Jugendkongress 2019
19. März 2019
Presseerklärung

Jugendkongress 2019

Foto: Zentralrat der Juden

Grußwort zur Eröffnung des Jugendkongresses „Die Welt im Umbruch“, 14.3.2019, Berlin

 

Kwod Harabbanim,

sehr geehrte Frau Staatsministerin,

Exzellenz, Herr Botschafter Issacharoff,

lieber Ebi Lehrer,

lieber Aron,

liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde!

 

Zur Einstimmung in den diesjährigen Jugendkongress habe ich ein Zitat mitgebracht:

„Ein Auge, das sieht, ein Ohr, das hört, und alle deine Taten werden notiert.“

 

Von wem stammt dieser Satz? Von Mark Zuckerberg? Von der amerikanischen NSA? Oder ist das der Claim von Google?

 

Nein, der Satz ist aus dem Talmud, aus den Sprüchen der Väter. Aus einer Zeit, als Nachrichten noch in Wachstafeln gemeißelt werden mussten und von reitenden Boten überbracht wurden. Und natürlich, das muss ich in diesem Kreis nicht erläutern, sind hier keine menschlichen Abhör- oder Überwachungsmethoden gemeint, sondern der Hinweis auf eine höhere Kraft, die uns alle lenkt und leitet.

 

Warum ich mit diesem Zitat beginne? Sicher nicht, weil ich hier zum Abendessen einen Shiur anbieten möchte.

Ich möchte auch weder den Titel noch die Themen des Kongresses relativieren, so nach dem Motto: Alles schon mal da gewesen.

 

Nein, die Welt, wie wir sie derzeit erleben, löst Unsicherheiten aus. Es sind Umbrüche, die uns zweifeln lassen, ob wir einer guten Zukunft entgegengehen.

Gerade in solchen Zeiten ist eine Tradition, eine Religion, die 4.000 Jahre alt und – mit Verlaub – schon viel heftigere Umbrüche überstanden hat, ein kostbarer Schatz. Sie ist wie das sichernde Seil in der Bergwand.

 

Klingt das in Ihren Ohren, liebe junge Erwachsene, zu realitätsfern? Oder zu schön geredet?

 

Ich will Ihnen aufzeigen, warum ich glaube, dass gerade die junge jüdische Gemeinschaft in der Lage ist, diese Umbrüche nicht nur auszuhalten, sondern selbst zu gestalten.

 

Lassen Sie uns einen Blick auf das Thema Digitalisierung werfen, ohne dass ich der Frau Staatsministerin vorgreifen möchte.

 

Sowohl die Digitalisierung der allgemeinen Lebenswelt als auch der Industrie – ich nenne nur das Stichwort Vierte Industrielle Revolution – sowie das Thema Künstliche Intelligenz sind meines Erachtens derzeit stärker mit Ängsten als mit Hoffnungen verbunden. Die Belastung durch ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit wird stärker debattiert als die Vorteile, die sich daraus eben auch ergeben. Die Überforderung durch die Informationsflut ist ein größeres Thema als die Chance der internationalen Vernetzung durch das Internet.

 

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Rabbiner Pinchas Goldschmidt, hat das Internet einmal als „Talmud unserer Zeit“ bezeichnet, weil darin Wissen ausgetauscht und Menschen miteinander verbunden würden.

 

Unbestritten ist auch die Bedeutung des Internets bei der Demokratisierung. Es ist ja kein Zufall, dass in Ländern wie China immer wieder bestimmte Seiten gesperrt werden.

 

Und Sie, die Digital Natives, können sich ein Leben ohne Internet und Smartphone ohnehin nicht mehr vorstellen. Sie stellen sich nicht mehr den Großen Brockhaus zu Hause ins Regal, um einen unbekannten Begriff nachzuschlagen. Sie möchten auch nicht die Zeitung aufschlagen müssen, um zu sehen, welcher Kinofilm läuft. Ja, jemanden einfach anzurufen anstatt eine Nachricht zu schicken, ist unüblich geworden.

 

Wie sehr die Digitalisierung die Welt tatsächlich beeinflusst, zeigt sich – wie ich finde – am anschaulichsten am derzeitigen US-Präsidenten. Er regiert sein Land und macht Weltpolitik über Twitter.

