AJC Chanukka-Empfang



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, anlässlich des AJC Chanukka-Empfangs, 29.11.2017, Berlin.

Quelle: AJC

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Anrede,

ich freue mich sehr heute hier bei Ihnen sein zu können und mit Ihnen, wenn auch etwas früher als tatsächlich, Chanukka gemeinsam – nennen wir es einmal „einläuten“ zu dürfen.

Quasi den Vorgeschmack auf dieses wahrlich „WUNDER“-volle Fest zu zelebrieren und uns darauf einzustimmen.

Chanukka, ich deutete es gerade an, wird als „Fest der Wunder“ bezeichnet. Keine Sorge, ich habe nicht vor hier eine rabbinische Predigt vorzutragen, erlauben Sie mir dennoch ein Zitat anzubringen, dass von einem der berühmtesten jüdischen Gelehrten stammt, nämlich Rabbi Mosche Ben Maimon, besser bekannt als Rambam oder als Maimonides.

Er sagte: „Wunder sind kein Beweis für etwas Unmögliches, sondern eine Bestätigung für das Mögliche.“

Und das, liebe Freunde, steht eigentlich auch in vielerlei Hinsicht für das jüdische Leben hier in Deutschland, so wie wir es mittlerweile wieder haben. Dass zu Zeiten der Makkabäer, deren unermüdlichem Widerstandskampf wir an Chanukka gedenken, das Wunder geschah, trotz ihrer numerischen Unterlegenheit, den Aufstand gegen die alten Griechen – verkürzt dargestellt –  zu gewinnen.

Sie diesen Kampf im unermüdlichen Glauben überhaupt überlebten – ist sicherlich die erste Parallele, die man ziehen kann zum heutigen jüdischen Dasein in Deutschland.

Wer hätte es geglaubt, gar nur zu träumen gewagt, dass es ein jüdisches Leben nach der Schoa jemals in Deutschland wieder geben würde, dass es überleben konnte und heute sogar als blühend und vielfältig bezeichnet werden kann?

In dem Land, von dem das größte Menschheitsverbrechen ausging mit dem Ziel jüdische Existenz in Europa zu vernichten, gibt es heute wieder eine vitale, dynamische und zukunftsorientierte jüdische Gemeinschaft. Ein Wunder – in der Tat! Zugleich aber, frei nach Maimonides, eine Bestätigung für das Mögliche – wenn nur der Glaube, der Wille und die Courage stark genug sind.

Wir erinnern an Chanukka auch an das Wunder des Lichtes – Sie haben bestimmt davon gehört. Denn was war geschehen? Nachdem die Makkabäer erfolgreich durch ihre Heldentaten den Kampf gewannen, konnten sie den entweihten Tempel, den wichtigsten Ort für die Juden in Jerusalem, wieder einweihen. Dafür sollten die Lichter der Menora im Tempel wieder erleuchten und niemals wieder erlöschen.

Allerdings befand sich nach den Kämpfen und der Zerstörung nur noch ein einziger Krug mit geweihtem Öl im Tempel, der das Licht für nur einen Tag hätte brennen lassen können.

Für die Herstellung neuen geweihten Öls hätte man weitere acht Tage benötigt. Doch dann geschah dort ein Wunder: „Nes gadol haja sham“ (– „ein großes Wunder geschah dort“) – denn das Licht, das eigentlich nur einen Tag hätte brennen sollen, brannte ganze acht Tage lang, solange bis neues Öl also vorhanden war. Deshalb werden an Chanukka acht Tage lang Kerzen gezündet, jeden Tag eine Kerze mehr. Sie stehen für das Wunder, aber auch für das Licht, dass die Juden nach düsteren Zeiten wieder erblickten und das ihnen Hoffnung schenkte.

Chanukka wird deshalb auch Lichterfest genannt. Und auch hier können wir eine Parallele entdecken.                             

Als 1945 von den ehemals 500.000 in Deutschland lebenden Juden nur noch 15.000 überlebten – wer hätte da gedacht, dass das Licht des neues jüdischen Lebens, das diese Menschen entfachten, je so lange halten würde.

Nicht nur gab es Zweifel und kräftigen Widerstand sogar aus der internationalen jüdischen Gemeinschaft, aber rein aus nummerischen, aus demographischen Gründen, die sich bis 1990 hielten, wüssten wir nicht, ob überhaupt und wenn ja, in welcher Stärke wir von einem jüdischem Leben in Deutschland heute hätten sprechen können.

Gemeinsamkeiten lassen sich also finden. Vielleicht meinen jetzt einige „Das ist aber etwas weit hergeholt“ – ich glaube es LEIDER nicht.

