FEIERLICHE ERÖFFNUNG DES NEUEN SYNAGOGENZENTRUMS POTSDAM
04. Juli 2024
Rede

FEIERLICHE ERÖFFNUNG DES NEUEN SYNAGOGENZENTRUMS POTSDAM

Ansprache des Zentralratspräsidenten Dr. Josef Schuster anlässlich der Eröffnung des neuen Synagogenzentrums in Potsdam.

 

Kvod Harabbanim

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,

sehr geehrter Herr Präsident der Zentralwohlfahrtstelle der Juden, lieber Ebi,

meine Damen und Herren,

heute ist ein Tag der Freude und des Stolzes für uns alle, ein Tag, an dem wir die Früchte jahrelanger Anstrengung ernten dürfen. Lange fehlte das Herzstück jüdischen Gemeindelebens in Potsdam, ab heute schlägt es wieder, hör-und sichtbar. Der Bau dieser Synagoge konnte nur dank einer engagierten Politik der Regierung des Landes Brandenburg und der Stadt Potsdam gelingen. Dafür möchte ich Ihnen danken.

Hervorheben möchte ich die zentrale Rolle der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland: Ohne sie und ohne ihre Trägerschaft, wäre der Bau dieser Synagoge nicht möglich gewesen.

Einen bescheidenen Beitrag durfte auch ich leisten, so kamen Frau Staatsministerin Dr. Schüle und Herr Staatssekretär Dünow gemeinsam mit Herrn Lehrer in meine Heimatgemeinde nach Würzburg, wo wir den gordischen Knoten zur Errichtung dieser Synagoge gemeinsam endlich durschlagen konnten.

Meine Damen und Herren,

in den 90er Jahren zogen über 200.000 Jüdinnen und Juden und ihre Familienangehörigen aus der zerfallenen Sowjetunion nach Deutschland; in das Land der Täter. Jüdische Gemeinden wurden wiederbelebt und neugegründet. Das ist auch eine Geschichte von Flucht und Migration – von einer ganz eigenen Form des Ankommens in diesem Land. In Ostdeutschland trafen Sie auf eine Gesellschaft, die selbst gerade erst dabei war, ihren Platz im wiedervereinten Deutschland zu finden. Eine Suche, die auch heute noch nicht überall abgeschlossen ist.

Gesamtgesellschaftlich wurde die Einwanderung der jüdischen Kontingentgeflüchteten irgendwo zwischen Erfolgsgeschichte und Migrationsproblem aus dem Ostblock aufgefasst. Die grassierende Fremdenfeindlichkeit der 90er und Nuller-Jahre machte vor Jüdinnen und Juden nicht Halt und auch die beschwerliche Bürokratie des deutschen Staates nicht, der sich nicht als Einwanderungsland begreifen wollte.

Den damals zugewanderten Jüdinnen und Juden möchte ich meinen mein Respekt und meinen Dank aussprechen. Sie sind Teil der Gründungsgeneration jüdischen Gemeindelebens in Brandenburg nach der Schoa. Ohne die Gemeinde und ihre Mitglieder, stünden wir heute nicht hier.

Meine Damen und Herren,

immer noch von Mut zu sprechen, wenn es um die Einweihung einer Synagoge geht, fühlt sich in diesen Zeiten leider richtig an.

Was soll uns dieser Mut sagen? Die jüdische Gemeinschaft tritt seit Jahren mutig und sichtbar auf, und es hat nichts daran geändert, dass Synagogen zu Anschlagszielen erklärt werden. So wie erst kürzlich im Fall des versuchten Brandanschlags gegen die Synagoge in der Brunnenstraße in Berlin, die Ziel von Islamisten wurde.

