Das Attribut „historisch“ sollte man zurückhaltend verwenden. Doch heute ist tatsächlich ein historischer Tag:
Mit der Unterzeichnung des Militärseelsorge-Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden beschreiten wir ganz neue Wege!
Zwar waren einst Militärrabbiner in Deutschland und sind heute in vielen Armeen der Nato eine Selbstverständlichkeit. Ebenso wie es evangelische und katholische Seelsorger für die Soldaten gibt, gibt es auch jüdische.
Doch in Deutschland gab es seit der Machübernahme durch die Nationalsozialisten keine Juden mehr in der Wehrmacht und damit natürlich auch keine Militärrabbiner. Und die Gründe, warum die jüdische Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg – bis auf ganz wenige Ausnahmen – mit großer Distanz auf die neue Bundeswehr blickte – diese Gründe muss ich niemandem erläutern.
Doch ebenso wie die Bundeswehr ein Teil des demokratischen Deutschlands ist, ist dies auch die jüdische Gemeinschaft. Es wuchs unser Vertrauen in diesen Staat. Und es wuchs das Gefühl, Deutschland ganz selbstverständlich als Zuhause zu betrachten.
Wer sich als Teil einer demokratischen Gesellschaft versteht, möchte und sollte auch Verantwortung übernehmen. Für uns heißt das: Wir möchten für die jüdischen Soldaten in der Bundeswehr da sein, und wir möchten in die Bundeswehr positiv hineinwirken.
Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft – es sollte ein positives Spiegelbild sein.
Mit unserem Angebot, Rabbiner für das Militär zur Verfügung zu stellen, stießen wir sowohl bei der Bundeswehr als auch bei den Kirchen auf offene Ohren. Denn alle Beteiligten betrachten die jüdische Militärseelsorge als Erweiterung des Horizonts. Die Rabbinerinnen und Rabbiner werden Ansprechpartner für alle Soldaten sein. Es wird nicht nur um Seelsorge für die jüdischen Soldaten gehen, sondern um Unterstützung aller Soldaten.
Persönlich bedanken möchte ich mich bei der Deutschen Bischofskonferenz und bei der Evangelischen Kirche in Deutschland, sowie der katholischen und evangelischen Militärseelsorge, die die Idee jüdischer Seelsorge bei der Bundeswehr vom ersten Moment an unterstützt haben und uns auf dem Weg zur Einrichtung des Militärrabbinats begleiten. Nur im Zusammenspiel mit den christlichen Kollegen werden die Militärrabbiner in ihrem Wirken in der Bundeswehr erfolgreich sein können.
Sie, sehr geehrter Herr Bischof Rink, haben das im April bei einer von uns veranstalteten Konferenz ganz wunderbar formuliert. Die Militärgeistlichen seien „Fenster ins Zivile“, sagten Sie.
In der Tat: In der straffen Struktur der Bundeswehr bilden die Militärgeistlichen quasi kleine Inseln. Ruhepole, bei denen die Soldaten Kraft schöpfen oder auch mal ihren Kummer loswerden können.
Wir sollten auch nie vergessen: Für Soldaten kann es durchaus um existenzielle Fragen gehen. Nämlich um Fragen von Leben und Tod. Und so gehört auch die Betreuung von Angehörigen in der Heimat oder nach dem Tod eines Soldaten zu den Aufgaben der Militärseelsorge.
Daneben spielt der Lebenskundliche Unterricht aus unserer Sicht eine sehr wichtige Rolle. Dabei geht es um die Wertebildung der Soldaten. Von Militärrabbinern aus dem Ausland hören wir, dass sie zudem Wissen über das Judentum vermitteln. Warum sollte nicht in einer Kaserne neben dem Weihnachtsbaum auch eine Chanukkia entzündet werden? Und christliche Soldaten, die einmal an Pessach einen Seder-Abend erleben, lernen dabei auch viel über die Wurzeln der eigenen Religion.
Den Horizont der Soldaten zu erweitern, trägt zum inneren Frieden in der Bundeswehr ebenso bei wie zum Frieden in unserer Gesellschaft. Denn beides wirkt ineinander. Ich bin davon überzeugt, dass Soldaten, die sich mit einem Rabbiner ausgetauscht und jüdische Feiertage einmal selbst miterlebt haben, weniger anfällig sind für antisemitische Ressentiments.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
am Sonntag beginnt bei uns Chanukka und Christen feiern den vierten Advent. Daher möchte ich Ihnen zum Abschluss eine Begebenheit aus dem Ersten Weltkrieg erzählen, von der bei unserer Konferenz im April die Historiker Sabine Hank und Hermann Simon berichtet hatten:
Der Feldrabbiner Fritz Bernstein wurde 1918 von der Lazarett-Leitung in der Nähe von Danzig gebeten, bei der Weihnachtsfeier eine Rede zu halten. Denn der christliche Geistliche war nicht mehr am Standort der Garnison. Eine Weihnachtsansprache von einem Rabbiner – das passt nicht richtig gut zusammen. Und so rettete sich Fritz Bernstein, indem er sagte, eine Weihnachtsrede werde er nicht halten, aber als religiöser Mensch zu Menschen sprechen.
Solche Brücken zwischen den Religionen zu bauen – das ist der Weg, den wir mit der jüdischen Militärseelsorge beschreiten möchten.
Verehrte Frau Ministerin, ich möchte Ihnen und der gesamten Regierung für die partnerschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit danken. Allein die Geschwindigkeit, in der der Staatsvertrag zur Einrichtung der jüdischen Militärseelsorge innerhalb der Bundeswehr verhandelt und entwickelt wurde zeigt, dass die Bundesregierung es ernst meint. Es ernst meint, wenn sie darüber spricht, dass in unserer Gesellschaft kein Platz sein darf für Antisemitismus und sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzt.
Aber auch den vielen Parlamentariern, die sich als Mitglieder des Verteidigungsausschusses, als religionspolitische Sprecher aller demokratischen Fraktionen oder einfach so aus tiefer Überzeugung für die Einrichtung jüdischer Militärseelsorge eingesetzt haben, danke ich von Herzen!
Auch danke ich ganz ausdrücklich den Mitarbeitern des Zentralrats und des Verteidigungsministeriums, die mit viel Engagement diesen Staatsvertrag erarbeitet haben! Aber auch den Rabbinern der Orthodoxen und Allgemeinen Rabbinerkonferenz, die die Entstehung der jüdischen Militärseelsorge unterstützend begleitet haben.
Damit ist es uns gelungen, dass genau 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Militärrabbiner und –rabbinerinnen ihren Dienst in der Bundeswehr aufnehmen werden. Das ist ein Signal für die Verankerung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und für die Stärke der Demokratie!
Ich danke Ihnen und freue mich jetzt auf die Ansprache der Verteidigungsministerin!
Berlin der 20.12.2019