Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, zur Eröffnung des Bachelorstudiengangs Jüdische Studien, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 27.10.2016
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir heutzutage Abiturienten befragen würden, welche religiösen Feste im Herbst traditionell in Deutschland begangen werden, was würden sie wohl antworten? Ich vermute, in Berlin würden sehr viele Halloween nennen. Hier in Bayern würden wir sicherlich noch etwas häufiger hören: das Erntedankfest, St. Martin, Allerheiligen, aber auch der Reformationstag. Dass jüdische Feiertage wie Rosch Haschana, Jom Kippur oder das Laubhüttenfest im September oder Oktober begangen werden, hätte vermutlich niemand gewusst. Und ob die Mehrheit der Befragten noch den Inhalt der christlichen Feste hätte erklären können, wage ich nicht mit Sicherheit zu prognostizieren.
Denn wir müssen einfach feststellen: So wie die traditionellen Bindungen in Deutschland zurückgehen, schwindet auch die religiöse Bildung. Kinder wachsen zu Hause nicht mehr automatisch mit den traditionellen Festen auf. Auf Weihnachten und Ostern werden wir zwar dank der Süßigkeiten im Supermarkt schon Monate vorher aufmerksam gemacht, aber – das wage ich jetzt aus jüdischer Perspektive zu behaupten – wie sinnentleert werden diese Feste oft zelebriert.
Dieser schwindenden Bildung setzen Sie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg einen neuen Studiengang entgegen. Als Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland freue ich mich ganz außerordentlich über die neuen „Jüdischen Studien“.
Sie gehen damit einen konsequenten Schritt. Fast zehn Jahre lang haben Sie Erfahrung gesammelt mit dem Nebenstudiengang „Judaistik“, der sich vor allem auf die religiösen Schriften konzentriert hat. Jetzt erweitern Sie nicht nur das akademische Angebot mit dem neuen Bachelor-Studiengang, nein, Sie erweitern auch den Blickwinkel. Sie deklinieren quasi das Jüdische durch alle Bereiche hindurch: durch die Literatur, die Kunst und die Kultur. Die Religion lassen Sie zum Glück nicht außen vor.
Nach einer vergleichbaren Methode wird auch an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg gelehrt. Ich würde es begrüßen, wenn es zu Kooperationen zwischen Heidelberg und Bamberg käme.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
mit diesem neuen Studiengang leisten Sie in meinen Augen etwas sehr Wertvolles: Denn sie veranlassen die Studierenden, mit einem anderen Blickwinkel auf das Judentum zu schauen, als sie es von der Schule gewöhnt waren. Im Schulunterricht werden Juden vor allem in der Rolle der Opfer betrachtet: als Opfer von Pogromen im Mittelalter sowie als Opfer der Shoa. Manchmal kommen sie auch als Täter vor: wenn über den Nahostkonflikt gesprochen wird. Dann wird Israel sehr häufig und einseitig als Täter identifiziert.
Diese Art und Weise, wie Juden als Thema in der Schule behandelt werden, hat uns, den Zentralrat der Juden in Deutschland, bewogen, mit der Kultusministerkonferenz zusammenzuarbeiten. Im Dezember werden wir eine gemeinsame Erklärung veröffentlichen, die darauf abzielt, das Judentum im Schulunterricht differenzierter und unter einem offeneren Blickwinkel zu betrachten.
Im Grunde arbeiten wir mit der KMK an einem Ansatz, der Ihrem neuen Studiengang entspricht: Den Beitrag von Juden auch in anderen Bereichen zu erforschen. Deutlich zu machen, dass Juden handelnde, aktive Menschen waren und unter ihnen innovative und kreative Persönlichkeiten zu finden waren, deren Namen man bis heute kennt. Das lässt sich hier in Franken aufgrund der einstigen Vielzahl jüdischer Gemeinden sogar regionalgeschichtlich aufzeigen.
Daneben ist uns wichtig, dass das Judentum nicht nur als historisches Thema wahrgenommen wird. Über das heutige jüdische Leben in Deutschland wissen die meisten Menschen in diesem Land fast nichts. Daher begrüße ich es sehr, dass Sie sich auch der jüdischen Gegenwartsliteratur und dem jüdischen Film zuwenden wollen. Gerade der israelische Film zeichnet sich durch brillante Wiedergaben des heutigen israelischen Alltags aus, nicht selten mit einem wunderbaren schwarzen oder sagen wir: jüdischen Humor.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der neue Studiengang ist aber auch vor der gesellschaftlichen Entwicklung unseres Landes zu betrachten. Eine wachsende Intoleranz gegenüber Minderheiten, die Betonung des christlich-jüdischen Abendlandes zum Zwecke der Ausgrenzung, die enthemmte Abwertung ganzer Bevölkerungsgruppen wie der Muslime oder der Asylbewerber – all dies macht solche Studiengänge noch viel wichtiger. Wir brauchen gut ausgebildete junge Leute, die gelernt haben, über die Grenzen ihrer eigenen Religion und ihrer eigenen Kultur hinauszuschauen.
Menschen, die Offenheit und Neugier für eine Religion, für eine Welt mitbringen, die ihnen zuvor vermutlich fremd war.
Die Absolventen des neuen Studienganges werden später in allen möglichen Berufen und Branchen arbeiten. Mit dem Wissen, das ihnen hier in Bamberg vermittelt wurde, können sie zu interreligiösen und interkulturellen Botschaftern werden!
Die Islamisten wollen ein Gegeneinander der Religionen erreichen. Sie wollen Israel auslöschen, sie greifen Kirchen und Synagogen an, sie bringen Jesiden in ihre Gewalt, sie machen sogar vor der eigenen Religion nicht Halt und verfolgen und töten Muslime.
Dem müssen wir ein entschiedenes Miteinander der Religionen entgegensetzen. Der respektvolle Umgang der Religionen miteinander sowie der respektvolle Umgang von Außenstehenden mit den Religionsgemeinschaften ist in meinen Augen der Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben in unserer heterogenen Gesellschaft und weltweit.
Mangelndes Wissen ist aber stets ein Nährboden für Vorurteile – davon können wir Juden ein Lied singen. Daher brauchen wir heute interkulturelle Botschafter dringender denn je.
Ich wünsche mir daher sehr und bin auch überzeugt davon, dass der neue Studiengang „Jüdische Studien“ ein Erfolg wird! Für Ihre neuen Aufgaben und Ihre Arbeit mit den Studierenden wünsche ich Ihnen alles Gute!
"Ihre Absolventen können zu interreligiösen Botschaftern werden"
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