Die „Vorbehaltsfilme“ - Über den Umgang mit dem „braunen“ Erbe



Grußwort von Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann im Rahmen der Tagung „Die Machtergreifung der Bilder – Der Nationalsozialismus im Film“ vom 6. – 8. Dezember 2017 in Wiesbaden

Anrede,

 

herzlich willkommen bei der Tagung „Die Machtergreifung der Bilder – Der Nationalsozialismus im Film“.

In den kommenden Stunden und Tagen werden Sie sich Filme zu Gemüte führen, die wahrlich nicht „vergnügungssteuerpflichtig“ sind.

Mit der heute beginnenden Tagung des Zentralrats der Juden in Deutschland widmen wir uns einem Thema, das in der Öffentlichkeit immer wieder hochumstritten und heiß umkämpft ist, nämlich der grundsätzlichen Frage: Wie gehen wir mit dem „braunen“ Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus‘ heute um?

Wie wir wissen, spielte der Film für die Propaganda im Nationalsozialismus eine ganz zentrale Rolle. Aber die Diskussion über den Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe betrifft nicht nur das Thema Film, es betrifft generell all jene Hinterlassenschaften des sogenannten „Dritten Reiches“, die in der einen oder anderen Weise die Zeit überdauert haben.

Die Debatten darüber, wie mit diesem Erbe zu verfahren ist, führen nicht selten zu heftigen öffentlichen Streitgesprächen, die außerordentlich kontrovers geführt werden. Dies gilt sowohl für die Debatten innerhalb der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft – als auch für die Diskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.

Ich erinnere hier nur an die zurückliegenden Debatten um die Publikation von Hitlers „Mein Kampf“, bei der man sich nach langen Diskussionen und harten Kämpfen auf die Herausgabe einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe geeinigt hat.

Ich erinnere auch an die mehr als lebhafte Debatte um das Projekt „Zeitungszeugen“. Hierbei handelte es sich um thematisch gebündelte Nachdrucke von Zeitungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, darunter das NSDAP-Blatt „Völkischer Beobachter“, die vom Londoner Verlagshaus Albertas Limited produziert wurden und in der Folge an jedem Bahnhofskiosk zu finden waren.

Nicht selten, meine Damen und Herren, wird der Zentralrat der Juden in Deutschland entweder in den Abstimmungsprozess zu derartigen Vorhaben einbezogen, mindestens aber um eine entsprechende Stellungnahme gebeten.

So positiv dies grundsätzlich ist, kann man sich ab und zu allerdings nicht des Eindrucks erwehren – und das gestehe ich hier ganz offen –, dass der Zentralrat lediglich dazu instrumentalisiert werden soll, dem jeweiligen Projekt den notwendigen „Kosher-Stempel“ zu verleihen.

Wirklich spannend wird es dann, wenn diese Absicht scheitert. Scheitert, weil die jüdische Perspektive auf den Nationalsozialismus verständlicherweise eine völlig eigene ist.

Mag es auch „die“ jüdische Perspektive ebenso wenig wie „die“ nichtjüdische Perspektive auf den Umgang mit dem braunen Erbe geben, so blicken Juden auf das für sie mörderische NS-System auch in den nachfolgenden Generationen aus einer Perspektive der Betroffenheit und dem Wissen darum, wie schnell sicher geglaubte Räume plötzlich zu existentiell bedrohlichen Räumen werden und ganze Gesellschaften plötzlich kippen und zu Diktaturen werden können.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um den künftigen Umgang mit den sogenannten „Vorbehaltsfilmen“ hat mich immer wieder die Selbstgewissheit manch eines Kulturschaffenden erstaunt, mit der ein nahezu unkommentierter Zugang zu nationalsozialistischer Propaganda für eine breite Öffentlichkeit gefordert wird.

Eine Selbstgewissheit, die die Fundamente unserer Demokratie für ebenso unumstößlich hält wie den tiefen Glauben an eine von der überwiegenden Mehrheit in Deutschland geteilten Wertegemeinschaft.

Ich teile diesen Glauben, meine Damen und Herren, nicht. Nicht in Form einer a priori gesetzten unumstößlichen Gewissheit.

Wir haben heute mehr Indizien denn je, daran zu zweifeln, dass die Fundamente dieser demokratischen und in ein geeintes Europa eingebetteten deutschen Demokratie unumstößlich sind. Dafür sind die zunehmenden Aggressionen an den politischen Rändern (und übrigens nicht nur dort) unserer Gesellschaft ein mehr als deutliches Indiz.

Ebenso wie die Tatsache, dass wir nunmehr eine Partei wie die AfD in 14 von 16 Länderparlamenten sowie mit über 90 Abgeordneten im Deutschen Bundestag zu sitzen haben. Eine Partei, die ganz offen eine erinnerungspolitische Wende zu ihrem Programm erhoben hat. Und das, meine Damen und Herren, ist kein „tagespolitischer Aufreger“, sondern fester strategischer Bestandteil der Programmatik dieser Partei und ihrer Anhänger.

In meiner Funktion als Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland erhalte ich wöchentlich besorgte Anrufe von Mitgliedern in Beiräten von Gedenkstätten, von Repräsentanten von Demokratieprogrammen oder von Menschen, die in den Gremien der Landeszentrale für politische Bildung aktiv sind, die mich fragen, wie sollen wir denn jetzt mit dem aggressiven Wind umgehen, der uns dort entgegenwehen wird? Wie können wir verhindern, dass der erinnerungspolitische Konsens, den wir in dieser Republik erreicht haben, nicht wieder zurückgedreht wird?

Das, meine Damen und Herren, sind die Fragen, die mich beschäftigen. Wie können wir noch innovativer über den Nationalsozialismus in den Schulen aufklären? Wie können wir dem Unwissen über die jüdische Gemeinschaft begegnen? Wie können wir dem grassierenden Hass gegen Juden und Israel bekämpfen? Wie können wir sicher sein, dass jene, die aus Not zu uns kommen, nicht das antisemitische Erbe ihrer jeweiligen Heimat mit sich tragen?

Der Antisemitismus, meine Damen und Herren, war nie weg. Es gab keine Stunde Null nach 1945!

Darum heißt es, wachsam bleiben, die Mechanismen begreifen lernen, die zu dem größten Menschheitsverbrechen geführt haben, und das „Nie wieder“ zur Maxime unseres Handelns zu machen. Dafür gibt es andere Wege, als den Markt mit Nazipropaganda-Filmen aus der Mottenkiste der Geschichte zu fluten.

Aus diesen Gründen, meine Damen und Herren, ist es sinnvoll und richtig, dass die sogenannten „Vorbehaltsfilme“ das bleiben, was sie sind. Dass sie auch künftig im „politischen Giftschrank“ bleiben und lediglich im pädagogisch begleiteten Rahmen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der Zentralrat der Juden hat diese Haltung in seinen Gremien einstimmig beschlossen, und ich bin sicher, wenn Sie die Filme aus der NS-Zeit und ihre demagogisch-perfide Inszenierung auf sich haben wirken lassen, werden Sie zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen eine spannende Tagung!

 

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