"Kirchliche Erklärungen gegen Antisemitismus müssen mit Leben erfüllt werden"



Grußwort des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, bei der Eröffnungsfeier der Jahrestagung 2017 des Internationalen Rates der Christen und Juden, Bad Godesberg, 2.7.2017

Vor ziemlich genau zwei Wochen hat die bekannte muslimische Rechtsanwältin Seyran Ates in Berlin eine liberale Moschee eröffnet. In dieser Moschee sitzen Männer und Frauen zusammen, und es gibt weibliche Imame, die dort predigen. Dieses religiöse Reform­projekt sorgt in der muslimischen Community für große Aufregung. Einige sagen, Frau Ates lasse eine alte Tradition wiederaufleben. Von anderen erhält sie Hass-Mails und schlimmste Drohungen. Mittlerweile hat Frau Ates Personenschutz.

Veränderungen innerhalb einer Religionsgemeinschaft, die meistens zunächst nur von Einzelpersonen angestoßen werden, lösen in der Regel große Aufregung aus. Vor allem in der jeweiligen Religionsgemeinschaft selbst. Das kennen wir aus der katholischen und evangelischen Kirche, aus dem Judentum und - wie eben das jüngste Beispiel in krasser Weise zeigt - aus dem Islam.

Der Auslöser einer der größten und weitreichendsten Reformen, die je in der Religionsgeschichte angestoßen wurden, war ohne Zweifel Martin Luther.

Ich lasse jetzt, verzeihen Sie mir das bitte, Jesus als historische Figur einmal außen vor.

In diesem Jahr jährt sich der berühmte Thesenanschlag Luthers in Wittenberg zum 500. Mal. Mit aller Berechtigung hatte die Evangelische Kirche in Deutschland dieses Jubiläum zum Anlass für die Luther-Dekade genommen, die in diesem Jahr natürlich mit besonderer Intensität zur Auseinandersetzung mit dem Reformator führt. Auch der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin stand ganz im Zeichen des Reformationsjubiläums.

Und ebenso haben Sie, sehr geehrte Vertreter des Internationalen Rates der Christen und Juden, das Jubiläum als Thema für diese Jahrestagung gewählt, in der das Spannungsfeld von Tradition und Reform im Mittelpunkt stehen soll.

Christen und Juden aus aller Welt, alle Kenner beider Religionen, sind hier zusammen­gekommen - in der Absicht, 3 ½ Tage lang im Christentum und Judentum die Existenz von Reformbewegungen und ihren Reformen in Vergangenheit und Gegenwart zu prüfen, aber auch mit der Zielrichtung, das spannende Verhältnis zwischen Reformen und traditionellen Überlieferungen zu eruieren. Ihre Jahrestagung hat diese große Zahl Anmeldungen erreicht, hat eine Attraktivität auf die anwesenden Teilnehmer, die ich auf das exzellente Programm zurückführe, dass Menschen aus allen Kontinenten der Erde hierher nach Bonn-Bad Godesberg gekommen sind, um sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen.

Die evangelischen Christen in Deutschland zeichnet es aus, dass sie die Auseinandersetzung mit Martin Luther von Anfang an nicht nur innerhalb der eigenen Kirche geführt haben. Nein, sie haben auch die ökumenische Perspektive in den Blick genommen.

Vor allem aber haben sie, und das möchte ich wirklich anerkennend hervorheben, nicht die Augen verschlossen vor dem Antijudaismus Martin Luthers. Die EKD hat zu diesem Thema intensiv das Gespräch mit der jüdischen Gemeinschaft gesucht. Der Zentralrat der Juden in Deutschland wurde als Ratgeber hinzugezogen. Unser Präsident, Herr Dr. Schuster, hat 2015 vor der EKD-Synode zu den antisemitischen Schriften Luthers Position bezogen und deutlich gemacht, was dieses Erbe bis heute für das Verhältnis zwischen Judentum und evangelischer Kirche bedeutet.

Die EKD-Synode hat sich 2016 in ihrer Erklärung zum Reformationsjubiläum ganz deutlich vom Antijudaismus Luthers distanziert und auch der Judenmission, wie es sie heute leider gerade in evangelikalen Kreisen noch immer gibt, eine deutliche Absage erteilt.

