Pressemitteilung des Präsidenten des Gerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland



Pressemitteilung zu den Verfahren Az. 003-2023 G und 004-2023 G

Bereits seit dem Jahr 1996 existiert beim Zentralrat der Juden in Deutschland eine Schiedsgerichtsbarkeit, um im Fall von Streitigkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinschaft innerreligiös zu schlichten und ggf. zu entscheiden.

Diese Schiedsgerichtsbarkeit wurde im Jahr 2022 grundlegend nach umfangreicher sachverständiger Beratung reformiert. Es wurden mit Wirkung zum Januar 2023 das Gericht beim Zentralrat der Juden und der Gerichtshof jeweils mit fester Richter-Besetzung eingerichtet. Die Reform der Gerichtsbarkeit beruht auf einer Satzungsänderung, die die Ratsversammlung des Zentralrates am 27.11.2022 beschlossen hat.

Das Gericht besteht aus 3 Vorsitzenden Richtern und 6 Richtern, die sich auf 3 feststehende Kammern verteilen. Neu eingehende Anträge werden im Turnus der jeweils nächsten Kammer zugewiesen, soweit es sich nicht um einen Hauptsacheantrag zu einem vorherigen Antrag im Eilverfahren handelt. Die Kammer des Eilverfahrens ist auch für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig.

Die Verfahrens- und Kostenordnung der Gerichte beim Zentralrat der Juden in Deutschland verweist je nach Verfahrensart in die ZPO sowie in die VwGO der Bundesrepublik Deutschland.

Das Gericht wird - wie andere Kirchengerichte auch - insbesondere in Bereichen tätig, in denen weltliche Gerichte unter Bezugnahme auf das Selbstordnungs- und -verwaltungsrecht der Religionsgesellschaften ihre eigene Zuständigkeit ablehnen.

Das Gericht und der Gerichtshof sind unabhängig vom Zentralrat. Gemäß § 6 Abs. 1 der Gerichtsordnung üben die Richter ihr Amt unparteiisch und in richterlicher Unabhängigkeit aus. Gemäß § 6 Abs. 2 der Gerichtsordnung haben sich die Richter vor Beginn ihrer Tätigkeit verpflichtet, ihr Amt in Bindung an die Grundsätze und Werte des Judentums sowie nach dem in Deutschland gültigen Recht und Gesetz auszuüben und nach besten Wissen und Gewissen ohne Ansehung der Person zu urteilen.

Hinsichtlich der Entscheidungen des Gerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland vom 21.07.2023 in den Verfahren unter Az. 003-2023 G und 004-2023 G wird darauf hingewiesen, dass das Gericht seine eigene Zuständigkeit stets entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und den Vorgaben der Gerichtsordnung prüft. Da es sich um satzungsrechtliche Rechtsstreitigkeiten handelte, war das Gericht gemäß § 9 lit. b) der Gerichtsordnung der Gerichte beim Zentralrat nur zuständig, soweit hierfür bei der Antragsgegnerin ein Gericht nicht eingerichtet ist. Aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgelegten satzungsrechtlichen Regelungen ergab sich nicht, dass es sich bei dem Schiedsausschuss der Jüdischen Gemeinde zu Berlin K.d.ö.R. um ein zur Klärung der letztlich vom Gericht vorläufig entschiedenen Frage berufenes Gericht handelt.

Aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten satzungsrechtlichen Regelungen der §§ 25, 26 der Satzung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 7.12.2012 ergibt sich lediglich eine Zuständigkeit des Schiedsausschusses der Jüdischen Gemeinde zu Berlin für die Auslegung der Satzung und der auf ihr beruhenden Ordnungen, nicht jedoch für die Feststellung ihrer Nichtigkeit oder gestaltende Entscheidungen über die Wirksamkeit der Satzung und der auf ihr beruhenden Ordnungen. In den vorliegenden Fällen ging es in der vom Gericht beim Zentralrat zu entscheidenden Frage nicht um eine Auslegungsfrage, sondern um die Frage der Nichtigkeit der neuen Wahlordnung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Insoweit war das Gericht beim Zentralrat bereits aus diesem Grund zur Entscheidung berufen.

