Anrede,
ein wenig bin ich verleitet, mit jenem berühmten Zitat aus dem „Faust“ zu beginnen, dass genug der Worte gewechselt sind. Denn so viel Lob für meine Person, das ist mir fast zu viel der Ehre.
Umso mehr möchte ich mich bei Ihnen, sehr geehrte Frau Staatsministerin, für die Laudatio bedanken und natürlich und in erster Linie beim Deutschen Kulturrat für die Verleihung dieses Preises. Sehr geehrte Frau Prof. Keuchel, lieber Herr Zimmermann, wir arbeiten jetzt seit vielen Jahren auf den verschiedenen Ebenen unserer Verbände sehr gut zusammen. Und auch dafür danke ich Ihnen herzlich!
Ebenso möchte ich Ihnen, verehrte Frau Staatsministerin, zudem meinen Dank aussprechen für Ihr großes Engagement für die Erinnerungskultur, für Gedenkstätten und auch für Ihren Einsatz seit dem Anschlag von Halle 2019. Sie haben danach gemeinsam mit der „Initiative kulturelle Integration“ einen jährlichen „jüdischen Aktionstag“ ins Leben gerufen, den wir mit einer sehr sehenswerten Foto-Ausstellung gestartet haben.
Und in einer Woche findet anlässlich des Aktionstages eine Tagung in Berlin statt, bei der das Bild von Juden in den Medien beleuchtet wird.
Ohne Ihr Engagement, sehr geehrte Frau Grütters, wäre es zu diesem Aktionstag nicht gekommen!
Als Träger des diesjährigen Deutschen Kulturpolitikpreises möchte ich – gerade in diesem prachtvollen Gebäude und an dieser historischen Stätte – die Gelegenheit nutzen, um ein paar Gedanken über unsere Kulturpolitik und politische Kultur mit Ihnen zu teilen.
Verehrte Damen und Herren,
im Sommer dieses Jahres bin ich an einem Sonntag nach Gleusdorf gefahren. Dieser Name wird den meisten von Ihnen nichts sagen. Gleusdorf ist ein 200-Seelen-Ort in Unterfranken. Dort wurde die ehemalige Synagoge restauriert und neu gestaltet als Lern- und Begegnungsort, was an jenem Sonntag im Juni mit einer Feierstunde gewürdigt wurde.
Sie werden sich vielleicht fragen, warum mir so ein kleines Dorf mit seiner alten Synagoge so wichtig ist, dass ich dafür meinen freien Tag hergebe.
Mal abgesehen davon, dass Franken meine Heimat ist, liegt mir der Erhalt solcher kulturellen Spuren sehr am Herzen. Im 18. und 19. Jahrhundert hatte Unterfranken die höchste Dichte an jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland. Das fränkische Landjudentum spielt in der Geschichte Bayerns eine wichtige Rolle.
Und ich bin sehr froh, dass in sehr vielen Orten die früheren Synagogen, jüdischen Schulen und Mikwen, also die Ritualbäder, restauriert worden sind.
Das, meine Damen und Herren, ist für mich auch Kulturpolitik. Ich halte sie für ebenso wichtig, wie die Kulturpolitik auf Bundes- oder auf internationaler Ebene. Denn ich bin überzeugt, dass wir mit solchen lokalen Initiativen viele Bürger erreichen können, die nicht regelmäßig das Feuilleton der FAZ oder der „Zeit“ lesen und an denen geschichtspolitische Debatten völlig vorbeigehen.
Eine lebendige Erinnerungskultur und – was mir noch wichtiger ist – ein gutes Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden wird uns nur gelingen, wenn Wissen über die deutsche Geschichte und über das gegenwärtige jüdische Leben auch bei Menschen ohne akademische Bildung vorhanden ist. Und zwar in jeder Generation!
Das derzeit laufende Festjahr zu „1700 Jahren jüdischem Leben in Deutschland“ leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Es ist nicht nur so, dass im Rahmen dieses Festjahres sehr viele Veranstaltungen stattfinden. Sondern es zieht auch eine intensive Berichterstattung in den Medien nach sich. Gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird eine Fülle von Sendungen zum jüdischen Leben angeboten.
Die Medien werden jedoch seit einigen Jahren systematisch schlecht geredet und angegriffen. Das Rechtsaußen-Lager bezichtigt sie der Lüge oder fordert eine Gesinnungs-Überprüfung von „Tagesschau“-Redakteuren. Reporter werden auf Querdenker-Demos angegriffen. Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, finde ich sehr besorgniserregend.
