Konferenz „Von der Kunstfreiheit gedeckt?"



Keynote Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Konferenz „Von der Kunstfreiheit gedeckt?", Haus der Wannseekonferenz, Berlin, 11. Mai.

Sehr geehrte Konferenz-Teilnehmer,

liebe Damen und Herren,

wenn ich richtig informiert bin, ist die Idee zu dieser Konferenz schon lange vor der skandalösen documenta entstanden. Dass das Thema „Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur“ in der Zwischenzeit durch die documenta fifteen nochmal einiges an Gehalt gewonnen hat, hätten sich die Organisatoren der heutigen Veranstaltung, zu denen ja auch der Zentralrat der Juden gehört, sicher kaum vorstellen können, obwohl es einige – auch aus der Kulturszene – befürchtet hatten.

Es zeigt für mich allerdings zwei Dinge:

  1. Erstens: Zunächst scheint die Problematik antisemitischer Tendenzen im Kunst- und Kulturbetrieb keine absolute Überraschung gewesen sein, wie es so mancher Verantwortliche der documenta gerne darstellen würde.
  2. Und Zweitens: Darüber hinaus scheinen wir ein Jahr nach dem Skandal noch zu keinem Konsens gekommen, wie wir mit dem Antisemitismus in diesem Bereich umgehen wollen.

Letzteres mag nicht wirklich überraschen. Ein Jahr ist in der Welt der öffentlichen Vergabe, der Verwaltung und der Behörden oft nur ein Wimpernschlag. Und untätig war man ja nicht. Der Abschlussbericht der Kommission zur „fachwissenschaftlichen Begleitung“ der documenta unter Leitung von Frau Prof. Deitelhoff ist in seiner Beurteilung erfrischend deutlich: Es habe eine „Verantwortungsdiffusion“ gegeben.

Verantwortungslosigkeit wurde zum Prinzip gemacht und das machte in der Illusion einer schönen heilen Welt nicht nur öffentlich zur Schau gestellten israelbezogenen Antisemitismus, sondern ganz plumpen „klassischen“ Antisemitismus möglich.

Dass es dazu kam, geschah, wie gesagt, nicht aus heiterem Himmel. Und dabei stellt sich mir schon die Frage, inwieweit dieser Skandal nicht hätte verhindert, beziehungsweise in seiner Wirkung ganz anders wahrgenommen werden können, hätte man rechtzeitig auf unsere Hinweise gehört und vor allem reagiert. Es war doch nicht etwa so, dass „Peoples Justice“ von Taring Padi auf dieser documenta vom Himmel gefallen wäre – das Werk existiert bereits seit 20 Jahren. Oder wer war überrascht, dass mit der Bilder-Serie „Guernica Gaza“ in das Feld der Täter-Opfer-Umkehr eingestiegen wird?

Nein, es scheint so als hätten es einige geradezu als Chance wahrgenommen, entsprechende Narrative auf deutschem Boden zu setzen, finanziert durch deutsche Steuergelder. Wenn man gewollt hätte, hätten diese Auswüchse verhindert werden können. Die Warnungen waren da. Das Alarmsystem funktionierte – zumindest bei einigen.

Es bestätigt sich, dass es sich hier auch um ein strukturelles Problem handelt. Was beispielsweise von den Unterzeichnern der „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ noch als Meinungsfreiheit idealisiert wurde, bestätigte sich bald als Form struktureller Ausgrenzung und als ein Vehikel für antisemitische Denkweisen.

Die ideelle Grundlage dieser strukturellen Ausgrenzung ist BDS, sind die Dämonisierungen des Staates Israels, die Doppelmoral und die Delegitimierung von allem israelischen oder jüdischen. BDS – und darauf möchte ich hinaus – gibt es nicht ohne Antisemitismus.

Aber, meine Damen und Herren, ich möchte nicht nur zurück, sondern gerade aus diesem Grund auch nach vorne schauen.

Wie können wir als Gesellschaft Antisemitismus im Kulturbetrieb entgegenwirken? Wie kann der Staat als großer Kulturförderer, auf den Betrieb einwirken, dass es nicht zu den Entgleisungen kommt, die wir auf der documenta sehen konnten? Ich glaube, Kunst- und Meinungsfreiheit und der Ausschluss von Antisemitismus sind keine Gegensätze. Es sind miteinander im Einklang stehende Verfassungsprinzipien, die selbstverständlich nebeneinanderstehen müssen.