Zu Reformen innerhalb einer Religionsgemeinschaft gehört auch ein selbstkritischer Umgang mit der Tradition oder der jahrhunderteralten Praxis. Bei der katholischen Kirche wäre in diesem Zusammenhang die Konzilserklärung „Nostra Aetate“ zu erwähnen, die ein Meilenstein war auf dem Weg der Aussöhnung zwischen Katholiken und Juden. Und dass jüngst Papst Franziskus zwei Rabbiner als Mitglieder in die Päpstliche Akademie für das Leben berufen hat, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern zeugt von den aufrichtigen und intensiven Bemühungen des Papstes um ein gutes Verhältnis zum Judentum.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der jüdisch-christliche Dialog steht heute auf einem festen Fundament. Zwar gibt es immer mal wieder Ereignisse oder Handlungen, die das Verhältnis belasten, wie z.B. die Erlaubnis von Bischoff Hanke einen aus dem Priesterseminar Würzburg wegen einer höchst bedenklichen Grundhaltung ausgeschlossenen Kandidaten zur Diakonweihe in Eichstädt zuzulassen. Doch in der Regel gelingt es dann in einem Gespräch auf Augenhöhe, konstruktive Lösungen zu finden.

Einen Wunsch aus jüdischer Sicht möchte ich allerdings heute formulieren: Die Erklärungen und Schriften der beiden Kirchen gegen Antisemitismus dürfen keine leeren Worthülsen sein. Sie müssen mit Leben erfüllt werden!

Das bedeutet: Niemand darf die Augen verschließen vor all den verschiedenen Formen, die heutzutage der Antisemitismus hat. Vor allem möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Israel-bezogenen Antisemitismus eingehen. Es ist nichts gegen Menschen einzuwenden, die sich für die Lage der Palästinenser einsetzen. Sie sollen nur bitte nicht alle Juden generell verantwortlich machen für die Lage im Nahen Osten. Und sie sollen bitte nicht einseitig die Verantwortung für den Stillstand im Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern bei Israel suchen. Hamas und Hisbollah sind terroristische Vereinigungen, die bis heute Israel von der Landkarte streichen und alle Juden ins Meer treiben wollen. Wer das ausblendet und nur von unterdrückten Palästinensern spricht, spielt diesen Terroristen in die Hände!

Ebenso kritisch ist die BDS-Bewegung zu sehen, die bei diversen kirchlichen Organisationen Unterstützung findet. Bei dieser Bewegung geht es darum, Israel zu diffamieren und israelische Waren zu boykottieren. All jene, die BDS unterstützen, sollten sich doch einmal selbstkritisch fragen, warum sie eigentlich nicht zu Warenboykotten aus anderen umstrittenen Gebieten aufrufen? Warum kritisieren sie nur vermeintliche Menschenrechtsverletzungen durch Israel?

Diese extreme Fokussierung in immer größeren Teilen der europäischen Gesellschaften auf Israel, lässt sich aus der Realpolitik nicht mehr erklären. Darin steckt viel von historischem Aufrechnen und alten Vorurteilen gegenüber Juden.

Und besonders fatal ist diese Haltung, weil sie mit dem Antisemitismus korreliert, der leider bei vielen Muslimen anzutreffen ist. Auch sie ziehen aus dem Nahostkonflikt einen Hass auf Juden generell, auch wenn sie selbst, weil sie etwa türkischer oder marokkanischer Abstammung sind, mit Israel gar nichts zu tun haben. Das führt dann dazu, dass „Jude“ mittlerweile ein gängiges Schimpfwort in deutschen Schulen ist oder ein jüdischer Junge wegen Mobbing durch muslimische Mitschüler die Schule verlassen muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn es die Christen in unserem Land ernst meinen mit ihrem Bekenntnis gegen Antisemitismus, wenn sie sich wirklich von den alten antisemitischen Traditionen ihrer Kirchen lösen wollen, dann müssen sie heutzutage auch entschlossen einem Antisemitismus entgegentreten, der getarnt als Kritik an Israel daherkommt oder der von zu vielen jungen Muslimen in soundsovielter Generation weitergetragen wird.

Umso wichtiger ist ein Forum wie das ICCJ, welches weltweit dazu beiträgt, Vorurteile und Ressentiments abzubauen. Für ein gedeihliches Nebeneinander von Christentum und Judentum zu wirken, fühlen sie sich verpflichtet, haben sie sich verpflichtet. Dafür danke ich Ihnen im Namen des Zentralrates der Juden in Deutschland und darf Ihnen an dieser Stelle die besten Wünsche und Grüße von unserem Präsidenten, Dr. Josef Schuster überbringen.

Dass wir einander mit Respekt und Toleranz begegnen sollten wir allen Menschen unserer Welt abverlangen, insbesondere aber denen in Europa oder Deutschland lebenden. Diesen Auftrag geben uns die europäischen Verfassungen und natürlich auch das deutsche Grundgesetz. Diesen Auftrag gibt uns vor allem aber unser Glauben. Egal, ob christlich, jüdisch oder muslimisch. Lassen Sie uns dieses Gebot ernst nehmen!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Tagung und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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