Grußwort des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz



Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Deutschland
3. Juni 2012

Grußwort des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz

- es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Dr. Graumann,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Korn,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Ich gehe heute mit einer Ermutigung und der Gewissheit aus diesem Treffen, dass das Judentum in Deutschland lebendiger und noch viel stärker ist, als ich es mir gedacht habe"

Dieser Satz – meine Damen und Herren – verbunden mit dem Versprechen, den Gemeindetag als wichtigen Treffpunkt jüdischen Lebens in Deutschland wieder aufleben zu lassen, stammt nicht von mir,
er ist von Ihnen Herr Dr. Graumann – zumindest wenn der Artikel in der Jüdischen Allgemeinen über den ersten „Round Table" jüdischer Organisationen in Deutschland im März dieses Jahres in Berlin Sie richtig zitiert.

Dieser Satz ist aus meiner Sicht richtig und eine gute Nachricht.

Meine Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die Einladung zum Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ich hoffe, Hamburg zeigt sich Ihnen und Ihren Begleitern – gerade auch den von weiter her angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern – an diesem Wochenende von seiner schönsten Seite: weltoffen, tolerant und stets neugierig auf neue Anregungen, Ideen und Pläne. Denn darum geht es bei diesem Gemeindetag: um Kommunikation der jüdischen Gemeinden untereinander. Die Diskussion um den unverzichtbaren Platz, den jüdisches Leben, jüdische Kultur und Religion in der deutschen Gesellschaft wieder einnehmen, lohnt zweifellos auch den weitesten Weg.

Seit mehr als vier Jahrhunderten sind Jüdinnen und Juden in und um Hamburg ansässig und maßgeblich an der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gestaltung der Stadt beteiligt. Vom Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy über den Bankier Salomon Heine und den legendären Reeder Albert Ballin, über Herbert Weichmann, den früheren Ersten Bürgermeister Hamburgs, bis hin zu dem streitbaren Publizisten Ralph Giordano – sie und viele, viele andere Hamburgerinnen und Hamburger mit jüdischen Wurzeln haben unsere Stadt geprägt. Ich bin sicher, Sie werden in diesen Tagen etwas von diesem Geist spüren.

Hamburg ist ein guter Ort für diesen Gemeindetag – dem in meinen Augen nichts Spektakuläres anhaften muss. Ich wünsche mir, das unspektakuläre Selbstverständliche. Unspektakulär selbstverständlich ist der Alltag der jüdischen Gemeinden in Deutschland leider noch nicht, solange die Synagogen hierzulande Polizeischutz und Videokameras brauchen. Wir alle müssen uns dessen immer bewusst sein und alles tun, was wir gegen diesen beschämenden Umstand tun können.

Für Hamburg und diesen Senat gibt es hier keinerlei Zweifel: Erst gestern – Sie haben es vermutlich den Medien entnommen – haben Tausende Hamburgerinnen und Hamburger an einer Demonstration und Kundgebung gegen einen geplanten Neonazi-Aufmarsch teilgenommen, getragen von allen demokratischen Organisationen, Verbänden und Parteien. „Hamburg bekennt Farbe!" hieß das Motto, und das ist uns auch gelungen. Ich selbst bin dabei gewesen, denn aufzustehen gegen den rechten Ungeist, das ist eine Frage des Anstands und kann im demokratischen Hamburg gar nicht anders sein. Aber weil wir uns mit den rechten Gesinnungen nicht abfinden können, sollten wir uns doch über die Selbstverständlichkeit freuen, mit der sich jüdisches Leben in all seinen Facetten als Teil der Gesellschaft darstellt.

Dem unvergessenen Ignatz Bubis war genau diese Selbstverständlichkeit ein Herzensanliegen, weswegen er auch sein autobiografisches Gesprächsbuch mit der Aussage überschrieb: „Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". Diese so unscheinbar wirkende Aussage bezeichnet etwas Selbstverständliches, das in den Köpfen und im Sprachgebrauch vieler Menschen, vorwiegend der nicht-jüdischen, alles andere als selbstverständlich ist. Denn die immer wieder vorgenommene Unterscheidung zwischen Deutschen und Juden hielt der ehemalige Zentralratsvorsitzende für das Grundübel, und ich kann mich dem nur anschließen.

Nein, Hamburg ist für alle seine Bürgerinnen und Bürger da und wacht darüber, dass sich alle im Geist von Freiheit und friedlichem Zusammenleben in gegenseitiger Achtung so entwickeln, wie es ihnen entspricht. Heute sind wir auf das jüdische Gemeindezentrum ebenso stolz wie auf die jüdische Schule, die jüdische Kindertagesstätte und die koscheren Restaurants am Grindel und anderswo. Mehr als 100 Religionsgemeinschaften gibt es in Hamburg. Wir tolerieren es nicht, wenn unter dem Deckmantel des religiösen Bekenntnisses Hass geschürt wird – weder gegen Juden noch gegen Christen oder Andersgläubige.

Und wir fördern alle Bestrebungen, die den Respekt voreinander zum Ziel haben, wie es sich für eine demokratische Gesellschaft gehört. Ich würde es begrüßen, wenn neue, ungewöhnliche, vielleicht zukunftsweisende Impulse von Veranstaltungen wie diesem Gemeindetag ausgehen. Ich kann Ihnen versichern: Für gute Ideen hat dieser Senat ein offenes Ohr.

Meine Damen und Herren,

ein jüdisches Sprichwort sagt: „Gott gab den Menschen zwei Ohren, aber nur einen Mund – damit sie mehr zuhören und weniger reden." An beides will ich mich jetzt auch halten. So bleibt mir nur noch, Ihnen von Herzen zu wünschen, dass nach Ihrem Aufenthalt hier in Hamburg die vielen Begegnungen, inspirierenden Workshops und Referate die jüdische Gemeindearbeit nachhaltig bereichern.

Vielen Dank.

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