Rede zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2000



"Von sich wollte er selten sprechen, aber alles, was er sagte, spricht von ihm.“ Diese Worte, die Leo Baeck für Moses Mendelsohn, einen anderen Berliner Juden, fand, galten in vollem Umfang für ihn selbst. Dies wird besonders deutlich, wo Leo Baeck vom Judentum schreibt. Lassen Sie mich ein kurzes Stück dazu zitieren:

"Hier ist alles durch den Glauben an den Menschen bestimmt, durch die Ehrfurcht vor seiner Freiheit und ihrem Schöpfergebot, durch die Gewissheit dessen, daß über alle Ungleichheit hinweg die Fähigkeit des Guten in jede Menschenseele gepflanzt ist und die sittliche Aufgabe jeden fordert, alle verbindet, sie alle für einander beansprucht. Nicht der vollkommene Staat mit seinem vollkommenen Gesetz ist hier das eine, das not tut; der Mensch ist es mit seiner Tat, mit seiner Kraft, das Gute zu schaffen. Auch im sozialen ist er die stärkste, eigentliche Realität, die Wirklichkeit, durch die erst das Gesetz seine Wirklichkeit erhält. Nicht so ist es, daß der neue Staat den neuen Menschen bringt, sondern so das durch den neuen Menschen die neue Gesellschaft wird, durch die sittliche Persönlichkeit die sittliche Gemeinschaft. Darum gründet sich das Soziale hier auf das Menschenrecht und die aus ihm, folgende Verantwortlichkeit des einen für den anderen, auf die Anerkennung des Menschen durch den Menschen. Das Wort vom sozialen ist nicht das vom Staate, sondern das vom Bruder.“ (Das Wesen des Judentums)

Um Personen auszuzeichnen, deren Charakter und Tätigkeit dazu beitragen, Religiösität, Wohltätigkeit und Humanität im Sinne Leo Baecks fortzupflanzen, hat der Zentralrat vor mehr als 30 Jahren den nach diesem außerordentlichen Mann benannten Preis gestiftet.

Heute, sehr verehrte Frau Springer, werden Sie mit diesem Preis ausgezeichnet, und das ist mir persönlich eine ganz besonders große Freude.

Der Namensgeber dieses Preises, Rabbiner Leo Baeck, steht für Klugheit und Weisheit, für Menschlichkeit und für Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden. Der große deutsche Rabbiner Leo Baeck hat im 20. Jahrhundert als Rabbiner und Lehrer, als Denker und Philosoph gewirkt, und er hat als Häftling im Konzentrationslager Theresienstadt Menschlichkeit und Hoffnung in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte verkörpert. Das Handeln Leo Baecks wird nie vergessen werden, und aus der Erinnerung an diesen bedeutenden Humanisten ergeben sich deutliche Bezüge zum Werk der diesjährigen Preisträgerin, zu Ihnen, verehrte Frau Springer.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland vergibt den Leo-Baeck-Preis, um Menschen zu ehren, die uns durch Menschlichkeit und Wärme, durch Engagement und das Bemühen um Verständigung das Gefühl vermitteln, daß jüdisches Leben in Deutschland nicht nur willkommen sondern ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft ist.

Ein solcher Mensch ist Friede Springer. Ich will hier der Laudatio von Arthur Cohn nicht vorgreifen, aber erlauben Sie mir dennoch einige persönliche Worte. Sie, verehrte Frau Springer, haben sich stets für die Belange der Juden in Deutschland aber auch für die Israels nicht nur interessiert sondern überzeugend engagiert. Sie haben den Dialog gesucht und beharrlich fortgesetzt. Damit haben Sie in besonderer Weise das Engagement Ihres verstorbenen Mannes Axel Cäsar Springer fortgesetzt. Seine Texte, die wir später - dankenswerter Weise vorgetragen von einem der bekanntesten und beliebtesten deutschen Schauspieler, Uwe Friedrichsen - hören werden, hat Frau Springer persönlich ausgewählt. Sie werden mir gewiß zustimmen, dass diese Texte gerade in diesen Tagen von außerordentlicher Aktualität sind. Lassen Sie mich einen Satz zitieren. Axel Springer schrieb 1981: "Rechtsextremismus und Antisemitismus nehmen leider in vielen Teilen der Welt zu. Aber nach dem, was bei uns geschehen ist, ist ein Wiedererwachen von Rechtsextremismus oder Antisemitismus bei uns schlimmer als irgendwo sonst in der Welt." Welche Wahrheit in diesen Worten, vor fast 20 Jahren aus Anlaß der Verleihung des Konrad-Adenauer-Freiheitspreises an ihn steckt, sehen wir heute.

