Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an den Bundesminister des Auswärtigen, Dr. h. c. Joschka Fischer



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel im Rahmen der Zentralen Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit 2003 in Münster

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Es sind zwei Ereignisse, die mir sofort in den Sinn kommen, wenn ich an Joschka Fischer denke:

Da ist der Bundesaußenminister im vorletzten Jahr auf Visite in Israel. Und ein unglücklicher Zufall will es, dass er Zeuge wird eines der schrecklichsten Selbstmordattentate in Tel Aviv vor dem Dolphinarium, bei dem zwanzig Jugendliche, die ganz einfach nur in die Diskothek wollten, auf grausame Weise durch einen Selbstmordattentäter ermordet wurden.

Joschka Fischer begibt sich als einer der ersten unmittelbar nach dem Anschlag zum Ort des schrecklichen Geschehens, um die Toten zu ehren, ihrer zu gedenken, seiner Solidarität mit den Hinterbliebenen sichtbar Ausdruck zu verleihen. Sein Gesicht spricht Bände: Es ist nicht das übliche, für das Fernsehen aufgesetzte seriös-nachdenkliche Gesicht von Berufspolitikern, wie man es leider nur all zu oft von so vielen offiziellen Gedenk- und Trauerfeiern kennt. Nein, aus Mimik und Gestik des Bundesaußenministers sprechen Entsetzen, Schock, Verzweiflung – und das tiefe Begreifen der Tragik des Nahost-Konflikts, die er nun hautnah miterleben musste. Dieses Begreifen, das den Menschen Joschka Fischer, nicht etwa den Grünen-Politiker, nicht etwa den Außenminister Deutschlands erfasst, dieses Begreifen um die Alltags-Dimension des Konflikts lässt Joschka Fischer nicht ruhen, in jenen Tagen in einer Art Pendeldiplomatie das Schlimmste zu verhüten.

Und es gelingt ihm. Nicht erst seit jenen Tagen im Juni 2001 ist Joschka Fischer ein angesehener und respektierter Vermittler zwischen den israelisch­palästinensischen Fronten geworden. Doch spätestens seitdem hat der Bundesaußenminister eine Position in Nahost, vor allem aber in Israel, errungen, die kein anderer europäischer Politiker inne hat.

Das Mitleiden, das Mitfühlen der Angst, des Schmerzes, das Begreifen der Wut, des Hasses beider Seiten machen Fischer zu einem überzeugenden Mediator, dem niemand, nicht Sharon, nicht Arafat, Parteilichkeit vorwerfen kann. Denn sein Einsatz für eine Lösung in Nahost ist nicht der Versuch, Israel und/oder der Palästinensischen Autonomiebehörde zu helfen, sondern den Menschen, hüben wie drüben.

Dabei lässt Joschka Fischer, der deutsche Nachkriegspolitiker, niemals Zweifel daran, in welcher Verpflichtung er aufgrund der Geschichte seines Landes steht. Seine Verantwortung für die Sicherheit Israels, für das Existenzrecht des jüdischen Staates ist nicht nur Lippenbekenntnis sondern aktive Tat. Und – es gelingt ihm, trotz dieser inneren Verpflichtung, auch den Palästinensern als ehrlicher Makler zu dienen. Auch dafür gebührt ihm die Ehrung des heutigen Tages, gerade wenn man an die Lehre denkt der Namensgeber der Medaille, die Joschka Fischer heute erhält.

Denn Martin Bubers philosophischer Ansatz, mit dem „Du“, mit dem „Anderen“, dem „Gegenüber“ in Dialog zu treten, seine Forderung, den Gesprächspartner in seiner gesamten Wesenheit wahrzunehmen und als solches auch wirklich anzunehmen – das scheint Joschka Fischers ganz selbstverständliches Credo zu sein in seinen Bemühungen, Israel und den Palästinensern zu helfen, endlich in Frieden zu leben.

Es ist das Pech, sozusagen das „Künstlerpech“, Joschka Fischers, Außenminister „nur“ der Bundesrepublik zu sein, also eines Landes, dessen wirtschaftliche und diplomatische Möglichkeiten nicht ausreichen, um im Nahen Osten Vorschläge, Ratschläge durchzusetzen oder den Regierungen vor Ort gewisse Anreize für die Umsetzung seiner Friedensvisionen anzubieten. Hinzu kommt: Joschka Fischer ist Außenminister eines Landes, das auf dem europäischen Kontinent liegt. Und dieses Europa, das sich in einem für die Menschheit einmaligen politischen Akt bemüht, zu einer su-pranationalen Einheit und Identität zu gelangen, ist in diesem Augenblick, wie wir alle täglich miterleben können, in seinen nationalen Identitäten, Eitelkeiten und Interessen ganz offensichtlich gespaltener und zerstrittener denn je. Insofern erscheint Joschka Fischer vielen wie ein unglücklicher Don Quichotte, wenn er immer wieder in den Nahen Osten reist und versucht, mit irgendwelchen greifbaren Ergebnissen zurückzukommen. Die Zyniker, die Abgebrühten mokieren sich: er solle nicht den großen Staatsmann spielen, er sei schließlich nicht der Außenminister der USA, was will er dort eigentlich?

