Grußwort der Landtagspräsidentin Frau Sylvia Bretschneider
09. Mai 2011
Presseerklärung

Grußwort der Landtagspräsidentin Frau Sylvia Bretschneider

Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist: Do, 12.5.11 – 10.00 Uhr

Anrede,

als Präsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern ist es mir eine ganz besondere Ehre und eine große Freude zugleich, Sie heute im Schweriner Schloss zur Verleihung des Paul-Spiegel-Preises für Zivilcourage zu begrüßen. Dieser Preis erinnert an das unermüdliche Engagement für Demokratie, Menschlichkeit und Toleranz des früheren Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland. Mit der Vergabe dieser Auszeichnung werden Menschen geehrt, die sich in ganz besonderer und selbstloser Art und Weise gegen Rechtsextremismus in Deutschland einsetzen. 2009 wurde der Paul-Spiegel-Preis erstmals an Bernd Merbitz verliehen. In seiner Funktion als Landespolizeipräsident Sachsens hat er sich unentwegt weit über seine Dienstpflichten hinaus im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Bereich polizeilicher Präventions- und Ermittlungsarbeit verdient gemacht. In diesem Jahr erhält den Preis eine Familie aus Mecklenburg-Vorpommern: Birgit und Horst Lohmeyer.

Anrede,

Familie Lohmeyer, Sie leben seit nunmehr sechs Jahren in unserem Bundesland. Sie sind von Hamburg nach Jamel, einem kleinen Dorf nahe Wismar, gezogen. Die Motive für Ihren Umzug waren gewiss vielfältig und Sie mussten zwischen den Vor- und Nachteilen eines urbanen und ländlichen Zuhauses abwägen. Mit Sicherheit haben Sie von Jamel idyllische Abgeschiedenheit erwartet. Ihr Leben wurde indes weniger ruhig und beschaulich, als wohl von Ihnen erhofft. Seit geraumer Zeit erleben Sie, ebenso wie das Dorf Jamel, eine bundesweite mediale Aufmerksamkeit.

Jamel, das ist zum Inbegriff von eingenistetem Rechtsextremismus inmitten unserer Gesellschaft und einem bürgerlich-demokratischen Aufstand gegen eben diesen Rechtsextremismus geworden. Seit Anfang der 90er Jahre terrorisieren Neonazis die Dorfbevölkerung. Die Rechten verbreiten Angst und Schrecken in Jamel. Damit haben sie die angestammten Einwohner vertrieben und Gleichgesinnte in den Ort gelockt. Unverhohlen skandieren die Rechtsradikalen ihre Gesinnung und sie meinen, sich einen scheinbar rechts- und demokratiefreien Raum geschaffen zu haben. Jeder, der sich gegen die Neonazis behauptet, wird und wurde eingeschüchtert und bedroht.

Jamel ist jedoch nicht der Anfang eines von Nazis herbeifantasierten nationalistischen, diktatorischen Deutschlands nach dem Muster des sogenannten 3. Reiches. Jamel steht viel mehr für das Ende dieser perversen Fantasie. Denn mit Ihnen, sehr verehrte Familie Lohmeyer, zeigt Deutschland sein demokratisches Antlitz. Mit Ihrem Engagement ziehen Sie eine deutliche Grenze. Sie als Staatsbürger behaupten sich gegen rechtsextreme Umtriebe. Sie handeln damit nicht nur mutig, sondern auch vorbildhaft. Sehr geehrte Familie Lohmeyer, ich zolle Ihnen meinen ganzen Respekt für Ihren Widerstand gegen die Nazis in Jamel. Und ich möchte behaupten, dass meine Kollegen der demokratischen Fraktionen der gleichen Auffassung sind. Was Sie leisten, sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Auch wenn Sie viel Unterstützung an Tagen wie dem Heutigen erfahren, so sind Sie es doch, die nach dieser Veranstaltung wieder nach Jamel zurückkehren und erneut mit der Angst vor Übergriffen leben müssen.