Axel Springer hätte sich, wie wir wahrscheinlich alle hier, in seinen schlimmsten Träumen nicht vorgestellt, in welcher Situation wir uns am Beginn des neuen Jahrhunderts - in diesen Tagen ­wiederfinden. Der Rechtsextremismus tritt so frech und unverhohlen auf, so bedrohlich für eine ganze Reihe vor Minderheiten und so gefährlich für die demokratische Kultur in unserem Land, wie es sich vor zehn, vor zwanzig Jahren niemand von uns vorgestellt hätte.

Die Ministerpräsidenten haben sich nun gemeinsam mit den Innenministern unter dem Druck der Ereignisse entschlossen, einen Verbotsantrag gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht zu stellen. Ich hoffe natürlich, daß dieser Antrag Erfolg haben wird, erlaube mir aber die Frage, warum man in der mehr als dreißigjährigen Geschichte dieser Partei deren Verfassungsfragwürdigkeit nicht schon früher erkannt oder zumindest hinterfragt hat. Wer dem rechtsradikalen, rassistischen Pöbel auf unseren Straßen ein Dach, eine Organisationsform und eine Plattform gegeben hat, war möglicherweise auch schon früher verfassungsfeindlich.

Das beste "Verbot" einer solchen Partei allerdings wäre es, wenn der Wähler, und zwar jeder demokratische Wähler, ihr in der Wahlkabine eine Absage erteilte. So wäre dann auch nicht die groteske Situation entstanden, daß der Steuerzahler durch die Wahlkampfkosten-Erstattung solch rassistische und demagogische Parteien auch noch finanzieren muss.

Der Bundeskanzler hat, als er wenige Stunden nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf war, einen „Aufstand der Anständigen" eingefordert. Damit hat er dem deutschen Volk folgende wichtige Botschaft übermittelt: Der Antisemitismus richtet sich gegen die Juden, aber er ist nicht deren Problem allein, sondern dies geht alle an. Ich meine auch, der Antisemitismus als Teil der Fremdenfeindlichkeit ist das Problem der nichtjüdischen demokratischen Gesellschaft, die ihn um ihrer eigenen Würde und Integrität willen nicht zulassen darf. Ganz zu schweigen davon, daß solcher Rassismus pure Menschenfeindlichkeit ist, die sich mit den Prinzipien eines demokratischen Staates wie der Bundesrepublik Deutschland in der Tat nicht verträgt.

Dem Aufruf von Bundeskanzler Gerhard Schröder sind in diesen Wochen überwältigend viele Menschen gefolgt. Sie haben uns in Briefen und e-mails, in Anrufen und öffentlichen Stellungnahmen ihre Anteilnahme bekundet und uns versichert, dass menschenverachtende und rassistische Gesinnung und Handeln in Deutschland nie wieder eine Mehrheit finden werden. In Dortmund, Düsseldorf und Kassel sind Zehntausende auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland zu protestieren.

Mit der besten Absicht, mit der untadeligsten Gesinnung, sprechen bei öffentlicher und offiziellen Gelegenheit viele von uns Juden als von den „Jüdischen Mitbürgern“. Dieser Bezeichnung, das sehe ich wohl, liegt häufig eine Befangenheit zugrunde, die es dem einen oder anderen schwer macht, schlicht von "Juden" zu sprechen, wenn sie uns meinen. Ich wäre froh, wenn man diese Befangenheit ablegen könnte und einen Juden ebenso selbstverständlich als Deutschen anerkennt wie einen Christen. Es gehört meines Erachtens zu einer anzustrebenden Normalität in Deutschland, daß wir keine „Jüdischen Mitbürger" sind und auch nicht als solche sprachlich ausgegrenzt sein wollen. Ein jüdischer Deutscher ist ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland - mit denselben Rechten und Pflichten wie ein christlicher Deutscher.

Unzweifelhaft hat die Schoa die Beziehung zwischen Juden und Nicht-Juden, wie sie in Deutschland vor 1933 einmal bestanden hat, wohl für immer ausgelöscht. Es gilt aber, eine neue und ebenso normale Beziehung behutsam aufzubauen. Zur Erreichung einer Normalität auf diesem Gebiet gehört dann aber auch, daß die Verletzungen, unter denen die Überlebenden und ihre Kinder leiden, von den Kindern der Täter wahrgenommen und in der Kommunikation miteinander berücksichtigt werden. Dazu gehört aber auch, daß das Jüdisch-Sein nicht auf den Holocaust begrenzt, daß jüdische Kultur wahrgenommen wird in ihrer historischen Dimension und wie diese jüdische Kultur heute in Deutschland wieder zu existieren beginnt.

Und da wird es verständlich, daß wir es nicht allzu gern sehen, wenn wir mit dem gut gemeinten, aber ein wenig herablassend-fürsorglichen Begriff des "jüdischen Mitbürgers" bezeichnet werden.