Noch heute bezeichnen gerade viele Politiker das jüdische Leben in Deutschland als Wunder. Und ja, Sie kennen das Zitat von David Ben Gurion im Rahmen der Gründung des Staates Israels „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“. Und wir sind froh, dass wir heute, ganz realistisch von nicht nur einem Wunder des jüdischen Lebens sprechen können, sondern von einem „Wunder“-vollen jüdischen Leben hierzulande.

Eine Vielfalt an jüdischen Meinungen, religiösen Denominationen, und Herkunftsländer unserer Gemeindemitglieder bereichern nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft.

Die jüdische Gemeinschaft leistet ihren Beitrag, gesellschaftspolitisch und kulturell. Wir sind integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft, auch wenn wir dies immer noch viel zu vielen nicht-jüdischen Menschen immer wieder deutlich machen müssen.

Und trotz aller Errungenschaften, der letzten sieben Jahrzehnte, trotz der positiven Entwicklung, auch gerade seit der Zuwanderung jüdischer Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion vor knapp 30 Jahren, wurden gerade in den letzten Jahren Zweifel lauter, ob jüdisches Leben hier eine Zukunft hat.

Wird das Wunder des jüdischen Lichtes in Deutschland weiterbestehen oder doch irgendwann erlöschen?

Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde, alleine dass es solche Zweifel gibt, macht deutlich, dass etwas nicht stimmt in unserer Gesellschaft. Und es ist höchste, allerhöchste Zeit dagegen etwas zu unternehmen.

Ich möchte die fröhliche Stimmung hier bestimmt nicht verderben, aber es gibt trotz allem Schönen, was zum jüdischen Leben in Deutschland heute wieder gesagt werden kann, auch vieles, was nicht so schön ist. Denn heute sind Bedenken und Sorgen in der jüdischen Gemeinschaft wieder verbreitet.

Der wachsende Antisemitismus und seine Komplexität, gepaart mit fehlenden, ganzheitlichen Bekämpfungsstrategien sind mehr als besorgniserregend. Zudem erschweren das Erstarken von Rechtspopulisten und der allgemeine Rechtsruck unserer Gesellschaft den Optimismus.     Einen Optimismus übrigens, den nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern wir alle in Deutschland dringend nötig haben.

Viele Landtagswahlen zeichneten es bereits ab und seit Ende September sitzt nun auch im Bundestag eine Partei, die den völkischen Nationalismus für sich beansprucht, sich unserer Meinung nach keineswegs genug vom Antisemitismus in ihren Reihen distanziert, Holocaust-Leugner und Geschichtsrevisionisten duldet.

Ich möchte der AfD hier keineswegs zu viel der Ehre und der kostbaren Redezeit zukommen lassen, aber was die Partei als „alternativ“ bezeichnet, wofür der Buchstabe „A“ in ihrem Namen also stehen soll, steht doch in Wahrheit für nichts anderes als Adjektive wie „agitatorisch“, „anti-religiös“, „ausländerfeindlich“, ja und oft auch „antisemitisch“.

Mit aller Kraft müssen wir uns gegen Demagogie und Hetze wehren.

Einer Neuschreibung der Geschichte um wieder „stolz auf unsere Soldaten im Zweiten Weltkrieg“ sein zu können, eine Verunglimpfung und Relativierung der Opfer der Schoa, müssen wir uns ALLE demokratisch entgegenstellen. Denn auch hier sei nochmal erwähnt: Antisemitismus ist kein Problem der Juden und seine Bekämpfung keine jüdische Aufgabe – Nein, es ist unser aller Problem, es ist ein Angriff auf unsere Demokratie und daher auch Verpflichtung aller, diesen zu bekämpfen. Und zwar egal, von wem und von welcher Seite er kommt.

Lassen Sie mich an dieser Stelle daher einmal über die Komplexität des Antisemitismus einige Worte sagen. DEN Antisemitismus gibt es nicht mehr. Er ist heute vielfältiger, vielschichtiger, teils offen und vulgär, teils latent und subtil. Wir sind daher der letzten Bundesregierung dankbar, dass sie als eine ihrer letzten Amtshandlungen die IHRA-Definition von Antisemitismus angenommen hat. Eine Definition, die dieser Komplexität Rechnung trägt.

Denn Antisemitismus findet sich in der DNA der Rechtsextremen, aber auch in der extremen Linken ist er zu finden, meist unter dem Deckmantel einer vermeintlich legitimen Kritik an Israel.

Antisemitismus ist auch zu finden in Teilen der muslimischen Community, und zwar nicht erst „importiert“ durch die Geflüchteten im Jahr 2015, sondern auch schon vorher vorhanden und exemplarisch offen gezeigt im Sommer 2014, als auf pro-palästinensischen Demonstrationen auch antisemitische Parolen wie beispielsweise „Juden ins Gas“ gerufen wurde.

