Kundgebung des Zentralrats der Juden in Deutschland „Gegen Terror – für Frieden“ Platz vor der Paulskirche, Frankfurt/Main



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel

(Es gilt das gesprochene Wort!)

„Gegen Terror – für Frieden“ – so lautet das Motto unserer Kundgebung - und wir haben es mit Bedacht gewählt.

„Für Frieden“ – das ist nicht nur der gemeinsame Nenner, auf den wir alle uns einigen können. „Für Frieden“ -das ist vor allem die einfache und doch so schwierige Formel, die dem Nahen Osten eine Zukunft bietet.

Nur der Frieden wird allen Menschen in jeder Region die Chance auf ein Leben in Sicher­heit und Wohlstand garantieren.

Welche sind die Voraussetzungen für einen Frieden im Nahen Osten? Die arabischen Staaten, auch die Palästinenser, müssen das Existenzrecht Israels anerkennen und mit dem jüdischen Staat diplomatische Beziehungen in vollem Umfang aufnehmen. Und die Palästinenser müssen in einem eigenen Staat souverän und frei leben können und dürfen.

Wir alle wissen das. Ich behaupte sogar: Alle vernünftigen Kräfte im Nahen Osten wissen das. Auf israelischer Seite genauso wie auf der palästinensischen Seite.

Die schwierige Frage lautet längst nicht mehr: Wie kann ein Frieden ausschauen, sondern: Wie schaut der Weg zum Frieden aus?

In den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten hörten wir hier in Deutschland und Eu­ropa immer wieder kluge Ratschläge von Menschen, die glauben, das Patentrezept für den Nahen Osten zu besitzen, indem sie meinen: Die Israelis müssen die Okkupation be­enden, schon bricht das goldene Zeitalter in Palästina aus.

Solche Ratschläge macht man gern an Stammtischen, in Redaktionsstuben, in Universi­tätshörsälen und an anderen Orten, die alle eines gemeinsam haben: Sie werden nicht vom Terror bedroht.

Die Menschen, die sich hierzulande über Israels so genannte „Grausamkeiten“ zutiefst empört auslassen, sitzen in Cafés und Restaurants, die nicht in die Luft gejagt werden. Sie gehen in Supermärkten einkaufen, ohne auch nur einen Augenblick darüber nachdenken zu müssen, ob sie lebend wieder zu ihren Familien nach Hause kommen. Für all diese Menschen ist Terror ein abstrakter Begriff, eine Idee, ein Bild, das man zwar am 11. Sep­tember in einer neuen, erschreckenden Dimension am Bildschirm zu sehen bekommen hat – dennoch bleibt es vage und weit entfernt.

Der Terror hat den Alltag der Menschen hierzulande nicht verändert, er ist ihnen nicht un­ter die Haut, nicht in die Seele jedes Einzelnen gekrochen. Die Angst ist nicht Teil des all­gemeinen Lebensgefühls geworden. Die Bedrohung ist hier weiterhin theoretisch.

Das ist anders in Israel. Denn dort ist Terror eine bekannte Größe des Alltags. Und dort gibt es den Terror nicht erst seit Beginn der zweiten Intifada. Nein, es gab und gibt ihn dort seit Jahrzehnten. Flugzeugentführungen, Attentate auf israelische Institutionen in der gan­zen Welt, Bomben in israelischen Schulen, auf Straßen, in Cafés, Restaurants und Bus­sen – all das ist nicht neu.

Auch Selbstmordattentate hat es schon lange vor dieser Intifada gegeben. Die Anschläge auf mehrere Busse in Jerusalem und Tel Aviv 1996 haben die meisten hierzulande ver­gessen. 1996 – das war ein Jahr, als Shimon Peres, der Architekt von Oslo, ein Mann des Friedens, Ministerpräsident werden wollte. 1996 – das war ein Jahr, als Israelis und Palä­stinenser sich noch aufeinander zu bewegten. Als es noch Hoffnung gab, als sich vor al­lem ein erstes Stückchen gegenseitigen Vertrauens zwischen Israelis und Palästinensern breit machte.

