60 Jahre Aktion Sühnezeichnen Friedensdienste



Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland,  Dr. Josef Schuster, beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen von Aktion Sühnezeichnen Friedensdienste, 27.5.2018, Berlin

Foto: Rolf Walter

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Dr. Reimers,

sehr geehrte Frau Dr. Schwaetzer,

sehr geehrter Herr Dr. Sternberg,

sehr geehrter Herr Bacon,

liebe Freiwillige,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Vor gut einem Jahr hat ein nicht nennenswerter Politiker aus Thüringen eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert. Würde diese Forderung durchgesetzt, würde der 60-jährigen Geschichte von Aktion Sühnezeichen vermutlich ein Ende gesetzt.

Vor 60 Jahren, am 30. April 1958, wurde die Organisation auf einer EKD-Synode gegründet.

Das, meine Damen und Herren, war damals ein Meilenstein, eine echte Errungenschaft. Das war in den bleiernen 50er Jahren, in denen die Verdrängung der NS-Verbrechen ganz oben auf der Tagesordnung stand, tatsächlich eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.

Allerdings nicht eine Wende im Sinne der AfD, sondern – im Gegenteil - eine Wende, die Deutschland ganz dringend brauchte: Nämlich Sühne zu leisten für die begangenen Verbrechen und vor allem die jüngere Generation so zu bilden, dass solch ein Menschheitsverbrechen wie die Schoa nie wieder möglich sein würde.

Die Gründungsgeschichte und die Verdienste von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste sind von meinen Vorrednern bereits ausführlich dargestellt worden.

Und so sehr es mir eigentlich ein Bedürfnis wäre, die wertvolle Arbeit der Organisation ebenfalls in allen Facetten zu würdigen, so will ich Sie nicht mit Wiederholungen langweilen.

Zunächst möchte ich aber Aktion Sühnezeichen Friedensdienste von Herzen zum Jubiläum gratulieren!

Erlauben sie es mir, zu diesem festlichen Anlass ein paar Gedanken zu formulieren, die mir mit Blick auf die nächsten60 Jahre Aktion Sühnezeichen wichtig sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn sich Gedenktage wie zum Beispiel der 27. Januar oder der 9. November nähern, wird in der Öffentlichkeit regelmäßig über die Gedenkkultur in Deutschland debattiert. Dabei geht es in jüngster Zeit auch um die Frage, wie wir eine Erinnerungskultur gestalten können, wenn die Stimme der Zeitzeugen verstummt ist.

Wie gelingt es uns dennoch, die Erinnerung an die Schoa nicht nur zu wahren, sondern bei den jüngeren  Generationen Empathie zu wecken, trotz des wachsenden zeitlichen Abstands? Und wie kann dies in einer Migrationsgesellschaft gelingen, in der immer mehr Menschen keinerlei familiären Bezug zur deutschen Geschichte haben?

Diese Fragen stellen sich auch für Aktion Sühnezeichen. Denn ein zentrales Element des Freiwilligendienstes war und ist die Arbeit mit Schoa-Überlebenden. Kann diese Arbeit durch andere Projekte ersetzt werden? Nein, die direkte Begegnung mit einem Überlebenden ist durch nichts zu ersetzen.

Denn zwischen dem Zeitzeugen, der von seinem Schicksal berichtet, und den Zuhörern entsteht immer eine ganz eigene Verbindung. Jedes Mal weckt ein Zeitzeuge andere Fragen. Und je nach Zuhörerschaft oder Atmosphäre erzählen die Zeitzeugen auch nicht jedes Mal das Gleiche. Manches verdrängte Ereignis wird vielleicht durch die Haarfarbe einer Schülerin oder den Dialekt eines Schülers in der Erinnerung wieder lebendig.

Diese besondere Atmosphäre, die jedem Gespräch mit einem Überlebenden innewohnt, kann kein Video und keine Ton-Aufnahme ersetzen. Es sind in der Regel Begegnungen, die die Zuhörer nie wieder vergessen.