Sie, sehr verehrte und liebe Frau Springer, haben uns immer in unserer Ganzheit gesehen. Sie haben den Dialog mit uns gesucht und damit in beherzter Weise das Werk Ihres verstorbenen Mannes Axel Cäsar Springer fortgeführt. Sie haben das Werk ihres Mannes aber auch auf einem anderen Gebiet ebenso engagiert fortgesetzt. Ich meine die Unterstützung des Aufbauwerkes in Israel. Wie schon Ihr Mann setzen Sie sich mit beispielhaftem Engagement für die Existenz des Staates Israel in gesicherten Grenzen ein. Darüber hinaus unterstützen Sie in Fortsetzung des Engagements Ihres Mannes unter anderem die humanitären und wissenschaftlichen Bestrebungen des jungen jüdischen Staates. Auch dafür gebührt Ihnen unser Dank und unsere Anerkennung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle meine große Sorge über die gegenwärtige Situation in Israel zum Ausdruck bringen. Ein erfolgreicher Abschluß des Friedensprozesses scheint in diesen Tagen so weit entfernt wie nie seit der Gründung des Staates Israel. Bei der Beurteilung der grausamen und furchtbaren Ereignisse der letzten Wochen möchte ich jedoch vor allzu pauschalen Schuldzuweisungen gegenüber der israelischen Regierung warnen. Wer in dieser Situation dem israelischen Staat und seiner Armee die Verantwortung für die fortschreitende Eskalation der Gewalt zuschreibt, der verschließt die Augen vor den wahren Realitäten in diesem Konflikt. Leider habe ich auch zunehmend den Eindruck, daß der überwiegende Teil vor allem der elektronischen Medien in ihrer Berichterstattung hierzulande, wie auch weltweit, die gebotene und nötige Objektivität vermissen lässt. Wir alle haben das schreckliche Bild des getöteten Jungen in den Armen seines Vaters in Erinnerung. Wer aber fragt danach oder berichtet sogar darüber, was der Junge mitten in den Auseinandersetzungen zu suchen hatte und wie er vor allem an den Ort des Geschehens kam? Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Tod des Jungen war schrecklich und sinnlos. Die Schuldigen aber ausschließlich auf der israelischen Seite zu suchen, wäre zu einfach. Denn jüdische Soldaten sind keine blutrünstigen Monster sondern ebenso Väter und Brüder, die ihre Familien lieben und schützen.

Wir alle hoffen inständig, daß es bald zu einem tragfähigen und für beide Seiten akzeptablen Frieden kommt und weiteres Blutvergießen verhindert wird. Nichts aber kann die terroristischen Anschläge und die Haltung derjenigen rechtfertigen, die dem Terror mit Nachsicht begegnen. Der sogenannte Friedenspartner schießt wieder einmal auf den „zionistischen Feind“, wirft mit Steinen und Molotow-Cocktails, lyncht auf brutalste Weise und droht mit einer blutigen Intifada. Ich bin der Ansicht daß es für einen gemeinsamen Frieden trotzdem noch nicht zu spät ist. Deshalb ermuntere ich die Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder, in die Vermittlung eines solchen Friedensplanes zusammen mit den USA maßgeblich einzutreten und ihr Gewicht einzubringen, damit die bisherigen Gesprächspartner so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die Verhandlungen in Camp David sind von Herrn Arafat abgebrochen worden, obwohl die Kompromissbereitschaft der israelischen Regierung zu diesem Zeitpunkt so weitgehend und entgegenkommend war wie niemals zuvor.

Ich bin aber auch kein Träumer. Wenn die internationale Vermittlung scheitert und sich die Gegenseite für einen Krieg entscheidet, dann muß Israel vorbereitet sein. Unsere jüdischen Schwestern und Brüder in Israel können sich darauf verlassen, dass wir - die Juden in Deutschland wie überall auf der Welt - solidarisch und loyal zu ihnen stehen. Abschließend gestatten Sie mir, dem weiteren Ehrengast des heutigen Tages, Herrn Arthur Cohn, dafür zu danken, dass er die Aufgabe übernommen hat, die Laudatio auf die Preisträgerin zu halten. Bei dieser Gelegenheit gratuliere ich ihm - bestimmt in Ihrer aller Namen - sehr herzlich zur Auszeichnung mit dem weltweit begehrtesten Preis für Filmschaffende, dem "0scar" für seinen bemerkenswerten Film „Ein Tag im September".

Herr Cohn wird zu unser aller Freude jetzt Ihre Verdienste, liebe Frau Springer, noch treffender zu würdigen wissen, als ich dies in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit tun konnte.

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