Impuls zur Podiumsdiskussion auf der Veranstaltung „Heiliger Vater, retten Sie uns!



Die Bittschreiben verfolgter Juden an Papst Pius XII.“ vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster,

Anrede,

wer hätte vor drei Jahren in diesem Raum auf Anhieb sagen können, wer Prinz Philipp von Hessen gewesen ist? Seit einiger Zeit ist einem breiten Publikum klar, der Prinz war Sondergesandter Hitlers für Papst Pius XII. Seit dem Frühjahr 1939 reiste von Hessen, der mit einer Tochter von König Viktor Emmanuel III. verheiratet war, mehrmals nach Rom, um den Papst zu treffen. In der 12-bändigen Dokumentation des Vatikans, die in den Jahren 1965 bis 1981 über die Zeit des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht wurde, findet sich kein Hinweis auf diese Treffen. Die vier jesuitischen Editoren haben systematisch alle Referenzen zu diesen geheimen Gesprächen getilgt. Allein das schon irritierend genug. Erst nach der Öffnung der Archive im Jahr 2020 für die Zeit des Pontifikats von Pius XII. wurden sie bekannt.

Was erfahren wir aus diesen Quellen? Ein kurzer Exkurs, der sich dazu in der detaillierten Studie „The Pope at War“ von David Kertzer findet: Schon im ersten Gespräch mit von Hessen war der Papst eifrig an einer Übereinkunft mit dem Nazi-Staat interessiert – zum Schutz der Katholiken im sogenannten Dritten Reich. Dieser Schutz blieb sein oberstes Ziel, auch nach Kriegsausbruch.

Als Entgegenkommen der Kirche forderte Hitler von Anfang an ein Schweigen des Papstes zur, in Anführungszeichen, „Rassenfrage“. Kertzer ist sich sicher: Den Papst ruhig zu halten war die einzige Aufgabe von Hessens. Der Diktator in Berlin machte sich nicht unbegründet Hoffnung auf den Erfolg dieser Mission. Der Bischof von Rom hatte sich auch in seiner Zeit als Kardinalstaatssekretär, als das faschistische Italien die Rassegesetze übernommen hatte, nicht zu dieser Thematik geäußert. Papst Pius XI., der Vorgänger von Pius XII., sah die Rassegesetze im Übrigen deutlich kritischer und äußerte das auch gegenüber Mussolini.

Pius XII. glaubte fest an einen Sieg der Achsenmächte im sich abzeichnenden Konflikt mit den westlichen Demokratien. Dies änderte sich lange nicht. Bei aller Kritik, die er intern auch zum kirchenfeindlichen Kurs der Nazis äußerte, war es sein Ziel, die katholische Kirche mit den, aus seiner Sicht, künftigen Herrschern Europas gut zu stellen. Hauptfeind blieb ohnehin der Kommunismus – vor allem die italienischen Bischöfe konnten ihren Enthusiasmus mit Blick auf den Russlandfeldzug Hitlers, dem sich auch Mussolini anschloss, nicht verbergen.

Pius XII. wusste über die systematische und immer industrieller werdende Ermordung der Juden, gerade in Bezug auf den Russlandfeldzug, Bescheid – das belegen viele Quellen. Er war darüber bestürzt und schockiert, das wissen wir auch. Aber seine öffentliche Zurückhaltung zum vermeintlichen Schutz der Kirche war letztendlich eine geistige Selbstverzwergung derselben. Die Bittschreiben von Jüdinnen und Juden an Pius XII. sind ein weiterer Baustein in der Rekonstruktion der Haltung des Papstes. Sie eröffnen einen menschlich-nahbaren Blick auf das Menschheitsverbreichen Schoa, der also auch Pius XII. nicht verschlossen war.

Das Forschungsprojekt „Asking the Pope for Help“ ist aus meiner Sicht unheimlich wichtig. Auch um einen latenten kirchlichen Antisemitismus zu analysieren, der wie ein Grundrauschen in den internen Vorgängen im Vatikan zu dieser Zeit, aber vor allem in den ersten Jahren, zu hören ist.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf die Diskussion.

 

München, 23.1.2023

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