Aktion Sühnezeichen hat daher einen großen Schatz geschaffen: Viele Überlebende erhielten durch die Freiwilligen nicht nur ganz praktisch Hilfe, sie erlebten vor allem junge Leute aus dem Land der Täter, die Menschlichkeit zeigten.

Den jungen Freiwilligen hat Aktion Sühnezeichen einen noch größeren Dienst erwiesen: Sie durften Menschen kennenlernen, die unter Bedingungen überlebt haben, die nur den Tod als Ziel hatten. Menschen, die nach dem Krieg oft als einzige Überlebende ihrer Familie dennoch die Kraft hatten, ein neues Leben aufzubauen.

Solche Begegnungen werden wir nicht ersetzen können. Doch die Auseinandersetzung mit der Schoa bleibt für unsere Gesellschaft immens wichtig.

Und so, wie Gedenkstätten neue Wege gehen müssen, wird auch Aktion Sühnezeichen neue Formen der Erinnerungsarbeit finden. Es gilt, die zweite Generation in den Blick zu nehmen. Wir tragen die Erinnerungen unserer Eltern in uns. Auch die Traumata haben sich zum Teil vererbt.

Und noch immer sind viele Aspekte der Schoa nicht erforscht. Die Gedenkstätten brauchen die Unterstützung von Freiwilligen. Hier können sich junge Menschen Gedanken darüber machen, wie sie anderen jungen Menschen diesen Teil der deutschen Geschichte vermitteln möchten.

Meine Damen und Herren, je weniger Zeitzeugen noch unter uns sind, desto größer wird die Bedeutung der Gedenkstätten. Ich appelliere daher an die Bundesregierung, das Gedenkstättenkonzept von 2008 weiterzuentwickeln. Hier muss Geld in die Hand genommen werden, damit die Gedenkstätten neue pädagogische Konzepte entwickeln können.

Denn Erinnerungsarbeit ist zugleich Demokratieerziehung. Die Bedeutung der Grundrechte in unserer Verfassung, die Bedeutung von Artikel eins, dem Schutz der Menschenwürde, wird demjenigen am besten klar, der in den zivilisatorischen Abgrund der Schoa geblickt hat. Die Nationalsozialisten hatten sämtliche Freiheitsrechte ausgehebelt. Sie sprachen den Juden und anderen Minderheiten ihr Lebensrecht ab. Sie setzten ihre völkische Ideologie auf brutalste Weise um.

Alles, war nur im Ansatz heute in diese Richtung geht, gilt es im Keim zu ersticken. Hetze gegen muslimische Asylbewerber, üble Witze über Homosexuelle, Jude als Schimpfwort – das sind die Anfänge!

Das dürfen wir nicht schweigend hinnehmen!

Ziel der Demokraten in diesem Land muss es sein, die AfD wieder aus den Parlamenten zu verbannen!

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

viele Juden betrachten Deutschland ganz selbstverständlich als ihr Zuhause. Doch seit einiger Zeit schleicht sich ein Gefühl der Verunsicherung ein. Wir fragen uns, ob wir wirklich auf Dauer eine Zukunft in Deutschland haben. Und ob wir es wirklich wagen sollen, uns mit einer Kippa auf der Straße zu zeigen.

Organisationen wie Aktion Sühnezeichen haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass sich Juden nach der Schoa in Deutschland wieder akzeptiert fühlten.

Im Namen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland möchte ich Ihnen daher unseren tiefen Dank aussprechen! Ich wünsche Ihnen weiterhin so viel Erfolg für Ihre Arbeit wie in den vergangenen 60 Jahren.

Vor allem aber wünsche ich unsallen in diesem Land, dass Aktion Sühnezeichen weiterhin Erfolg hat.

Denn diese Arbeit, die Aktion Sühnezeichen für unsere Demokratie leistet, brauchen wir dringender denn je. Die Errungenschaften des demokratischen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir sind jetzt gefragt, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

 

 

 

 

 

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