Zudem hat in diesem Jahr der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus des Bundestags einen mehr als ernüchternden Bericht vorgelegt, den ich nur jedem zur Lektüre empfehlen kann. So fanden die Experten heraus, dass der klassische Antisemitismus etwa zurückgeht, aber der sekundäre Antisemitismus bei sogar 26 Prozent liegt. Dieser wird getoppt vom Israel-bezogenen Antisemitismus, der 40 Prozent der hier lebenden Bevölkerung attestiert wurde.

Zudem wurden auch die Betroffenen befragt, also wir, die jüdische Gemeinschaft.

Ca. 90 Prozent der jüdischen Befragten empfinden Antisemitismus als großes oder sehr großes Problem und als stark empfundene Belastung.

Etwa 60 Prozent vermeiden aus Sicherheitsgründen bestimmte Stadtteile und haben über Auswanderung nachgedacht. 70 Prozent vermeiden das Tragen äußerlich erkennbarer jüdischer Symbolik.

Verehrte Freunde – dies im Jahre 2017! Hier in Deutschland. Das sind nicht nur Zahlen, das ist ein Skandal! Doch auf den Aufschrei warte ich leider noch vergeblich.

Um den Antisemitismus entschlossen, effektiv und dauerhaft zu bekämpfen, muss eine explizite Stelle beim Bund geschaffen werden. Und ich weiß, hier gehen wir mit dem AJC d’accord, wenn wir einen Bundesbeauftragen für die Bekämpfung von Antisemitismus fordern. Im Idealfall im Bundeskanzleramt angesiedelt, damit diese Person ressortübergreifend und koordinierend agieren kann und unter anderem auch gewährleistet, dass die Handlungsempfehlungen des Expertenkreises umgesetzt werden.

Es gibt viel zu tun, sehr viel. Nehmen wir zum Beispiel das Bildungssystem, unsere Schulen: Eine kürzlich veröffentliche Studie der Körber-Stiftung fand heraus, dass vier von zehn Schülern nicht wissen, wofür „Auschwitz“ überhaupt steht.

Bei unseren nächsten Bundestagswählern, die 14-16-Jährigen sind es sogar 47 Prozent, die diese Wissenslücke aufweisen. Eine Lücke, die wir nicht größer werden lassen dürfen. Gerade auch in diesen Zeiten, in denen die Forderung nach Schlussstrichen immer wieder aufkommt und Geschichtsklitterungsversuche sich häufen.

Gerade in Zeiten, in denen wir Tendenzen vernehmen, die Schoa als ein Genozid von vielen anderen des letzten Jahrhunderts nur als beiläufiges Geschehen künftig zu erwähnen.

Gerade auch in Zeiten, in denen wir dabei sind unsere authentischsten Quellen, nämlich die Schoa-Überlebenden selbst, leider zu verlieren.

Es gilt keine Zeit zu vergeuden. Schülerinnen und Schüler – und zwar egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, sollten um die Vergangenheit wissen, um die richtigen Lehren zu ziehen. Denn ja, die Verantwortung, dass so etwas nie wieder geschehen darf, die bleibt. Sie MUSS bleiben!

Ich plädiere daher für einen Besuch einer Gedenkstätte oder eines anderen authentischen Ort des Geschehens, um aus der abstrakten Faktenwelt der Lehrbücher, einmal in die Realität unserer Geschichte einzutauchen.

Dies sollte übrigens auch für Integrationskurse gelten. Dort müssen unsere Werte, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ausmachen, vermittelt werden.

Und dazu gehört die klare Absage an Antisemitismus und der Delegitimierung des Staates Israels, dessen Sicherheit zur deutschen Staatsraison gehört.

Sehr geehrte Anwesende, ich könnte hier noch stundenlag über unsere Herausforderungen sprechen. Ich möchte dennoch abschließen, wie ich begonnen habe – also positiv.      Ich bin fest davon überzeugt, dass zum einen die jüdische Gemeinschaft heute in Deutschland wieder selbstbewusst genug ist und die Stärke besitzt, alle Herausforderungen zu meistern. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir es gemeinsam mit allen demokratischen Freunden schaffen werden, uns den Kräften, die versuchen die Gesellschaft zu spalten, erfolgreich entgegenzustellen.

Brauchen wir für meine Überzeugung ein Wunder? Vielleicht! Aber: Wie wir nun ja wissen: „Wunder sind kein Beweis für etwas Unmögliches, sondern eine Bestätigung für das Mögliche.“

In diesem Sinne, ich wünsche Ihnen allen Chanukka Sameach, auf dass die Lichter uns ewig Hoffnung und Kraft schenken mögen! Vielen Dank!

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