Anrede,

die Wehrhaftigkeit unseres demokratischen Gemeinwesens gründet sich nicht auf gesetzlichem Zwang, sondern auf einem ehrenamtlichen, aus der Mitte der Gesellschaft rührenden Handeln. Der individuelle, altruistische Beitrag zum Wohle des Gemeinwesens kann deshalb keine per Verfassung vorzugebende Verhaltensregel sein. Das, was wir heute Ehrenamt nennen, ist seit der Antike ein ungeschriebenes Gesetz bürgerlicher Gesellschaften. Jeder Einzelne ist dazu aufgefordert, sich solidarisch für sein Gegenüber einzusetzen, auch und gerade wenn dieses Engagement ihm mehr Kosten als Nutzen einbringt. Das, was Sie, verehrte Familie Lohmeyer, in Jamel leisten, steht in meinen Augen beispielhaft für ein solches bürgerschaftliches Engagement. Völlig zu Recht verdienen Sie daher diese hohe und ehrenvolle Auszeichnung des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Mit der Initiative „WIR. Erfolg braucht Vielfalt“ unterstützt der Landtag Mecklenburg-Vorpommern bereits seit Jahren das zivilgesellschaftliche Engagement. „WIR.“ steht für gelebte Demokratie auf einer breiten Basis. Einzelne Bürger, Vereine, Institutionen, Verbände und Unternehmen betonen mit ihrer Mitgliedschaft bei „WIR.“ ihr Eintreten für ein demokratisches und freiheitsliebendes Mecklenburg-Vorpommern. „WIR.“ ist nicht nur ein JA für Vielfalt und Farbe in unserer Gesellschaft, sondern „WIR.“ ist zugleich ein deutliches NEIN gegen Rechtsextremismus, Intoleranz, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. „WIR.“ ist auch vor Ort. In Lübtheen, in Anklam, in Ückermünde und Ludwigslust, überall dort, wo Neonazis versuchen, sich in Szene zu setzen, sucht der Landtag alljährlich gemeinsam mit Entscheidungsträgern vor Ort das Gespräch mit den Menschen. Mit solchen Veranstaltungen demonstrieren wir, dass es in Mecklenburg-Vorpommern keine Toleranz für Nazis gibt. Die große Resonanz des „Wir.-Unterstützertreffens“ am vergangenen Donnerstag hier in diesem Raum hat die breite Zustimmung zu Demokratie und Toleranz unterschiedlichster gesellschaftlicher Organisationen, Institutionen und vieler engagierter Einzelpersonen nachhaltig unter Beweis gestellt. Und ich freue mich ganz besonders, dass auch die Familie Lohmeyer zu den aktiven Unterstützern unseres Bündnisses zählt.

Anrede,

unser Bundesland braucht in besonderer Weise mutige Engagement, welches Sie, verehrte Familie Lohmeyer, beispielhaft vorleben. Wie wir wissen, stehen die rechtsextremistischen Umtriebe in Ihrem Heimatort in engen Zusammenhang mit den Aktivitäten der NPD im Landtag. Die NPD unterstützt personell und materiell die rechtsextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Präsenz im Landtag nutzen sie dafür schamlos aus. Aus diesem Grund plädiere ich auch an dieser Stelle nochmals für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren.

Anrede,

der Einzug der NPD im Jahr 2006 in den Landtag war und ist ein Prüfstein für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. Unser Parlament stand vor der ambivalenten Aufgabe, die Anwesenheit einer demokratiefeindlichen Fraktion im Parlament zu akzeptieren und gleichzeitig dieser nicht die Bühne für ihre antidemokratische Ideologie zu bieten. Ich möchte mit Stolz behaupten, wir haben innerhalb wie außerhalb des Landtages einen sehr guten Weg gefunden, alle demokratischen Kräfte mit dem Ziel zu vereinen, die NPD als verfassungsfeindliche und menschenverachtende Partei zu identifizieren.

Unsere Erfahrungen im parlamentarischen Alltag mit der NPD lassen gegen Ende der Legislatur nur einen Schluss zu: Wir brauchen ein neues Verbotsverfahren gegen diese Partei. Mehr als einmal haben die selbsternannten Nationaldemokraten ihre Maske fallen gelassen. Ich erinnere zahlreiche Situationen, bei welchen die NPD unverhohlen die nationalsozialistische Herrschaft verharmloste, deren millionenfache Opfer und unsere demokratische Werteordnung verhöhnte. Gleichwohl der Landtag nicht als Kläger in einem juristischen Verfahren in Erscheinung treten kann, so mahne ich doch die unverminderte und unveränderte Notwendigkeit eines NPD-Verbotes an.

Anrede,

im Namen des Landtages Mecklenburg-Vorpommern gratuliere ich Ihnen, verehrte Familie Lohmeyer, von ganzem Herzen zur Verleihung des Paul-Spiegel-Preises des Zentralrates der Juden in Deutschland! Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für Ihren alltäglichen Kampf gegen Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Lassen Sie mich Ihnen abschließend die volle und stete Unterstützung des Landtages für Ihr Engagement zusichern.

(Ich danke den Initiatoren des Preises dafür, dass sie diesen hier am Sitz des Landtages im Schweriner Schloss verleihen.)

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