Doch Fischers unermüdlicher Einsatz für einen friedlichen Nahen Osten, für die Sicherheit Israels, ist genau das, was wir Bürger von Politikern doch stets einfordern: Jenseits von Zynismus und Kaltschnäuzigkeit das Unmögliche versuchen, eben nicht die inhaltsleere Geschäftigkeit des Berufspolitikers an den Tag zu legen, die uns Wählern großes Engagement suggerieren soll, sondern sich, trotz aller Skepsis, trotz aller Beschränkungen, glaubwürdig einzusetzen. Insofern ist Joschka Fischer der Sisyphus des Nahen Ostens. Und Martin Buber hätte seine helle Freude an diesem Realpolitiker voller Idealismus.

Ich sprach eingangs von zwei Ereignissen, die mir sofort einfallen, wenn ich an Joschka Fischer denke. Seine Bewegtheit, seine persönliche Erschütterung in Tel Aviv ist eines davon.

Das andere, für uns Juden in Deutschland ein ebenso wichtiges Ereignis: Sein Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, als die sogenannte Antisemitismus-Debatte im vergangenen Jahr ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Sein Bekenntnis zur jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sein Engagement gegen den Antisemitismus, der sich in zahlreichen Äußerungen deutscher Politiker aus der so genannten Mitte der Demokratie offenbarte, vor allem aber sein tiefes, feinfühliges Begreifen unserer psychologischen Befindlichkeit, das ihn veranlasste, eindringlich davor zu warnen, die jüdischen Bürger dieses Landes erneut allein zu lassen – dieses vehemente „J’accuse“ eines deutschen Politikers – das war das richtige Wort zur richtigen Zeit am richtigen Platz vom richtigen Mann. Es stand im Raum der öffentlichen Diskussion wie ein Monolith und beschämte fast die gesamte politische Klasse, die wenngleich kritisch gegenüber Möllemann, sich im Wahlkampf doch offenbar lieber nicht so recht „outen“ wollte, um potentielle Wähler besser nicht zu verschrecken, und dabei konnte es sich wohl nur um jene Wähler handeln, die als antisemitisch eingestellt galten.

Joschka Fischer interessierte das alles wenig. Er beherzigte, was die Gründergeneration der Bundesrepublik immer als deutsches Mantra predigte: Aus der Vergangenheit lernen! Joschka Fischer hat das getan. Er hat aus der Vergangenheit seines Landes, aber auch aus seiner persönlichen Vergangenheit gelernt. Und wir Juden, die wir nun doch allzu gut unterscheiden können zwischen Anbiederung und ehrlicher Sympathie, zwischen Pose und Sensibilität, haben in Joschka Fischer einen Freund, für den die Begriffe der französischen Revolution: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit nicht leere Worthülsen sind. Mit großem persönlichem Risiko versucht er diese Ideale der Aufklärung umzusetzen.

Sein FAZ-Artikel beschämte all diejenigen, die uns sonst immer, in sicheren, friedlichen Zeiten, mit salbungsvollen Worten zur Seite stehen. Ich will jetzt nicht auf einzelne Gruppen eingehen, doch zumindest eine mag ich hier nicht unerwähnt lassen. Denn es hat schon beinahe etwas Tragikomisches, wenn ein Politiker, also ein Mensch, der einem Berufsstand angehört, der allgemein nur noch gescholten, verhöhnt und beschimpft wird, wenn also ein Politiker das tut, was man normalerweise von den Intellektuellen eines Landes in solch einer Situation erwartet, ja erwarten muss.

Joschka Fischer ist ein Deutscher, dem es glaubhaft gelungen ist, aus der schrecklichen Vergangenheit dieses Landes Lehren zu ziehen. Sein unermüdlicher Einsatz für ein besseres Miteinander in der Bundesrepublik, sein überzeugender Einsatz für eine bessere Welt, ein sicheres Israel, ein friedliches Palästina, seine Treue und Verlässlichkeit gegenüber uns jüdischen Menschen in Deutschland, lässt uns Nachgeborene erahnen, wie einstmals das oft zitierte deutsch-jüdische Verhältnis, zumindest in Teilen der Gesellschaft, vor der Shoa gewesen sein muss – oder wie es hätte sein sollen. Und wie es auch künftig sein könnte und sein sollte.

Denn es zeigt uns, was in diesem Land an positivem Potential möglich ist, allerdings auch, wie viele Defizite in dieser Republik noch existieren und was noch alles zu tun ist. Insofern ist Joschka Fischer wirkliches Vorbild, denn er setzt Maßstäbe im Umgang zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen, zwischen Deutschen und Israelis. Die Lehre Franz Rosenzweigs und Martin Bubers hat er zutiefst verstanden und verinnerlicht. Sie geht weit über das Jüdische hinaus. Es ist die Lehre eines grenzüberschreitenden Humanismus, der Kraft, Mut und unermüdliche Beharrlichkeit verlangt.

Joschka Fischer ist ein würdiger Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille. Wir alle sollten stolz und dankbar sein, dass er die verdiente Würdigung für sein Tun erhält und annimmt.

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