Laudatio von Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble
04. November 2009
Presseerklärung

Laudatio von Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble

Der Leo-Baeck-Preis wird an Menschen verliehen, „die sich zum einen in herausragender Weise für die Jüdische Gemeinschaft eingesetzt haben und denen es zum anderen gelungen ist, aus den dunklen Kapiteln Deutscher Geschichte Lehren für die Zukunft zu ziehen“. In der Reihe bedeutender Träger des Leo-Baeck-Preises ist Theo Zwanziger der Erste, dessen Wirken hauptsächlich in den Bereich des organisierten Sports fällt. Und das hat guten Grund. Wie kaum ein anderer hat Theo Zwanziger begriffen, welch große gesellschaftliche Bedeutung und Verantwortung der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen haben. Und wie kein Zweiter, der über große Verantwortung und Gestaltungsmacht im organisierten Sport verfügt, hat er aus dieser Erkenntnis Konsequenzen für sein konkretes Handeln und für die Ausrichtung seines so wichtigen Verbandes gezogen. Man muss sich vor Augen führen, wie viele Menschen der Fußball in seinen Bann schlägt – Millionen als aktive, vom Jugendlichen bis zum Nationalspieler oder zum Freizeitkicker – zig Millionen als Zuschauer in Stadien und im Fernsehen. Und dann begreift man, welche Chancen darin liegen, dass dieser Fußball sich für Integration und gegen Vorurteile, gegen Antisemitismus und Rassismus, für Fair Play und Toleranz gegen Gewalt tatkräftig und beharrlich engagiert.

Da kann die Politik in Bund und Ländern sich lange mühen, dass muss sie tun und das tut sie auch – aber die Wirkung von Aktionen im Fußball, der Nationalspieler und der bewunderten und geliebten Stars auf viele Fans wird sie schwer erreichen. Und dafür hat sich keiner persönlich mehr engagiert als Theo Zwanziger. Seit er 1992 Vorstandsmitglied im Deutschen Fußballbund wurde, hat er sich dafür eingesetzt, als Beauftragter für soziale Integration des DFB, als Vorsitzender des Kuratoriums der Egidius-Braun-Stiftung, als Schatzmeister und als Präsident.

Wir hatten schon Anfang der 90er Jahre spezielle Programme im und durch den Sport, um die damals große Zahl von Spätaussiedlern in unsere freiheitliche Gesellschaft gut zu integrieren. Und der Fußball hat nicht gezögert, wenn es in den zurückliegenden Jahren immer wieder galt, gegen Ressentiment, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt Gesicht und Flagge zu zeigen. Wir alle, selbst diejenigen, die vielleicht nicht ganz fußballverrückt sein sollten, erinnern uns an das Sommermärchen bei der Weltmeisterschaft 2006. Es hat in der Geschichte kein Ereignis gegeben, in der größere Breitenwirkung im Kampf gegen ausländerfeindliche Ressentiments erzielt wurde. Aber wir hatten 2006 auch noch die Fußballweltmeisterschaft von Menschen mit Behinderungen, für die sich der DFB machtvoll engagiert hat und die eine bis dahin nie gekannte Resonanz der Zuschauer und in den Medien gefunden hat. Auch die hat mehr Wirkung gegen spezifische Vorurteile erzielt als das allermeiste, was es bis dahin gegeben hat.