Gericht im Sinne des § 9 lit. b) der Gerichtsordnung der Gerichte beim Zentralrat ist zudem nur eine zur Entscheidung berufene Einrichtung, wenn diese in einem justizförmigen Verfahren entscheidet. Ob dies beim Schiedsausschuss der Jüdischen Gemeinde zu Berlin der Fall ist, hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin trotz entsprechender Aufforderung des Gerichts beim Zentralrat nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Die Entscheidungen des Gerichts in der Sache selbst werden von den folgenden wesentlichen Entscheidungsgründen getragen:

Auch wenn das Gericht für eine Entscheidung in einer satzungsrechtlichen Angelegenheit zuständig ist, sind dem Prüfungsumfang des Gerichts in materieller Hinsicht durch die Satzungautonomie der Körperschaften des öffentlichen Rechts und das Selbstordnungs- und -verwaltungsrecht der Religionsgesellschaften enge Grenzen gesetzt. Ihre Grenzen finden die Satzungsautonomie sowie das Selbstordnungs- und -Verwaltungsrecht jedoch jedenfalls im sogenannten Willkürverbot (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1985, Az. 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84). Das Gericht hat nach summarischer Prüfung als hinreichend glaubhaft gemacht angesehen, dass die neue Wahlordnung der Antragsgegnerin gegen dieses in mehrfacher Hinsicht verstößt.

Mit der Wahlordnung in der Fassung vom 31.05.2023 führte die Antragsgegnerin eine Altersgrenze von 70 Jahren für Kandidaten ein, die aber nicht gilt, wenn der jeweilige Kandidat oder die jeweilige Kandidatin bereits in der (mit der Wahl) endenden Legislaturperiode der Repräsentantenversammlung oder dem Vorstand angehörte.

§ 4 Absatz (1) der Wahlordnung der Antragsgegnerin in der Fassung vom 31.05.2023 lautet:

Wählbar ist jedes wahlberechtigte Mitglied, welches der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am Wahltag seit mindestens 3 Jahren angehört und das 70. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Konstituierung der neuen Repräsentantenversammlung nicht vollendet haben wird. Ausgenommen von der Altersbegrenzung sind Kandidaten, die bereits in der (mit der Wahl) endenden Legislaturperiode der Repräsentantenversammlung oder dem Vorstand angehörten. 

Das Gericht hat hierin nach vorläufiger Würdigung aufgrund summarischer Prüfung einen Verstoß gegen das Willkürverbot für hinreichend glaubhaft erkannt.

Weiterhin wurde ein Verstoß gegen das Willkürverbot nach summarischer Prüfung des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht, soweit Mitarbeiter, Amts- und Mandatsträger bestimmter, einzeln und abschließend aufgelisteter jüdischer Organisationen und ihrer Unterorganisationen vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen werden. Bereits die Auswahl dieser Organisationen aus dem erheblich umfangreicheren Kreis jüdischer Organisationen erscheint an sich willkürlich. Dies kann jedoch dahinstehen, weil auch hier wieder von der Beschränkung willkürlich diejenigen Personen ausgenommen sind, die von der Antragsgegnerin zu diesen Organisationen entsandt worden sind, § 4 Absatz (2) Nr. 5 der Wahlordnung der Antragsgegnerin in der Fassung vom 31.05.2023.

Auch zum Verstoß einer reinen Briefwahl gegen das von der Antragsgegnerin zu beachtende Demokratieprinzip hat sich das Gericht in seinen Beschlüssen umfangreich geäußert.

Unter diesen Umständen hat das Gericht im Rahmen seiner Folgenabwägung erkannt, dass der Schaden für die Antragsteller, letztlich aber alle Mitglieder der Antragsgegnerin erheblich und irremediabel wäre, wenn die Wahl ungehindert nach der Wahlordnung der Antragsgegnerin in der Fassung vom 31.05.2023 durchgeführt und in einem Hauptsacheverfahren festgestellt würde, dass diese Wahlordnung wegen offenkundiger Verstöße gegen das Willkürverbot nichtig war, die negativen Folgen für die Antragsgegnerin, wenn die Wahl lediglich bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verzögert würde, hingegen gering wäre, auch wenn in der Hauptsache für die Antragsgegnerin entschieden würde.

 

gez.
Nossen, LL. M. Eur.
Präsident des Gerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland

Kontakt: gericht(via)zentralratderjuden.de

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