 

Die Beispiele verdeutlichen aber auch: Wie sehr ich es zulasse, dass diese Veränderungen in mein Leben eindringen, hängt sehr viel von mir selbst ab. Und hier komme ich auf unsere Religion zurück. Die Arbeit einmal ruhen zu lassen, auf gewohnte Alltagsverrichtungen zu verzichten, das ist für uns an Schabbat eine Mizwa und es dient der seelischen Hygiene. Daher steht die Idee des Schabbats ja auch bei Psychologen hoch im Kurs.

In unseren modernen Zeiten kann man diese Auszeit gar nicht hoch genug schätzen. Am Schabbat offline zu gehen, eine vorübergehende Zeit nicht für die Welt erreichbar zu sein und auch der Welt einmal den Rücken zuzukehren – das kann einem Burn-out vorbeugen, der Suchtbekämpfung dienen und zwischenmenschliche Beziehungen retten. Manchmal erscheint es mir, als sei der Schabbat in weiser Voraussicht für unsere digitalisierte Welt geschaffen worden.

Wer im Judentum verwurzelt ist, lässt sich auch weniger von Globalisierungsängsten lenken. Sie, als junge Juden, denken ohnehin global. Viele fühlen sich in mehreren Ländern zu Hause und sprechen mehrere Sprachen. Und auch in anderen Ländern können sie in jüdischen Gemeinschaften andocken, was die große, weite Welt sehr vertraut macht. Dann gibt unsere Jüdischkeit uns Sicherheit – und zwar jenseits von allen Debatten über die Sicherheit jüdischen Lebens.

 

Sicherheit, meine Damen und Herren, liebe Teilnehmer, ist dennoch ein Stichwort, das auf diesem Jugendkongress eine große Rolle spielen wird. Denn Sie werden sich auch mit Israel vor den Wahlen, mit der Lage in Europa, mit Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigen.

Die Zeiten, in denen wir Ältere das Gefühl hatten, die junge Generation interessiere sich nicht für Politik und ziehe sich wie der Deutsche Michel in die Privatsphäre zurück, diese Zeiten sind vorbei.

Die junge Generation ist längst aufgewacht. Das haben wir im vergangenen Jahr bei den großen Demonstrationen gegen Rechts erlebt. Zwar waren alle Generationen auf der Straße, aber eben auch sehr viele junge Leute, die nicht einfach zusehen wollen, wie Deutschland nach Rechtsaußen abdriftet.

In diese Demos reiht sich auch die von der JSUD organisierte Kundgebung gegen die Juden in der AfD ein. An dieser Stelle dem scheidenden Vorstand der JSUD ein herzliches Dankeschön für sein Engagement, natürlich auch über diese Kundgebung hinaus!

Waren es 2018 die Demos gegen Rechts, erleben wir in diesem Jahr die freitäglichen Schüler-Demonstrationen gegen den Klimawandel und spontane Demos gegen den Uploadfilter.

Es ist gut und richtig, dass die jungen Menschen aufstehen. Denn sie sind es, die die Folgen unseres heutigen Handelns tragen müssen. Man muss nicht mit ihnen immer einer Meinung sein und auch nicht jede Protestform gutheißen. Doch dass es eben nicht nur junge Menschen gibt, denen alles egal ist, Hauptsache sie haben W-Lan –

und dass es nicht nur junge Menschen gibt, die mit kahl rasiertem Schädel rechtsextreme Parolen brüllen oder vor mit Drohgebärden vor Flüchtlingsheimen aufmarschieren –  das ist in diesen Umbruchzeiten ein sehr ermutigendes Zeichen.

Tikkun Olam – auch hier gibt das Judentum seit Tausenden von Jahren das Ziel vor. Das haben Sie, die junge Generation, genauso als Richtschnur wie wir Älteren.

Und daher habe ich auch keine Bedenken, dass die jüdische Gemeinschaft diese Umbruchzeiten nicht nur übersteht, sondern auch positiv zu gestalten vermag.

In diesem Sinne wünsche ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Jugendkongresses sowie auch allen Referenten bereichernde und frohe Tage!

Dem Team des Zentralrats und der ZWST, die den Jugendkongress vorbereitet haben und an den vier Tagen im Einsatz sind, danke ich herzlich!

Und jetzt wünsche ich weiter Guten Appetit!

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