Der DFB hat heute einen Integrationsbeauftragten und eine eigene Arbeitsgruppe zum Bereich Rassismus und Diskriminierung. Er setzt sich bewusst und gezielt gegen die unter Fans leider weit verbreitete, bis vor kurzem tabuisierte Homophobie und für die aktive Toleranz gegenüber homosexuellen Sportlern und Fans ein. Das alles ist Präventionsarbeit für Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt, daran und an vielem mehr hat Theo Zwanziger ganz maßgeblichen Anteil. Er weiß, dass Vorurteile und Diskriminierung der Anfang vom Ende gewesen sind, und deshalb hat er folgerichtig den Deutschen Fußballbund dazu gebracht, sich dem Unrecht und Missbrauch des deutschen Sports in der Finsternis des Nationalsozialismus zu stellen. Nachdem die Ergebnisse des vom Deutschen Fußballbund in Auftrag gegebenen historischen Gutachtens an „Fußball unterm Hakenkreuz“ vorlagen, hat der DFB den Julius-Hirsch-Preis gestiftet. Julius Hirsch war einer der talentiertesten deutschen Fußballspieler der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der mit seinem Verein, dem Karlsruher SV, und später mit der SpVGG Fürth geführt deutscher Meister wurde und mehrfach in der deutschen Nationalmannschaft spielte. 1933 wurde er, wie alle Juden, auf Beschluss des DFB aus seinem Verein gedrängt. Es folgten Jahre der Demütigung und Entrechtung, die mit der Deportation nach Auschwitz endete. Im Centrum Judaicum war 2006 die Ausstellung „Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball“ zu sehen, in der das Schicksal Hirschs und vieler anderer dokumentiert war. Mit der Stiftung dieses Preises wollte der DFB ein öffentliches Zeichen für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen setzen, und er hat seine Mitgliedsverbände und Vereine, seine mehr als sechs Millionen Spieler, Trainer, Funktionäre und besonders die Jugend in seinen Reihen aufgefordert, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen auf dem Fußballplatz, im Stadion und in der Gesellschaft zu stellen.

Das macht gute Schule. In diesem Jahr wurde der Preis an die Gruppe „Löwenfans gegen Rechts“ verliehen. Das Beispiel der Preisträger zeigt, wie Veränderungen möglich sind – gerade durch zivilgesellschaftliches Engagement von unten, in diesem Fall von Münchner Fußballfans, die nicht mehr bereit waren, den regelmäßigen rassistischen Schmährufen gegen farbige Fußballspieler in ihrem Stadion tatenlos zuzusehen. Der Initiator, Herbert Schröger, ist selbst seit 37 Jahren Fan von 1860 München. Mit einem Transparent, das während des Spiels hochgehalten wurde, fing es an. Dann kamen Flugblätter und ein regelmäßiger Stammtisch hinzu. Inzwischen gibt es immer wieder verschiedene Aktionen, Veranstaltungen und Ausstellungen im Umfeld des Münchner Vereins. Zwar sind noch nicht alle rechtsextremen Fans verschwunden, aber das Klima im Stadion hat sich verändert, seit der rechtsextremen Minderheit deutlich gemacht wurde, dass ihr Verhalten nicht akzeptiert oder einfach hingenommen wird.

Aus den dunklen Kapiteln deutscher Geschichte Lehren für die Zukunft zu ziehen, das ist das Anliegen von Theo Zwanziger und das ist das Anliegen des Leo-Baeck-Preises. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ehrt in Theo Zwanziger einen vorbildlichen Verantwortungsträger, nicht nur im Sport, sondern in unserer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt. Theo Zwanziger hat ein klarsichtiges Verständnis der gesellschaftlichen Dimension des Sports in Vergangenheit wie Gegenwart, und er hat eine entschiedene und kompromisslose Haltung gegenüber bedenklichen und gefährlichen Tendenzen, die es auch in der heutigen Fußballkultur gibt. Wir sollten bei all dem nicht vergessen, dass es ihm natürlich immer auch um das Fußballspiel selbst geht. Gerade weil er diesen Fußball so liebt und jeder, der ihn kennt, das weiß, kann er seine gesellschaftlichen und politischen Visionen im DFB so überzeugend vertreten. Es ist die tiefe Liebe zu diesem wunderbaren Sport, von dem er übrigens deshalb auch ganz zu Recht findet, er könnte von Frauen ebenso gut wie von Männern ausgeübt werden.

Mens sane in corpore sano, sagten die alten Römer – in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. In dieser Formel steckt die Erkenntnis, dass beides zusammengehört – die körperliche Ertüchtigung und eine geistige und moralische Haltung, die ihr entspricht. Beides muss im Sport zusammenkommen, beides kann aber auch im Sport zusammenfinden. Theo Zwanziger hat wie wenige andere dafür getan, dass dieser Zusammenhang erkannt und ernst genommen wird, und er setzt diese Einsicht fortwährend in die Praxis um.