Und in dieser Frage können sich die politischen Entscheider auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene nicht aus der Verantwortung ziehen. Herr Prof. Möllers hat in seinem Rechtsgutachten sehr zutreffend ausgeführt, dass die generelle Planung spezifischer Förderprogramme und die Einstellung von Leitungspersonal in den Bereich der Kulturpolitik fallen und eben keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Kunstfreiheit darstellen.

Diese Kompetenzen müssen die Entscheider entsprechend verantwortungsbewusst wahrnehmen. Und die Verantwortung ist groß! Es ist in meinen Augen also durchaus irritierend, dass ich aus der Politik mit Verweis auf Herrn Prof. Möllers Gutachten häufig nur die Deutung zu hören bekomme, die Gesellschaft habe gewisse Formen der Diskriminierung auszuhalten.

Ja, das steht dort auch drin, aber eben nicht nur. Es zeichnet eine offene Gesellschaft eben auch aus, dass sie sich zur Wehr setzt, wenn Menschenwürde und Mitmenschlichkeit unter Beschuss stehen.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht nur eine Frage der großen Reden. Die sind auch gut und wichtig, weil sie einen intellektuellen Rahmen bieten können für Handlungen, die daraus erwachsen. Und hier reden wir dann über AGBs, über Trägerstrukturen oder Kooperationsverträge und vieles mehr.

Was fällt daran so schwer, bei all diesen Dingen die Anwendung der IHRA-Definition als Ausgang für jede Behandlung von Antisemitismus zu nehmen?

Und auch im Nachgang kann von Institutionen, die Millionen von öffentlichen Geldern vergeben, erwartet werden, dass anhand dieser Kriterien genau geprüft wird, was mit dem Geld passiert ist.

Nun sagen vielleicht einige, dass das ja überall dort keinen Einfluss hat, wo keine öffentlichen Gelder fließen. Das mag im ersten Eindruck so sein, aber das ist ja auch ein Signal, wenn der Staat diese Haltung in solcher Stringenz verkörpert. Kulturinstitutionen und Kulturverbände würden sich automatisch daran orientieren und, wenn sie es nicht eh schon tun, von sich aus Mechanismen entwickeln, wie sie selbst mit Antisemitismus umgehen. Insbesondere hielte ich das für Projekte der kulturellen Bildung für essenziell.

Viel wirksamer als alles, was von Künstlern, Kunstschaffenden oder Organisatoren aber als von außen oktroyiert erscheint, können Mechanismen sein, die sich im Kulturbetrieb selbst herausbilden. Auch dies kann aber in gewisser Weise angestoßen werden, beispielsweise durch die Förderung antisemitismuskritischer künstlerischer Projekte oder Programme.

Was macht es nicht auch mit einer Kunstschau oder mit einem Projekt, wenn israelische oder jüdische Künstlerinnen und Künstler involviert sind? Wie beeinflusst das vielleicht den internen Diskurs?

Es ist irritierend, dass es anscheinend einen Boykott dieser Künstler zu geben scheint. Ich habe sicher kein Interesse, an einem identitätspolitisch aufgeladenen Kunstbetrieb, aber gerade israelische Künstler werden offensichtlich systematisch ausgegrenzt – auf die Biennale werden sie schon lange nicht mehr eingeladen. Meiner Kenntnis nach hat auch die documenta fifteen ohne Beteiligung israelischer Künstler stattgefunden. Laut Recherchen der Zeitung WELT ist mit dem DAAD-Stipendium für Künstler seit 2006 kein Israeli mehr gefördert worden.

Meine Damen und Herren, wenn uns das vergangene Jahr eines gelehrt hat, dann ist es die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. Die viel beschworenen Konsequenzen, die nun nach dem Skandal der documenta gezogen werden sollen, müssen sich erst noch zeigen.

Die ersten Reaktionen waren eher irritierend. Die documenta15 lief wie geplant die volle Zeit durch, laut Herrn Farenholtz war sie sogar ein „Erfolg“. Und zwei Mitglieder von ruangrupa haben sogar eine Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg erhalten. Dieser als möglicher Dialog gehypte Ansatz erwies sich als erfolglos, wie ein Symposium der Hochschule im Februar dieses Jahres zeigte.

Wir brauchen für die Zukunft ernsthaftere und überlegtere Ansätze, wie wir die Kunstfreiheit und den Kampf gegen Antisemitismus in Einklang bringen. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne eine gute Abschlussdiskussion. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

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