GRUSSWORT DR. JOSEF SCHUSTER, PRÄSIDENT ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND, BR-ERINNERUNGSPROJEKT „DIE RÜCKKEHR DER NAMEN“, 11. APRIL 2024 IN MÜNCHEN
12. April 2024
Rede

GRUSSWORT DR. JOSEF SCHUSTER, PRÄSIDENT ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND, BR-ERINNERUNGSPROJEKT „DIE RÜCKKEHR DER NAMEN“, 11. APRIL 2024 IN MÜNCHEN

Foto: IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Zitat: „Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird.“ – Dieses Gebot aus dem Buch Jesaja, Kapitel 56, verstehen wir Juden als einen Grundanker unseres Glaubens, unserer traditionellen Überzeugung über das Leben und den Tod. Die Schoa ist die große Dunkelheit unserer Erinnerung; sie ist nicht überschattet von Tod, sondern sie ist der Tod selbst.

Nur 3,2 Millionen der 6 Millionen Opfer der Schoa sind dabei überhaupt namentlich bekannt. Diese Namen tragen also mehr als die Bürde der eigenen Erinnerung, sondern sie tragen die Bürde der Erinnerung und des Gedenkens an die Schoa überhaupt.

Damit sie an der Last dieser Bürde nicht zerbrechen braucht es Initiativen wie das Projekt „Rückkehr der Namen“; es braucht Tage wie heute und vor allem die Empathie der gesamten Gesellschaft. Wir Juden, wir wissen, woran wir uns erinnern; wir werden das niemals vergessen. Aber es kommt darauf an, wie die Gesamtgesellschaft mit dem Geschehenen umgeht. In Deutschland herrscht hierfür eine besondere Verantwortung!

Wie wir erinnern und wie wir gedenken bestimmt auch unser Handeln im Hier und Jetzt. Jüdinnen und Juden sind in Deutschland seit dem 7. Oktober einem massiven Antisemitismus ausgesetzt, der von der Gesellschaft kaum wahrgenommen wird.

In unserer Gesellschaft ist eine Empathielosigkeit mit Betroffenen von Antisemitismus verbreitet, die meist daran liegt, dass gerade junge Menschen, Antisemitismus häufig nur in Geschichtsbüchern verorten, dabei ist er heute real. Erinnern ist nicht statisch, es darf nicht zum Wegschließen und Ausblenden von Erfahrungen führen.

Die für die Bundesrepublik so konstitutive Erinnerungskultur droht in einem Deutungskampf der Extreme aufgerieben zu werden. Während in linken Milieus die Singularität der Schoa bestritten wird, haben wir uns an die Relativierungen von rechtsextremer Seite fast schon als eine traurige Gewissheit gewöhnt. Dass mit der AfD die Partei, die dieses Denken bis weit in die Mitte der Gesellschaft bringen will, in einzelnen Bundesländern die Wahlumfragen anführt, erhöht aber auch von dieser Seite die Intensität.

Vor allem die Rechtspopulisten und Rechtsextremen sind eine Gefahr für unsere lebendige Erinnerungskultur. Sie streben nach politischer Macht.

Es braucht daher ein Aufbegehren der Mitte unserer Gesellschaft sowie eine intellektuelle und praktische Auseinandersetzung, wie wir das Erinnern und Gedenken an die Schoa in Deutschland in eine neue Zeit bringen können; eine Zeit ohne Zeitzeugen, eine Zeit mit digitalen Möglichkeiten – und Grenzen.

Ich sehe heute, hier in München, dieses Aufbegehren der Mitte. Und auch dieser Ort sendet eine Botschaft: Gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Deutschland. Der „Weg der Erinnerung“ vom Königsplatz zum Odeonsplatz geht durch das ehemalige NSDAP-Viertel mit dem „Braunen Haus“ im Mittelpunkt. Die Symbolkraft könnte nicht stärker sein.

Das München von heute ist nicht mehr die selbst ernannte „Hauptstadt der Bewegung“. Das München von heute ist die Hauptstadt der Toleranz und Offenheit. Ich danke den Organisatoren für dieses klare Zeichen.

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