In den vergangenen Wochen stand eine Frage im öffentlichen Raum, die jüdische Organisationen wie den Zentralrat der Juden schon seit langem begleitet: Ist Israel-Kritik automatisch antisemitisch?
Mal abgesehen von diesem seltsamen feststehenden Ausdruck „Israel-Kritik“, über den ich immer stolpere, denn es gibt ja keine Frankreich-Kritik oder Italien-Kritik – also mal abgesehen von diesem Begriff, sind wir beim Zentralrat natürlich in der Lage, ausführlich darzulegen, wo der Unterschied liegt zwischen einer legitimen Kritik an der israelischen Politik und Antisemitismus.
Wir können uns den Mund fusselig reden. Beispiele anführen. Doch manchmal geht mir nach einer Rede oder einem Interview durch den Kopf: Sind meine Worte bei meinem Gegenüber überhaupt angekommen? Wurde ich wirklich verstanden?
Vielleicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre es viel effizienter, die Fragenden vor zwei Folgen der israelischen Serie „Hatufim“ zu setzen. Oder man zeigt ihnen „Get - Der Prozess der Viviane Amsalem“. Oder einen der Filme des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals Berlin-Brandenburg.
Ich weiß gar nicht genau, was hier in Deutschland los wäre, wenn unsere Kinofilme ebenso gesellschaftskritisch und kritisch gegenüber unserer Regierung wären, wie israelische Filme es in der Regel sind. So seichte Kost wie sie häufig in deutschen Komödien zu finden ist, trifft man in israelischen Filmen nicht an.
Sie gehen hart mit gesellschaftlichen Missständen ins Gericht. Sie stellen unbequeme Fragen. Aber – und das ist eben der entscheidende Unterschied zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus – israelische Filme zeichnen sich durch eine Liebe zum Menschen aus. Es sind pro-menschliche jüdische Filme.
Einen ebenso pro-menschlichen jüdischen Film konnten wir im März im Kino sehen: „Es war einmal in Deutschland“ von Michel Bergmann und Sam Gabarski. Das schlimmste Menschheitsverbrechen in der Geschichte, die Schoah, ist in diesem Film immer präsent. Und doch ist dieser Film eine Hommage an die Freundschaft, die Familie, die Liebe, die Klugheit, den Humor und die Chuzpe.
So hat es gerade der Filmwissenschaftler Prof. Frank Stern, der auch Kurator für die Programmreihe „100 Jahre Ufa“ bei diesem Festival ist, in der „Jüdischen Allgemeinen“ beschrieben: „Der jüdische Film lebt von starken Figuren, Welt- und Lebensgeschichten.“ Es sind genau diese Lebensgeschichten, ob von Überlebenden der Schoah oder von Bürgern des heutigen Israels, die jüdische Filme zu großen Filmen machen. Da geht es nicht mit Pseudo-Konflikten glatt zum Happy End, sondern von den Abgründen der menschlichen Seele bis zu wahrem Heldentum ist alles dabei. Auf das Happy End warten wir manchmal allerdings vergeblich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich hatte eingangs die Antisemitismus-Debatte der vergangenen Wochen erwähnt, die an Ihnen nicht vorbeigegangen sein wird. Da war zunächst der vom Bundestag berufene Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, der seinen Bericht vorlegte. Darin werden auf Basis von wissenschaftlichen Studien die verschiedenen Formen des Antisemitismus dargestellt. Es handelt sich um eine hervorragende Analyse. Doch wie es so ist mit Experten-Berichten: Sie werden intensiv debattiert, aber eben meistens wieder nur von Experten.
Erst WDR und Arte haben mit ihrer anfänglichen Weigerung, einen Dokumentarfilm über Antisemitismus zu zeigen, eine breitere Debatte angestoßen. Seitdem wird viel stärker als bisher in Deutschland über Israel-bezogenen Antisemitismus diskutiert. Allerdings – machen wir uns nichts vor. Auch hier handelt es sich um interessierte Kreise, die diese Dokumentation geschaut und die Debatte verfolgt haben. Und mit diesen politischen Debatten erreichen wir allenfalls die Köpfe der Menschen. Nicht aber ihre Herzen.
Doch wenn wir wirksam und nachhaltig den Antisemitismus in allen Facetten bekämpfen wollen, und dazu gehört inzwischen in immer größerem Ausmaß der Israel-bezogene Antisemitismus, dann müssen wir auch die Herzen gewinnen. Und das gelingt über Bilder, über Filme.
Es gibt durchaus Deutsche, die ganz profunde Kenntnisse der USA haben – obwohl sie noch nie dort waren. Aber sie haben eben sehr viele amerikanische Filme gesehen. Ebenso könnte es mit Israel sein. Über Filme lässt sich viel über das Land erfahren. Wir zittern plötzlich mit der israelischen Familie mit, deren Vater vor Jahren als Soldat entführt wurde. Wir leiden mit unter den Belastungen, denen die Familie ausgesetzt ist. Und in dem Moment verurteilt niemand einseitig die Israelis. Sondern die schreckliche Ambivalenz der Situation dringt in unser Bewusstsein, die vielen Grautöne, die eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung unmöglich machen.
Daher, meine lieben Film-Freunde, sind jüdische Filmfestivals so wichtig. Sie brauchen unsere Unterstützung. Auch der Bund sollte seine Verantwortung auf diesem Gebiet weiterhin wahrnehmen.
Nun gehen natürlich nicht alle Menschen ins Kino oder schauen gerne Filme. Doch es ist von mehreren Möglichkeiten eine der besten, um Empathie zu erzeugen. Empathie bedeutet nicht blinde Bewunderung oder dumpfe Kritiklosigkeit. Aber anstatt nach der Lektüre einer Überschrift und aus 3.000 Kilometer Entfernung Israelis pauschal zu verdammen und die Juden in Deutschland gleich mit in Haftung zu nehmen, könnten solche Bilder im Kopf immerhin schon dazu führen, mit Urteilen etwas vorsichtiger zu werden.
Und daher wünsche ich nicht nur dem Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg auch in diesem Jahr viel Erfolg und viele Besucher, sondern hoffe, dass weiterhin auch in der deutschen Filmindustrie eine Offenheit herrscht für jüdische Filme im besten Sinne, dass wir oft jüdischen Humor im Kino erleben dürfen und weiterhin viel israelische Filme auch in Deutschland im Kino zu sehen sein werden.
Und schließen möchte ich mit Worten des berühmten französischen Regisseurs Claude Chabrol: "Ich mache die Zuschauer zu Mitwissern, damit sie unsicher werden und ihre Wahrheit in Frage stellen."
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
"Mit Filmen erreichen wir die Herzen der Menschen"
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