Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann, bei der Trauerfeier für Frank Schirrmacher, 5.9.2014, Paulskirche, Frankfurt am Main (Manuskript)



Sehr geehrte Familie,

sehr verehrter Herr Bundespräsident,

Liebe Frau Schadt,

Herr Ministerpräsident,

Herr Oberbürgermeister,

Herr Steltzner,

Herr Professor Gumbrecht,

Verehrte Gäste und Ehrengäste,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Über Frank Schirrmacher ist in den letzten Wochen und Monaten viel gesagt und geschrieben worden. So viel Lob hat, soweit ich es sehe, noch kein Journalist in diesem Land überhaupt jemals bekommen. Alles ganz sicher zu Recht.

Denn ohne jeden Zweifel: Frank Schirrmacher war der klügste Kopf im ganzen Land.

Freilich: Warum muss man denn erst sterben, um so viele verdiente Lobeshymnen zu erhalten?

Auf jeden Fall: Ich werde ich mich hier sozusagen auf die jüdische Perspektive konzentrieren und beschränken, auch hier gibt es, wie eigentlich fast immer, eine „jüdische Sichtweise“ – und gerade das zu tun, ist mir hier ja doch speziell wohl auch genauso aufgegeben und zugedacht worden. Warum also soll ich diese Erwartungen nun also zu nicht erfüllen versuchen?

Die Verbindung zwischen der FAZ und der jüdischen Gemeinschaft ist ohnehin eine ganz besondere und hat einen speziellen, geradezu kostbaren Charakter. Dass etwa Marcel Reich-Ranicky gerade in und mit der FAZ so wachsen und wirken konnte, ist ganz gewiss kein Zufall. Fast möchte ich sogar sagen: Nahezu nur in der FAZ wäre das so möglich gewesen.

Frank Schirrmacher hat diese Tradition der tiefen Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinschaft immer gelebt, getragen, gewollt und kraftvoll und leidenschaftlich selbst befördert. Auch, und gerade, in schwierigen Situationen, in Situationen, in denen es sicher nicht immer ganz leicht gewesen sein mag. Aber: Freundschaft erweist sich doch gerade, wenn man sie braucht. Gerade in schweren Zeiten. Wann denn auch sonst? Und: Was wäre sie denn auch sonst wert?

Die letzten Wochen waren für uns Juden in Deutschland so gar kein Sommermärchen.

Wir haben hier regelrechte Schockwellen von Judenhass erlebt. Und das in ganz Europa!

Synagogen wurden angegriffen, jüdische Menschen bedroht. In den sozialen Netzwerken wurden tonnenweise Kübel von Hass, von Häme, von Hetze über uns Juden ausgegossen.

Und auf deutschen Straßen haben wir antisemitische Slogans von schamloser Scheußlichkeit gehört. Nicht in meinen schlimmsten Alpträumen hätte ich mir das vorgestellt.

Viele unserer jüdischen Menschen hier hat das alles tief schockiert. Viele sind sehr besorgt und bedrückt und verunsichert.

Wir haben aber auch viel Zuspruch bekommen. Zeichen von Freundschaft in schwerer Zeit.

Die Medien haben sich augenblicklich vorbildlich und eindeutig engagiert. Auch die Kirchen.

Und aus der Politik haben wir eigentlich reihum viele Signale der Solidarität bekommen.

In allererster Linie von Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, mit Ihren sehr klaren, herzlichen, besonderen und bewegenden Worten. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Und mehrmals in diesen Wochen habe ich mich gefragt:Was hätte wohl Frank Schirrmacher dazu gesagt - und vor allem geschrieben? Mit Sicherheit hätte er sich rasch, resolut und leidenschaftlich zu Wort gemeldet auf seine sehr eigene pointierte, auf souveräne Weise – da gibt es gar keinen Zweifel.

Aber: Hätte, wäre – ich will doch bei dem bleiben, was wirklich WAR.

Frank Schirrmacher hat sich tatsächlich eingesetzt in manchmal auch recht schwierigen Fällen, die für uns Juden aber ganz wichtige Wegmarken waren. Und er hat dann stets genau das immer ganz genau verstanden, erfühlt, erkannt, erspürt, emotional und intellektuell ertastet, und dann fulminant und furchtlos in Taten und große Worte transportiert und übersetzt.

Lassen Sie mich dazu drei ganz konkrete Beispiele benennen.

