.

Die deutsche Presse überschlägt sich vor Begeisterung darüber, dass eine große Zahl von Israelis nach Deutschland kommt – auch wenn dies eigentlich hauptsächlich für Berlin zutrifft.

Während also die positive Bewertung von Deutschland durch Israelis groß ist, müssen wir feststellen, dass anti-jüdische Ideenwelten zunehmend offen und unverblümt in Formen der Kritik an Israel gegossen werden, um so vermeintliche Legitimität zu erlangen.

Die dies äußern, sind keineswegs nur Alt-Nazis, Neonazis oder extreme Linke – im Gegenteil ist dieser vermeintlich antizionistische, in seinem Kern aber antisemitische Diskurs durchaus im Mainstream verankert.

Befeuert wird er durch immer zahlreicher werdende BDS-Kampagnen, die bundes- und weltweit nicht nur Schlagzeilen machen, sondern unter dem Deckmäntelchen eines scheinbar menschenrechtspolitischen Engagements Israel mit ihren Boykottaufrufen an den Pranger der Weltgeschichte stellen wollen.

Das, meine Damen und Herren, wird ihnen jedoch nicht gelingen.

Gemeinsam mit der Botschaft des Staates Israel, zivilgesellschaftlichen Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene arbeiten wir daran, dass es den BDS-Aktivisten nicht gelingen wird, Israel den „gelben Stern“ unter den Völkern anzuheften.

Antisemitismus ist auch Antisemitismus, wenn er unter dem Deckmäntelchen des Antizionismus daherkommt. Der sogenannte 3-D-Test für Antisemitismus, eine Methode, die den Unterschied zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus anhand der Kriterien Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung zu unterscheiden hilft, ist hierfür ein Lackmustest.

Wir freuen uns in diesem Zusammenhang sehr über den Beschluss der CDU vom Dezember vergangenen Jahres, die BDS-Kampagne als antisemitisch einzustufen.

Wir hoffen und arbeiten daran, dass auch andere Parteien diesem Beschluss folgen werden. Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards im Hinblick auf Israel werden wir nicht unwidersprochen hinnehmen.

Heute nicht, morgen nicht – auch nicht in Zukunft.

Unsere Solidarität gehört Israel, unabhängig davon, wo wir leben! Juden in Deutschland und der Welt ist Israel Herzenssache. Unsere Verbundenheit ist unverbrüchlich! Arbeiten wir gemeinsam daran, dass diejenigen, die ihr Leben und ihr Engagement Israel gewidmet haben und widmen werden, mit Stolz und Zufriedenheit auf dieses Land und seine Menschen blicken können.

Dass diese Verbundenheit von unserer jüdischen Jugend weitergetragen wird, daran arbeiten der Zentralrat der Juden und die Zentralwohlfahrtsstelle besonders erfolgreich und sie werden dieses Engagement auch zukünftig ausbauen.

Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, Israel ein Existenzrecht zuzubilligen, was im Übrigen von den allermeisten arabischen Staaten negiert wird, von der Hamas ganz zu schweigen. Israel existiert und ist auf starke Partner angewiesen, die ihre Solidarität gerade auch in schwierigen Zeiten deutlich machen.

Hier hat sich die Bundesregierung stets als verlässlicher Partner erwiesen, was wir zu schätzen wissen – auch wenn dies selbstverständlich Meinungsverschiedenheiten an der einen oder anderen Stelle nicht ausschließt.

Schließlich – und das zeigt die Geschichte des Zionismus ebenso wie ganz sicher auch diese Tagung: Auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sind die politischen Positionen nicht identisch.

Einig sind wir uns aber ganz sicher darin: Israel ist ein Teil von uns – und wir sind ein Teil von Israel. Ein Judentum ohne Israel ist schlicht undenkbar. Und ich denke, wir alle sollten diese Haltung ruhig auch mit einem entschiedenen, aber auch gelassenen Selbstbewusstsein deutlich machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich wünsche uns eine spannende Tagung, ertragreiche Diskussionen und vor allem eine Stärkung des Gefühls dazu, dass wir alle hier – unabhängig davon, wo wir leben und unabhängig davon, wo wir politisch stehen – eine unzertrennliche Einheit mit Israel bilden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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