Was ist also neu an dem Terror von heute? Neu ist seine Dimension, seine Menschenver­achtung, seine Regelmäßigkeit. Neu ist, dass er vor nichts und niemandem halt macht. Neu ist, dass er nicht nur Israel meint sondern die Juden in aller Welt. Ich frage alle Men­schen verachtenden Antisemiten, die dazu aufgerufen haben, Juden überall auf der Welt zu töten: Was nutzt es den Palästinensern, wenn Synagogen in Frankreich oder Belgien angezündet werden? Wem hilft es in Bethlehem oder in Nablus, wenn Juden in aller Welt zum Abschuss frei gegeben werden? Heute ist das Judentum das Feindbild. Wer ist es Morgen?

Israels Feinde von heute verfolgen auch nach Oslo nur ein Ziel: Ihnen geht es nicht um das Ende der Besatzung, sie wollen das Ende des jüdischen Staates Israel.

Neu ist allerdings auch, dass dieser Terror inzwischen nicht mehr von den palästinensi­schen Politikern verurteilt wird.

Terror ist Mord. Durch nichts, durch rein gar nichts ist die vorsätzliche Tötung unschuldiger Zivilisten zu rechtfertigen. Wenn dieser Terror jetzt als neues „Märtyrertum“ bezeichnet wird, dann ist das wahrlich eine unglaubliche Lüge und Lästerung des göttlichen Willens aller abrahamitischen Religionen: des Judentums, des Christentums, aber auch des Islam. Denn all diesen Religionen ist gemeinsam, das Leben als höchstes Gut zu achten.

Hier im Westen müssen wir leider immer wieder merkwürdige Rechtfertigungen für den Terror lesen und hören. Man erklärt dann, Israel sei selbst schuld daran, der Terror sei eine Folge der Okkupation, der Armut, der Unterdrückung.

Mit aller Entschiedenheit muss ich diesen absurden Zusammenhang zurückweisen, denn er ist nicht nur eine indirekte Entschuldigung von Terror, eine indirekte Akzeptanz des Ter­rors. Dieser Zusammenhang ist auch historisch und politisch falsch und verlogen.

Die Welt muss eines begreifen: Nicht aus Verzweiflung haben Palästinenser zu „Selbst­mordattentaten“ als Mittel gegriffen. Diese Palästinenser entschieden sich für die Selbst­mordattentate aus strategischen Überlegungen ihrer Führungen – nicht aus Verzweiflung. Es gibt viele andere Völker auf dieser Welt, die ebenso verzweifelt sind wie die Palästi­nenser. Und doch schnallen diese sich keine Dynamitgürtel um den Bauch, ziehen los und jagen willkürlich Menschen und sich selbst in die Luft.

Bei den Verhandlungen in Taba im Dezember 2000 hatte der amerikanische Präsident Clinton den Palästinensern einen Friedensplan angeboten, mit eigenem Staat und Ostje­rusalem.

Dieser Plan hätte die Verzweiflung des palästinensischen Volkes schlagartig beenden können. Der Plan wurde abgelehnt. Man zog den Terror vor.

Dabei gab es doch stets eine taktische Alternative zum Selbstmordattentat: Ich erwähne nur den gewaltlosen Widerstand, wie ihn Mahatma Gandhi in Indien so erfolgreich vorge­lebt hat.

Was glauben Sie, wäre geschehen, wenn eine gewaltlose palästinensische Bewegung mit ihren Aktionen an das Bewusstsein der schweigenden Mehrheit in Israel appelliert hätte: Wahrscheinlich hätte Israel unter solchem Druck bereits vor 30 Jahren seinen Nachbarn einen Staat zugestanden.

Doch auch dieses Mittel wurde abgelehnt. Man zog den Terror vor. Dieser Terror jedoch bedroht nicht nur Israel sondern die gesamte Zivilisation. Denn wenn die Welt zulässt, dass die Selbstmordattentate im Nahen Osten erfolgreich sind, dass die Fundamentalisten mit Terror ihre politischen Ziele erreichen, dann wird dieses Beispiel Schule machen, auf der ganzen Welt.

Und dann müssen wir uns vielleicht mit dem Unvorstellbaren vertraut machen, dass sich eines Tages ein Terrorist einen Gürtel mit einer Atombombe um den Bauch bindet und damit ganze Nationen bedroht!