In ebenjener Synagoge fanden wir uns am 9. November letztmalig in einer Synagoge zusammen. Am damaligen Tag wurde ein wichtiges Signal aus der Mitte des Parlaments gesendet. Das Ziel eines gemeinsamen Antrages zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland wurde formuliert – das ist nun 8 Monate her. Beschlossen wurde er nicht und dieser Entschließungsantrag ist weiterhin nicht in Sicht. Wie lange kann es dauern, sich auf einen fraktionsübergreifenden Antrag zum Schutz jüdischen Lebens zu einigen?

Seit den in Teilen relativierenden, verherrlichenden oder ausbleibenden Reaktionen auf den 7. Oktober, hat sich der moralische Standard verschoben.

Viele Jüdinnen und Juden sprechen davon, dass sich ihr Freundeskreis verkleinert hat, dass sie in verständnislose Augen schauen, wenn sie über Antisemitismus sprechen. Das festzustellen, ist schmerzlich. Sie sind wütend. Sie erkennen alten Hass im neuen, mehrheitsfähigen Gewand, dort, wo er ihnen entgegenschlägt.

Für viele Jüdinnen und Juden ist die Zeit am »Schwarzen Schabbat« stehen geblieben. Doch die Uhren laufen weiter. Für die Menschen in Gaza und für die Geiseln, sowie ihre Angehörigen, tut sie es in einem schrecklichen Takt.

Juden und Palästinenser sind nicht nur Nachbarn im Nahen Osten, sie sind es auch in deutschen Städten. Hier wie dort gilt: Zu einem Zusammenleben gibt es keine Alternative.

Ich will mir eine Welt ohne Israel nicht vorstellen. Es ist schlimm genug in einer Welt zu leben, in der es an der Tagesordnung steht, dem einzigen jüdischen Staat das Existenzrecht abzusprechen.

Ich weiß nicht, ob jene, die zu keiner Empathie und Solidarität gegenüber Juden am 7. Oktober fähig waren, ihren moralischen Bankrott in Zukunft überwinden werden.

Es gelang ihnen selbst in den darauffolgenden Wochen und Monaten nicht, als jüdische Geschäfte und Häuser mit Davidsternen markiert wurden und auch nicht, als offen Vernichtungsdrohungen gegen Juden weltweit ausgerufen wurden. Hier sehe ich einen Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie.

Je stärker eine Minderheit ausgegrenzt oder diskriminiert wird, und je stärker die Mehrheit dies mitträgt oder schweigend wegschaut, desto schlechter ist es um die Demokratie bestellt.

Ein Drittel der jüdischen Gemeinden hat in den Wochen nach dem 7. Oktober antisemitische Angriffe erfahren, die von Vandalismus und psychischem Druck bis hin zu Anschlägen reichten. Viele Gemeinden reagierten schnell und erweiterten ihr Angebot und ihre Arbeitsschwerpunkte.

Insbesondere jüdische Senioren, Familien mit Kindern und Jugendlichen sind von der aktuellen Situation betroffen.

Wir können stolz auf die Infrastruktur sein, die die Gemeinden geschaffen haben, und die so stark ist, dass sie auch geflüchteten Menschen das Ankommen und Integration in Deutschland erleichtert. Die damals zugewanderten Jüdinnen und Juden, sind die Gemeindemitglieder von heute, die Brücken für die von Krieg und Verfolgung betroffenen Ukrainer bauen.

 

Meine Damen und Herren,

diese Arbeit manifestiert sich in Gebäuden, wie dieser Synagoge. Ich danke allen Unterstützern und Unterstützerinnen, die zur Errichtung und Eröffnung dieses neuen Zentrums jüdischen Lebens beigetragen haben, stellvertretend Architekt Jost Haberland.