Und daher möchte ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich die Medien loben. Es gibt sehr viel verantwortungsvolle und aufklärerische Arbeit.
Es muss unser aller Anliegen sein, die unabhängige Presse zu stärken und sie vor falschen Anschuldigungen zu schützen!
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Pressefreiheit von den Gegnern der Demokratie untergraben wird!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
nach meinem kurzen gedanklichen Ausflug ins kleine Gleusdorf möchte ich noch auf zwei sozusagen große kulturpolitische Debatten eingehen.
Wenige Meter von hier entfernt steht in seiner ganzen wilhelminischen Pracht das neu eröffnete Humboldt-Forum.
Ich bin weder Ethnologe noch Experte für Postkolonialismus. Daher möchte ich es mir auch nicht anmaßen, über die Ausstellung oder über einzelne Exponate im Humboldt-Forum zu urteilen. Generell halte ich es für gut, dass in Deutschland seit einiger Zeit intensiver und selbstkritisch über die Kolonialzeit und deren Folgen debattiert wird.
Denn in unserem Land gibt es bis heute Rassismus in vielen Formen. Und es ist wichtig, die historischen Bezüge zu kennen, wenn wir ihn bekämpfen wollen.
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Kolonialzeit wird allerdings verstärkt der Vergleich gezogen zur Aufarbeitung und Bedeutung der Schoa. Dies halte ich zum Teil für problematisch und gefährlich.
Problematisch und nicht akzeptabel wird es für mich, wenn bei Postkolonialisten zwischen den Zeilen die Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Zeit mitschwingt. Das scheint mir mitunter der Fall zu sein, wenn der Vorwurf erhoben wird, die Deutschen beschäftigten sich viel zu viel mit der Schoa und diese habe so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch in unserer Erinnerungskultur.
Es fehlt dann eigentlich nur, dass der Begriff des „Schuldkultes“ fiele, der unter Rechtsextremisten seit Jahren etabliert ist.
Auf jeden Fall rückt die Debatte dann in gefährliche Nähe zum sekundären Antisemitismus, bei dem uns Juden vorgeworfen wird, wir zögen Vorteile aus den Schuldgefühlen und dem schlechten Gewissen der Deutschen.
Auch die polemische These des australischen Historikers Dirk A. Moses, die Annahme von der Singularität oder der Präzedenzlosigkeit des Holocausts sei zum „Katechismus“ der Deutschen geworden, sehe ich problematisch. Ausgerechnet einen solch christlich geprägten Begriff wählt der Historiker für seinen Frontalangriff. Ebenso beklagt er vorgegebene „Sprachcodes“.
Meine Damen und Herren,
gerade die Postkolonialisten fordern kulturelle Sensibilität und Respekt ein. Dann darf ich das umgekehrt aber auch von ihnen erwarten! Vor allem aber erwarte ich von Wissenschaftlern ein hohes Verantwortungsbewusstsein.
Wenn sie sich berufen fühlen, von außen über die deutsche Erinnerungskultur und unseren Umgang mit der NS-Zeit zu urteilen – und das sollen sie ruhig tun – dann sollten sie auch beachten, in welchen aktuellen Kontext ihre Aussagen fallen.
Bei uns sitzen Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die daraus sofort einen Freibrief zur Relativierung der NS-Verbrechen lesen. Sie betrachten den Nationalsozialismus ohnehin nur als „Vogelschiss“. Sehr gerne wird von diesen Politikern von Rechtsaußen auch behauptet, es gebe Sprechverbote in Deutschland.
Ich möchte - um das ganz klar zu stellen - keinem Wissenschaftler in dieser Debatte unterstellen, Rechtsextremisten nahe zu stehen. Das wäre völlig absurd. Doch alle, die Aufsätze verbreiten und die Feuilletons füllen mit der Infragestellung unseres Umgangs mit der Schoa und der Nazi-Zeit sollten sich auch darüber Gedanken machen, wie ihre Thesen gelesen werden können, wie die aktuelle politische Lage in Deutschland ist.
In Wahrheit können wir doch gar nicht mehr davon sprechen, dass die Erinnerung an die Schoa über die Generationen hinweg gepflegt wird oder die Frage der Singularität des Holocausts im allgemeinen Bewusstsein ist.
