Ich freue mich sehr, dass wir heute das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ offiziell eröffnen. Zwar ohne Live-Publikum, doch wir lassen uns von Corona die Freude nicht nehmen!
Es ist die Freude darüber, dass wir ein ganzes Jahr lang die Möglichkeit haben, ein breites Publikum mit der jüdischen Kultur und Tradition vertraut zu machen. Mit dem jüdischen Leben, das schon seit vielen Jahrhunderten in deutschen Landen beheimatet ist. Und wenn wir nach den schriftlichen Zeugnissen gehen, dann hat es nördlich der Alpen seine längste Geschichte hier in Köln.
Die Schattenseiten der jüdischen Geschichte in Deutschland auszublenden, wäre falsch. Wir werden keine Jubelarie aus diesem Festjahr machen. Allein an ein paar Beispielen hier in Köln lassen sich die Höhen und tiefsten Tiefen dieser Geschichte nachvollziehen.
Mitten im Stadtzentrum gibt es die archäologische Zone. In wenigen Jahren wird die „Miqua“ zugänglich sein. Sie erzählt uns vom aufblühenden jüdischen Leben ebenso wie von Ausgrenzung und Vertreibung im Mittelalter.
Es gibt weitere beeindruckende Orte und Relikte aus der jüngeren Zeit, die von der wechselvollen Geschichte der Juden in Köln zeugen. Zu nennen ist die alte Tora-Rolle, die die Synagogengemeinde im Gottesdienst verwendet. Sie wurde einst von einem katholischen Geistlichen in der Pogromnacht 1938 aus der brennenden Synagoge in der Glockengasse gerettet.
Auch das NS-Dokumentationszentrum in der früheren Gestapo-Zentrale von Köln ist in schrecklicher Hinsicht ein Teil der jüdischen Geschichte der Stadt. Ebenso erzählen die Stolpersteine, die in Köln ihren Anfang genommen haben, die Geschichte der Juden, die in der Schoa ermordet wurden.
Und heute haben wir in Köln eine unserer großen jüdischen Gemeinden sowie eine kleinere liberale jüdische Gemeinde und freuen uns über ein aktives Gemeindeleben in dieser Stadt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
allein anhand lokaler Zeugnisse gibt es überall in Deutschland die Möglichkeit, sich über die deutsch-jüdische Geschichte zu informieren. Wir müssen jedoch leider feststellen, dass das Wissen in der Bevölkerung über die jüdische Vergangenheit und Gegenwart sehr gering ist.
Mangelndes Wissen über eine bestimmte Gruppe von Menschen, vor allem über eine Minderheit, führt jedoch fast immer zu Vorurteilen. Dieses Phänomen mit all seinen schrecklichen Folgen zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsch-jüdische Geschichte.
Auch heute noch gilt: Selbst wer persönlich noch nie einen Juden getroffen hat, wer sich für das Judentum eigentlich gar nicht interessiert, kennt antisemitische Vorurteile. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben – und sie halten sich umso besser, je weniger man über Juden weiß.
Dagegen müssen wir angehen. Und zwar vor allem in den Schulen. Im Unterricht muss nicht nur mehr Wissen über das Judentum vermittelt werden, sondern auch verstärkt über Antisemitismus aufgeklärt werden.
Wenn quer durch die Gesellschaft gezeigt wird, wie vielfältig jüdisches Leben ist, wenn Juden nicht länger als fremd empfunden werden, dann können wir erreichen, dass manches Vorurteil über Juden endlich ein für alle Mal verschwindet.
Ich bin optimistisch: So wie wir es hinbekommen werden, die Corona-Pandemie zu bewältigen, so können wir die Bevölkerung auch stärker gegen Antisemitismus immunisieren.
In diesem Sinne wünsche ich für das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ viel Erfolg!