Sie alle haben es geschafft, Sicherheit und Sichtbarkeit im Stadtbild, in diesem prachtvollen Gebäude zu vereinen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Weitere Reden

20.03.2025
Rede
Feierliche Enthüllung der Gedenktafel am Standort des ehemaligen Logenhauses von B’nai B’rith in Berlin
Rede von Dr. Josef Schuster
20.01.2025
Rede
„Jüdisches Leben in Deutschland – Was tut die Politik?“
Grußwort Dr. Josef Schuster, Veranstaltung „80 Jahre Befreiung von Auschwitz“ der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, 19.1.2025
13.11.2024
Rede
Begrüßung Verleihung Leo-Baeck-Preis 2024
Dr. Josef Schuster, 13.11.2024 in Berlin
09.10.2024
Rede
Gedenkveranstaltung der Stadt Halle 9. Oktober
Rede Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
06.10.2024
Rede
Ansprache Dr. Josef Schuster „Run for their lives“ am 06.10.2024, München
Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster
27.09.2024
Rede
Grußwort Dr. Josef Schuster, Neue Dimensionen des Judenhasses
Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster
04.07.2024
Rede
EINWEIHUNG MILITÄRRABBINAT UND ÜBERGABE DER TORA
Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster
05.06.2024
Rede
VIZEPRÄSIDENT ABRAHAM LEHRER AUF DER FACHTAGUNG „NICE TO MEET JEW“
„Die Begegnung war wirklich toll, aber beim nächsten Mal hätten wir lieber einen orthodoxen Juden da.“
06.05.2024
Rede
REDE ZUR GEDENKFEIER DER BEFREIUNG DES KZ DACHAU
Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, bei der Gedenkfeier des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern anlässlich des 79. Jahrestags der Befreiung des KZ Dachau, Dachau, 5.5.2024
12.04.2024
Rede
GRUSSWORT DR. JOSEF SCHUSTER, PRÄSIDENT ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND, BR-ERINNERUNGSPROJEKT „DIE RÜCKKEHR DER NAMEN“, 11. APRIL 2024 IN MÜNCHEN
Grußwort Dr. Schuster, in München
21.02.2024
Rede
STELLUNGNAHME DANIEL BOTMANN IM FACHGESPRÄCH
Stellungnahme Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Fachgespräch „Aktivitäten der Bundesregierung zur Förderung jüdischen Lebens und zur Bekämpfung des Antisemitismus im Kulturbereich“ des Ausschusses für Kultur und Medien des Bundestags am 21.02.2024
16.12.2023
Rede
GALA-ABEND AUF DEM GEMEINDETAG 2023
Ansprache Dr. Josef Schuster, 16.12. in Berlin
19.11.2023
Rede
VOLKSTRAUERTAG AUF DEM JÜDISCHEN FRIEDHOF IN WÜRZBURG
Ansprache Dr. Josef Schuster zum Volkstrauertag auf dem Jüdischen Friedhof in Würzburg, 19.11.2023
10.11.2023
Rede
ZENTRALE GEDENKVERANSTALTUNG 85. JAHRESTAG DER REICHSPOGROMNACHT
Ansprache Dr. Josef Schuster - Zentrale Gedenkveranstaltung 85. Jahrestag der Reichspogromnacht in der Beth Zion Synagoge in Berlin
15.09.2023
Rede
GRUSSWORT ZUR VERANSTALTUNG ZUM 20-JÄHRIGEN BESTEHEN DER BERATENDEN KOMMISSION NS-RAUBGUT
Grußwort zur Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen der Beratenden Kommission NS-Raubgut vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, am 14. September 2023, Jüdisches Museum Berlin
09.06.2023
Rede
EVANGELISCHER KIRCHENTAG
Impulsvortrag Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, auf dem Evangelischen Kirchentag zum Thema „Antisemitismus- geht mich das was an?“, 9. Juni 2023 in Nürnberg
11.05.2023
Rede
ERÖFFNUNG MIQUA WANDERAUSSTELLUNG
Rede von Abraham Lehrer, Eröffnung MiQua Wanderausstellung in Vogelsang, 11. Mai 2023.
11.05.2023
Rede
KONFERENZ „VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT?"
Keynote Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Konferenz „Von der Kunstfreiheit gedeckt?", Haus der Wannseekonferenz, Berlin, 11. Mai.
Nach oben scrollen