"Ein Ort zur Bildung jüdischer Identität"



Foto: Zentralrat der Juden

Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen der I.E.-Lichtigfeld-Schule, 13.7.2016, Frankfurt/M.

Anrede,

zunächst einmal möchte ich Ihnen und Euch im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland ganz herzlich zu diesem stolzen Jubiläum gratulieren!

Mazal tow!

Ein Jubiläum ist ein guter Anlass zurückzublicken. Was war eigentlich los im Jahr 1966, dem Jahr, in dem die I. E. Lichtigfeld-Schule gegründet wurde?

Für euch Schüler erscheint diese Zeit sicherlich so weit weg wie der Zweite Weltkrieg. Ich selbst kann mich durchaus noch erinnern. Damals war ich zwölf Jahre alt. Die Erwachsenen redeten über den Vietnam-Krieg und in Deutschland über die erste Große Koalition, die unter Kiesinger gebildet wurde.

Ich fand viel interessanter, dass ein Wal in den Rhein geschwommen war. Zu gerne hätte ich ihn gesehen. Und im Sommer gab es nur ein Thema: Die Beatles kamen auf Deutschland-Tournee. Sechs Konzerte in drei Städten: München, Essen und Hamburg. Ich hoffe, ich muss euch Schülern nicht erklären, wer die Beatles waren. Wer es nicht weiß, fragt bitte seine Eltern oder Großeltern.

Dann kam die Fußball-Weltmeisterschaft. Ich sage nur: Wembley-Tor. Deutschland war im Finale, aber Weltmeister wurden die Briten.

Ist es angesichts solcher Ereignisse überhaupt etwas Besonderes, wenn eine neue Schule gegründet wird?

Für die Lichtigfeld-Schule müssen wir diese Frage ganz klar mit „Ja“ beantworten. Denn sie war nach Krieg und Shoa die erste jüdische Schule, die wieder in Deutschland eröffnet wurde. Was das damals bedeutete, dazu haben wir schon viel gehört.

Ich möchte auf zwei Aspekte eingehen, die mir bis heute bei dieser Schule und auch bei den anderen jüdischen Schulen in Deutschland wichtig sind: Eine jüdische Schule ist neben den Elternhäusern und der Gemeinde der wichtigste Ort für einen jungen Menschen, um eine jüdische Identität herauszubilden. In dieser geschützten Umgebung wird in einer Intensität wie wohl nirgends sonst die jüdische Religion, Tradition und Kultur vermittelt.

Und nicht nur die Intensität ist bemerkenswert. An den jüdischen Schulen findet authentisches jüdisches Leben statt. Hier erleben die Schüler die jüdische Tradition in ihrer ganzen Vielfalt. Diese breite Vermittlung des Judentums ist an staatlichen Schulen nicht anzutreffen. Unsere jüdischen Schulen leisten damit einen überaus wertvollen Beitrag für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland – und darüber hinaus!

Daher gilt heute mein besonderer Dank der langjährigen Schulleiterin Frau Alexa Brum, der heutigen Schulleiterin Frau Dr. Noga Hartmann sowie dem gesamten Lehrerkollegium und den Erziehern! Sie tragen eine hohe Verantwortung und sollen wissen: Sie haben unseren vollen Rückhalt!

Der Zentralrat der Juden in Deutschland setzt sich nicht nur dafür ein, die richtigen politischen Rahmenbedingungen für Sie zu schaffen. Wir leisten auch praktische Unterstützung durch Lehrerfortbildung oder durch Lehrbücher wie etwa jüngst mit dem Lehrbuch zur jüdischen Ethik.

Noch ein weiterer Aspekt ist mir wichtig: Unsere jüdischen Schulen leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Integration. Viele jüdische Kinder und Jugendliche unserer Gemeinschaft haben ihre familiären Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion. In ihren Familien wurde das Judentum nicht mehr gelebt. Schließlich hatte die Sowjetunion kräftig daran gearbeitet, Religionen zurückzudrängen. Juden waren häufig Nachteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Kein Wunder, dass die Tradition nicht mehr gepflegt wurde. Diese Familien brauchten und brauchen Unterstützung, um hier in Deutschland wieder den Weg zum Judentum zu finden. Die jüdischen Schulen erbringen ebenso wie die Gemeinden dafür Hilfestellung.

Und besonders schön ist es, dass die Lichtigfeld-Schule diese Traditionen auch in einem traditionsreichen Gebäude vermitteln kann. Das Philantropin war bis zur Zwangsschließung 1942 die größte jüdische Schule Deutschlands. Im Jahr 2004 gelang es, dieses Gebäude wieder für die jüdische Schule zu gewinnen. Schon im Schuljahr 2006/2007 konnte hier der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden.

Und ich weiß, wer sich mit ganz viel Herzblut und Leidenschaft für den Umzug ins Philantropin eingesetzt hat: Das war der damalige Finanz- und Schuldezernent der Jüdischen Gemeinde und mein Amtsvorgänger als Zentralratspräsident, Dieter Graumann. Ihm gebührt an diesem Jubiläumstag ein besonders herzliches Dankeschön!

So wie vor dem Krieg die jüdische Schule steht auch die Lichtigfeld-Schule seit ihrer Gründung nicht-jüdischen Schülern ebenfalls offen. Das war damals eine kluge Entscheidung. Bis heute halte ich die Schule als Ort der Begegnung von jüdischen und nicht-jüdischen Kindern für sehr wichtig. Wie können Berührungsängste, Vorurteile oder Unwissen besser abgebaut werden als durch ein direktes Miteinander? Heutzutage ist diese täglich praktizierte Toleranz und Freundschaft wertvoller denn je.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich könnte meine Eloge auf diese Schule noch um viele Aspekte erweitern. Doch dann würden Sie wahrscheinlich vermuten, ich wolle nur eine Bresche schlagen für meinen Enkel, der s. G. w. in fünf Jahren hier eingeschult wird. Dem ist nicht so. Das hat mein Enkel gar nicht nötig. Wie die meisten Großeltern halte ich meinen Enkel für hochbegabt.

Diese Schule gebührend zu würdigen, war mir eine Herzensangelegenheit. Dennoch möchte ich zum Schluss kommen, denn gerade ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, habt schon sehr viel Geduld aufgebracht.

Daher wünsche ich Euch viel Erfolg auf eurem weiteren Weg und viel Spaß bei eurem Jubiläumsfest sowie der Schule eine goldene und sichere Zukunft!

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