 

Weitere Presseartikel

21.05.2025
Presseerklärung
Kampagne gegen Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen
Zentralrat steht zu 100 Prozent hinter Philipp Peyman Engel.
20.05.2025
Presseerklärung
Politisch motivierte Kriminalität 2024
Statement von Dr. Josef Schuster zur BMI Statistik
14.05.2025
Presseerklärung
Verbot von "Königreich Deutschland"
Dr. Josef Schuster, zum Verbot Reichsbürger-Gruppierung „Königreich Deutschland“: „Das Verbot des sogenannten "Königreichs Deutschland" ist ein starkes Signal ...
12.05.2025
Presseerklärung
Gründung JE3-Allianz
Große jüdische Gemeinschaften in Westeuropa gründen neue JE3-Allianz
12.05.2025
Presseerklärung
60 Jahre Deutsch-Israelische Beziehungen
Statement Dr. Josef Schuster zum Doppelbesuch von Israels Präsident Herzog und Bundespräsident Steinmeier
11.05.2025
Presseerklärung
Linkspartei gegen die IHRA-Definition
Die Linke zeigt, wo sie steht - und das ist nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland. Die IHRA-Definition ist die geeignetste Form, antisemitische Handlungen und Äußerungen zu identifizieren
09.05.2025
Presseerklärung
Margot Friedländer
Statement Dr. Josef Schuster zum Tod von Margot Friedländer
07.05.2025
Presseerklärung
Press Release J7 Report
The rate of antisemitic incidents per Jewish capita has reached alarming levels, underscoring the increased vulnerability of Jewish communities globally. In Germany, there were more than 38 antisemitic incidents for every 1,000 Jewish residents in 2023. The U.K. followed with 13 incidents per 1,0...
02.05.2025
Presseerklärung
Verfassungsschutz stuft gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch ein
„Wir warnen seit Langem vor der AfD als parlamentarischem Arm der erstarkenden extremen Rechten in Deutschland. Sie bietet Antisemiten, Nationalisten und Demokratiefeinden eine politische Heimat.
02.04.2025
Presseerklärung
75 Jahre im Einsatz für Demokratie
Alt-Bundespräsidenten Gauck und Wulff würdigen die Arbeit des Zentralrats
28.03.2025
Presseerklärung
Statement zum Al-Quds-Tag
Ich rufe alle muslimischen Verbände auch im Sinne ihrer eigenen Glaubwürdigkeit dazu auf, sich aktiv gegen diesen Missbrauch ihres Glaubens zu positionieren. Jeder weiß, was von Al-Quds-Märschen zu erwarten ist, sie sollten verboten werden.
26.03.2025
Presseerklärung
Tiefpunkt deutscher Außenpolitik
Dr. Josef Schuster im Tagesspiegel:  „Die Bundesrepublik Deutschland hat mich enttäuscht, was ihr öffentliches Eintreten bezüglich des Schicksals der Hamas-Geiseln angeht.
22.02.2025
Presseerklärung
Statement Dr. Schuster zur Bundestagswahl 2025
Der heutige Wahlabend lässt eine schwierige Regierungsbildung erahnen. Ich appelliere an alle handelnden Personen, sich ihrer Verantwortung für eine stabile Regierung bewusst zu sein.
13.02.2025
Presseerklärung
Statement zum Start der 61. Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025
Dr. Josef Schuster: „Als wohl wichtigste internationale Konferenz über globale Sicherheitspolitik, müssen die MSC 2025 und die dort versammelten Entscheider eine klare Haltung ...
09.02.2025
Presseerklärung
Tachles Pur
Pünktlich zur Bundestagswahl 2025 haben wir alle Interviews unserer Reihe „Tacheles Pur“ abgeschlossen – und jetzt sind sie online! In unseren exklusiven Video-Interviews beantworten die Spitzenkandidaten Friedrich Merz (CDU/CSU), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Olaf Scholz (SPD) und Chris...
03.02.2025
Presseerklärung
Statement zur Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz
Dr. Josef Schuster: „Der Verlust des Willens zum Konsens der politischen und parlamentarischen Mitte in diesem Land beunruhigt mich zutiefst.
27.01.2025
Presseerklärung
80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz
Es ist nie Routine, wenn wir am 27. Januar der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedenken. Doch gerade in diesem Jahr, 80 Jahre nach der Befreiung, muss uns die Erinnerung an diesen so schwer fassbaren Ort, der für das Unbegreifliche der Schoa steht, noch nachdenklicher machen als ohne...
22.01.2025
Presseerklärung
"Tachles Pur" – Junge politische Perspektiven zur Bundestagswahl 2025
Am 11. Februar um 19:00 Uhr diskutieren wir in Kooperation mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) über junge politische Perspektiven zur Bundestagswahl 2025.
Nach oben scrollen