Positionspapier des Zentralrats der Juden in Deutschland zum Thema Schächten

Schächten

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Schächten

Positionspapier des Zentralrats der Juden in Deutschland zum Thema Schächten

Das betäubungslose Schlachten von Tieren
Der Tierschutz ist Bestandteil der jüdischen Ethik. Schon die Tora schreibt zahlreiche Gebote zum Schutz der Tiere vor. Die jüdische Schlachtmethode (Schechita) gewährleistet, dass bei der Tötung und ähnlichen Tätigkeiten die Tiere von jedem vermeidbaren Schmerz, Stress und Leiden verschont werden. Unter Schechita versteht man das Schlachten eines Tieres mittels einen scharfen Schnitts durch die Luft- und Speiseröhre sowie die Karotiden und die Jugularvenen mit Hilfe eines chirurgisch scharfen, schartenfreien Messers von angemessener Größe, der das Tier gleichzeitig betäubt und tötet. Der jüdische Schlachter, Shochet genannt, durchläuft eine mehrjährige Ausbildung, in der er gründliche Kenntnisse über die Anatomie, Pathologie und die jüdischen Gesetze zur Schlachtung erwirbt. Er verfügt damit über die entsprechenden Fachkenntnisse, um eine sachgemäße Tötung des Tieres durchzuführen, und muss den Stand seiner aktuellen Kenntnisse und Fähigkeiten in regelmäßigen Prüfungen nachweisen.
Mehrere religiöse Vorschriften regeln den Akt des Schächtens und verbieten beispielsweise, mit der Messerscheide Druck auf den Tierhals auszuüben oder den Schnitt zu unterbrechen. Auch wird die jüdische Schlachtmethode nie gleichzeitig an mehreren Tieren, sondern ausschließlich nacheinander angewendet. Wissenschaftliche Studien belegen, dass das ruhig gestellte Tier keinen Stress zeigt, bevor es geschächtet wird, und weder durch Zucken noch durch eine Verteidigungshaltung auf den Einschnitt reagiert.
Die Trennung der Karotiden beim Schächtschnitt führt zu rapidem Blutverlust. Die Abnahme des Blutflusses zum und der Abfall des Blutdrucks im Gehirn und die damit einhergehende verringerte Sauerstoffversorgung des Gehirns führen zum Bewusstseinsverlust. Da nur ein funktionierendes Gehirn Schmerz wahrnehmen kann und für die Wahrnehmung von Schmerz die Großhirnrinde wesentlich ist, der zerebrale Blutfluss unmittelbar nach dem Schächtschnitt aber sofort und rapide abfällt und damit die Großhirnrinde durch die mangelnde Blutversorgung inaktiv wird, wird das Tier bewusstlos und fühlt daher keinen Schmerz.

Obwohl das Tier bewusstlos ist, kann das Herz nach dem Schnitt wenige Minuten weiter schlagen, da es über die Venen weiter mit Blut aus der Peripherie versorgt wird. Dies wirkt sich positiv auf das Ausbluten des Körpers aus. Ein lautes Ausatmen des Tieres etwa 30 Sekunden nach dem Schnitt und Muskelkrämpfe, die das Tier ausschlagen lassen, sind ebenfalls keine Hinweise auf ein Bewusstsein des Tieres, sondern reflexartige Bewegungen.
Zu den physiologischen Vorgängen beim Schächten verweisen wir auf den Artikel „Physiological Insights into Shechita“ von Dr. Stuart D. Rosen (The Veterinary Record, 12. Juni 2004, S. 759 – 765) und appellieren daran, sich bei der Bewertung der jüdischen Schlachtmethode nicht von ästhetischen Eindrücken leiten zu lassen, sondern die physiologischen Realitäten zu betrachten, und sich daher für die Durchführbarkeit des betäubungslosen religiösen Schlachtens einzusetzen.
Die Schechita ist die einzige für das Judentum zulässige Methode zum Schlachten von Tieren. Das Judentum lehnt eine zusätzliche Betäubung der Tiere nach derzeitigem Forschungsstand ab, da zum einen – wie oben ausgeführt – das Tier mit dem Akt des Schächtens bereits betäubt wird und zum anderen die gängigen Betäubungsmethoden nicht die religionsgesetzliche Voraussetzung gewährleisten, dass ein gesundes, unversehrtes und lebendiges Tier geschlachtet wird. Den oft wiederholten Einwand, die Betäubung der Tiere vor dem Schächten per Elektrokurzzeitbetäubung trage sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Tierschutz Rechnung, können wir nicht bestätigen. Wir sind der Auffassung, dass die Elektrobetäubung, die beim Tier höchstwahrscheinlich eine Atemlähmung bewirkt, zu schwerer Schädigung der Muskeln und massiver Stimulation der Sinne führen kann, die beide für die Tiere schmerzhaft sind. Durch die Lähmung des motorischen Systems infolge dieser Betäubung wird das Tier jedoch daran gehindert, den Stress, den es erfährt, auszudrücken. Sie ist daher mit den jüdischen Religionsgesetzen nicht zu vereinbaren.
Dies gilt auch für das sog. Post-Cut-Stunning, also die Betäubung eines Tieres nach dem Schächtschnitt. Sieht man von dem Umstand ab, dass das Tier unmittelbar nach dem Schächtschnitt ohnehin in irreversible Bewusstlosigkeit fällt und damit schmerzunempfindlich ist, womit ein nachträgliches Betäuben überflüssig wird, wird das Verfahren des Post-Cut-Stunnings von der Mehrheit der jüdischen Gelehrten abgelehnt. In den Ländern, in denen das Post-Cut-Stunning bei der Schechita zum Tragen kommt, wurde es der jüdischen Gemeinschaft aufgezwungen; das auf diese Weise geschlachtete Fleisch gilt in anderen Ländern jedoch häufig nicht als koscher. Der Import solchen Fleisches ist für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die auf die Einfuhr koscheren Fleisches angewiesen ist, unmöglich, da die hiesigen religiösen Autoritäten den Konsum als unkoscher ablehnen.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland Bestrebungen, betäubungslos geschlachtetes Fleisch im allgemeinen Handel als solches auszuweisen, mit großen Bedenken und Besorgnis begegnet. Eine Kennzeichnung des Fleisches birgt unseres Erachtens die Gefahr einer mittelbaren Beschränkung der Religionsfreiheit und der Diskriminierung religiöser Bräuche. Zudem würden sich die Kosten für die als koscher geltenden Fleischteile deutlich und unverhältnismäßig erhöhen, wenn sich betäubungslos geschlachtetes Fleisch durch eine entsprechende Etikettierung im Handel nicht mehr verkaufen ließe.
Unsere Besorgnis betrifft auch Diskussionen, die Einschränkungen des Fleischimports aus Nicht-EU-Mitgliedsstaaten in die EU berühren. Dies würde es der jüdischen Gemeinschaft in Europa gänzlich verunmöglichen, betäubungslos geschlachtetes Fleisch zu konsumieren – der Konsum koscheren Fleisches würde gar kriminalisiert werden.

 

 

 

 

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