Vielmehr stehen wir vor der Herausforderung, eine Erinnerungskultur zu entwickeln, die junge Menschen erreicht, für die das Geschehen inzwischen sehr weit weg ist. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, in den Familien ist die Verstrickung der Urgroßeltern in die NS-Zeit kein Thema mehr, und jungen Menschen mit Migrationshintergrund müssen wir ohnehin einen neuen Zugang zu diesem Teil der deutschen Geschichte eröffnen.
Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit muss in jeder Generation neu geleistet werden. Einen Schlussstrich zu ziehen oder die Bedeutung der Schoa zu relativieren, weil sonst angeblich andere Geschichtsepochen zu wenig reflektiert würden – das wäre fatal!
Das fehlende historische Wissen ist ein Grund, warum wir – gerade im Zuge der Corona-Pandemie – mit einem wachsenden Antisemitismus zu kämpfen haben. Und das mangelnde historische Wissen ist meines Erachtens auch einer der Gründe, warum die Politik Israels hierzulande häufig falsch bewertet wird.
Damit, meine Damen und Herren, möchte ich zum Schluss noch ein Thema kurz anschneiden: die israelfeindliche Boykottbewegung BDS und die Haltung von Teilen des Kulturbetriebs zu dieser Bewegung.
Denn auch hier fehlt mir bei einigen Kulturschaffenden und Vertretern von Kultur-Institutionen ein angemessenes Verantwortungsbewusstsein.
Der Bundestag hat 2020 fraktionsübergreifend einen Beschluss gefasst, in dem die Boykottbewegung kritisch beleuchtet wird. Ihre Methoden und Argumentationsmuster werden zu Recht als antisemitisch eingestuft. Zudem forderte der Bundestag, der BDS-Bewegung keine Räume oder finanzielle Unterstützung zu gewährleisten. Rechtlich bindend ist dieser Beschluss für Länder und Kommunen nicht.
Dennoch nahmen Ende vergangenen Jahres Vertreter von großen deutschen Kultureinrichtungen den Beschluss zum Anlass, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beklagen.
Die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ warnte vor einer Einschränkung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit durch eine missbräuchliche Verwendung des Antisemitismus-Vorwurfs. Sie versäumte es allerdings zu beschreiben, wie häufig bereits israelische Künstler benachteiligt sind durch das Agieren der BDS-Bewegung. Auch der wirklich empörende Vorfall, als BDS-Aktivisten eine Veranstaltung mit einer Schoa-Überlebenden hier in der Humboldt-Universität störten, floss in die Gedanken der Erklärung offenbar nicht ein.
Meine Damen und Herren,
wenn sich Künstler, Wissenschaftler oder andere Intellektuelle der BDS-Bewegung anschließen oder dafür plädieren, dass Israelis irgendwo ausgeladen werden, nur weil sie jüdische Israelis sind – dann müssen sie es auch ertragen, dass ihre Haltung als das benannt wird, was sie ist: antisemitisch.
Das hat mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit nichts zu tun, denn Antisemitismus ist keine Meinung!
Der Duktus der Erklärung suggerierte jedoch, dass in Deutschland die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde und ein Tabu bestehe, Israels Politik zu kritisieren. Das Plädoyer spielte damit – vermutlich ungewollt - radikalen Kräften in die Hände, die die Mär einer vermeintlichen „Meinungsdiktatur“ seit langem verbreiten. Es ist daher geeignet, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem antisemitische Positionen als legitim betrachtet werden.
Wenn Leiter renommierter Kulturinstitutionen solche Erklärungen verfassen, werden sie meiner Meinung nach damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Sie sollten vielmehr den antidemokratischen Kräften in unserem Land entgegenwirken.
Denn es geht darum, wie es um unsere politische Kultur in Deutschland bestellt ist. Und so wie die Aufarbeitung der NS-Zeit immer wieder neu geleistet werden muss, und so wie wir unsere Erinnerungskultur immer wieder neu erarbeiten müssen, so gilt es auch, die demokratischen Grundrechte immer wieder neu zu verteidigen.
Eines ist jedoch ein Fakt: Dass wir so intensiv solche Debatten, wie die von mir erwähnten, öffentlich führen können, zeigt ja gerade, wie gut es um unsere Meinungs- und Pressefreiheit bestellt ist.
Daher konnte auch ich mir heute Abend die Freiheit nehmen, meine Gedanken diesen Debatten hinzuzufügen.
Abschließend möchte ich allerdings noch einmal meinen Dank aussprechen – für diese Ehrung durch den Deutschen Kulturrat. Sehr gerne werden wir auch weiterhin mit Ihnen Projekte und Konferenzen zu solch schwierigen und wichtigen Themen durchführen.