Als Frank Schirrmacher sich seinerzeit strikt weigerte, das Buch von Martin Walser „Tod eines Kritikers“ in der FAZ vorab zu veröffentlichen, ja, es sehr resolut kritisierte, es sogar in Grund und Boden kritisierte, mit heftigsten Gründen und Reich-Ranicki zugleich vehement verteidigte – ganz leicht war das damals sicher nicht. Aber couragiert war es doch allemal.

Und dann das Gedicht von Günter Grass über Israel.

Das Gedicht, das gar keines war, das viele von uns so tief verletzte, voller schiefer Klischees, hat keiner im ganzen Land so konsequent und glasklar analysiert, seziert, dekuvriert und damit letztlich auch im Renommee restlos ruiniert, wie gerade Frank Schirrmacher mit einer scharfsinnigen Brillanz, die wirklich ihresgleichen suchte.

Und ein drittes Beispiel:

Im vorletzten Jahr tobte hier auf einmal die Beschneidungs-Debatte im Land.

Gegen kritische Fragen, gegen kritische Argumente gibt es gewiss nichts einzuwenden.

Aber viel zu oft ist uns Juden in jenen Monaten zu viel an Unverständnis und an Ablehnung, auch an blanker Häme entgegengeschlagen. Viele schienen doch nur darauf gewartet zu haben, uns hochmütige Lektionen und schroffe Belehrungen erteilen zu können.

Vieles hat uns damals verwundert und verwundet.

In dieser zugegeben recht schwierigen Frage hat Frank Schirrmacher aber auch rasch sehr klar Position bezogen. Und er hat sich auch hier überdeutlich engagiert in einer mehr als eindrucksvollen Weise, die ganz gewiss nicht populär war, und die im Übrigen auch sehr im Gegensatz stand zur Linie, die seine eigene FAZ am Sonntag damals Monate lang regelmäßig fuhr – und die mir persönlich damals natürlich so überhaupt gar nicht gefiel.

Dieses ganz besondere Bekenntnis von Frank Schirrmacher kann man bis heute nachlesen.

Er war 2012 von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf mit der Josef Neuberger Medaille ausgezeichnet worden. Und bei dieser Gelegenheit hielt er eine Rede, wie sie geistreicher und brillanter, aber auch engagierter kaum sein kann – eine intellektuelle, eine sprachliche und eine literarische Delikatesse. Verwoben und verbunden mit einem außergewöhnlichen Verständnis für die Gefühle der jüdischen Gemeinschaft, wie ich es mir doch oft wünschte.

Das besagte Gedicht nannte er dort eine „sprachliche und moralische Inversion“. Und eine moralische Umkehrung nannte er dabei eben auch, dass in Deutschland damals eine Debatte los gebrochen war, die „Juden“ und "Körperverletzung“ in einen sprachlichen Zusammenhang brachte, der einfach nur noch sprachlos machte.

Und, zugegeben, nicht wenig bissig und giftig, aber doch sehr temperamentvoll, fügte er hinzu:

„Es hätte erst einmal gereicht, wenn die Justiz, die sich jetzt für Jahrtausende zuständig fühlt, damals sich nur für zwölf Jahre zuständig gefühlt hätte, als Deutsche und ihre Helfer nicht nur Körperverletzung an Juden betrieben, sondern Mord und Totschlag“.

Und er beendete die Rede mit einem Satz, den wirklich nur er so formulieren konnte und den ich selbst am liebsten Tag für Tag als Dauer-Rund-Mail so in das ganze Land hinein versenden würde – vor allem natürlich jetzt, in diesen für uns so schweren Wochen:

„Das Maß des Schmerzes, den Deutsche Juden zugefügt haben und der noch die Nachgeborenen im zehnten Glied verfolgen wird, ist zu groß, als dass man auch nur ein falsches Wort vertragen könnte.“

Wann hätte es denn jemals in Deutschland ein herzlicheres, ein klügeres, ein sensibleres und ein tiefsinnigeres Bekenntnis zur ganz besonderen, verletzbaren, fragilen Gefühlswelt der jüdischen Gemeinschaft hierzulande gegeben?

Unser Land hat einen feuerköpfigen Vordenker, einen titanischen, grandiosen Debatten-Anstoßer, Debatten-Erfinder, Debatten-Aufmischer, Debatten-Präger verloren - und einen gewiss genialen Schreiber obendrein.

Und die jüdische Gemeinschaft im Land wiederum einen leidenschaftlichen Freund und herausragenden Weggefährten, dem wir für ewig Dank und Bewunderung schulden.

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