Daher muss es im Interesse der ganzen Welt sein, dass die palästinensische Selbstmord­strategie besiegt wird. Damit diese neue Form der Kriegsführung, wie sie uns Osama bin Laden so brutal in New York vorgeführt hat, nicht wirklich zum kriegerischen Alltag des 21. Jahrhunderts wird.

Wie aber besiegt man diesen Terror? Zunächst – bedauerlicherweise – durch militärische Gewalt. Es ist wohl die einzige Sprache, die Terroristen verstehen. Denn Terroristen wol­len nicht verhandeln.

Terror darf sich nicht auszahlen. Damit diese Botschaft in die steinernen Herzen der Fun­damentalisten dringt, muss – leider -Waffengewalt ausgeübt werden.

Jeder Staat hat das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu beschützen. Und kein Staat, ich betone: kein Staat, würde es einfach hinnehmen, wenn innerhalb eines Monats mehr als 200 seiner Bürger durch Selbstmordattentate ermordet werden und dies zum täglichen schrecklichen Szenario gehört.

Die einseitige Verurteilung der Vorgehensweise des israelischen Militärs ist kurzsichtig und nicht hilfreich.

Im Nahen Osten herrscht Krieg. Und dieser Krieg muss mit einem Sieg über den Terroris­mus enden.

Natürlich kann keine Armee der Welt Terror völlig stoppen. Aber es ist von größter Be­deutung, dass klar gemacht wird: Terror zahlt sich nicht aus. Terror zahlt sich nicht aus für diejenigen, die ihn ausführen, aber auch nicht für diejenigen, die ihn stillschweigend dul­den oder gar unterstützen durch Propaganda, durch finanzielle Zuwendungen oder durch das Versprechen, Gott halte für den Selbstmörder im Jenseits 70 Jungfrauen bereit.

Man sollte sich hierzulande endlich einmal Gedanken darüber machen, was dies eigentlich für eine Gesellschaft ist, die 16-jährige abrichtet, sich in die Luft zu jagen. Im Westen heißt es gern: Sie tun dies aus Verzweiflung, weil sie keine Würde haben, weil sie keine Zukunft haben.

Aber ist es wirklich Israel, das angeblich die Zukunft der palästinensischen Kinder ver­spielt? Oder sind das nicht vielmehr die Kräfte, die in großer Verantwortungslosigkeit diese jungen Menschen für ihre Zwecke missbrauchen? Die frühere israelische Ministerpräsi­dentin Golda Meir hat einmal gesagt: „Frieden zwischen Palästinenser und Israelis wird es erst dann geben, wenn die Palästinenser ihre Kinder mehr lieben, als sie uns Juden has­sen.“

Natürlich bedarf es nach dem militärischen Kampf gegen den Terror in einem zweiten Schritt einer politischen Perspektive. Es muss den notleidenden Palästinensern dringend eine lebenswerte Zukunft geboten werden.

Diese muss man mit einer politischen Führung aushandeln, die sich ernsthaft für das Wohl ihres Volkes einsetzt. Das muss eine palästinensische Führung sein, die dem Terror eine klare Absage erteilt, die Freiheit und Demokratie achtet und wahrt, die wirklich die einzig legitime Vertretung ihres Volkes ist, anders als die jetzige Führung, die sich nach ihren eigenen Gesetzen bereits vor zwei Jahren wieder zur Wahl hätte stellen müssen.

Das palästinensische Volk hat ein Recht auf ein Leben in Frieden und Freiheit ebenso wie die israelische Bevölkerung. Der Terror aber muss bekämpft werden. Im Interesse des Nahen Ostens, im Interesse der ganzen Welt.

Wenn Israel den Kampf gegen den Terror verliert, wird in Zukunft die ganze Welt zur Gei­ßel des Terrorismus.

Daran sollten alle denken, die jetzt lauthals Israel verurteilen.

Anstatt zu verurteilen, sollte die Welt helfen. Beiden Seiten. Ohne Vorurteile. Jedoch in völliger Ablehnung von Terror und Gewalt. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland do­kumentiert auch durch die heutige Veranstaltung ihre Solidarität mit ihren Schwestern und Brüdern in Israel. Ihnen sowie der gesamten Leid geprüften Region von Herzen „Shalom“.

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