Antisemitismus an Hochschulen
Forderungen des Zentralrats der Juden in Deutschland
Strukturelle Änderungen im Hochschulbereich sind nötig, um die Lage von jüdischen Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitern an Hochschulen nachhaltig zu verändern.
Für die Sicherheit jüdischen Hochschulangehörigen ist es elementar, dass die Hochschulleitungen unmissverständlich klarmachen, dass Hass und Hetze nicht geduldet werden. Es ist wichtig, dass sich die Universitätsverwaltung in Wort und Tat für jüdische Studierende und Lehrende einsetzt.
Leitbilder/ Leitlinien der Hochschulen und Codes of Conduct
Die Leitbilder bzw. Leitlinien der Hochschulen und die Codes of Conduct müssen klare Regeln aufstellen, die auch Richtlinien für Proteste und Demonstrationen einschließen. Hochschulen sind Orte, an denen ein breites Spektrum an Vorstellungen, Perspektiven und Sichtweisen artikuliert und verbreitet werden. Wenn Mitglieder der akademischen Gemeinschaft zum Schweigen gebracht, belästigt, eingeschüchtert oder bedroht werden, oder wenn der normale Lehr-, Lern- und Forschungsbetrieb der Universität gestört wird, kann dieses Ziel nicht erreicht werden.
Antisemitismus in allen seinen Erscheinungsformen muss als auszuschließendes Kriterium in die Leitbilder bzw. Leitlinien der Hochschulen aufgenommen werden. Studierende, Lehrende und Mitarbeitende der Hochschulen müssen diese Verhaltenskodizes kennen und einhalten. Die Hochschulleitung muss dafür sorgen, dass diese Richtlinien durchgesetzt werden.
Notfallpläne
Notfallpläne und Handreichungen für den Umgang im Antisemitismus an Hochschulen müssen erarbeitet werden. Es braucht klare Melde- und Handlungswege, die aufzeigen, wie bei Besetzungen, Beleidigungen, Schmierereien und vielem mehr konkret vorgegangen wird und wer zuständig ist. Eine Null-Toleranz-Strategie gegen antisemitische Symbolik und Codes auf dem Campus ist wichtig (egal, um welche Form des Antisemitismus es sich handelt und egal, von welcher Seite er ausgeht).
Anlaufstellen
An den Hochschulen sollten verlässliche Anlaufstellen für jüdische Studierende, Lehrende und Mitarbeitende geschaffen werden. Die Anlaufstelle dient dazu, Betroffenen sowie allen anderen, die Antisemitismus beobachten oder sich gegen ihn einsetzen wollen, zur Seite zu stehen. Zudem soll sie Initiatorin von Maßnahmen der Prävention und Intervention an Hochschulen sein und deren Umsetzung beobachten und begleiten.
Antisemitismusbeauftragte müssen qualifiziert sein und das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft genießen. Sie müssen mit Kompetenzen ausgestattet sein, um die Situation vor Ort analysieren und passgenaue Konzepte erarbeiten zu können. Zu ihrem Aufgabengebiet muss auch die Beratung von Hochschulleitungen und Lehrenden und die Abstimmung mit Studierendenvertretungen gehören. Antisemitismusbeauftragte müssen Diversity-, Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten rechtlich gleichgestellt werden, feste Sitze in Gremien bekommen und Mitspracherecht z.B. bei Struktur- und Personalentscheidungen bekommen.
Antidiskriminierungsbeauftrage sollten qualifiziert werden, um die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus zu erkennen, insbesondere die aktuellen Formen. Sie sollten auch dann weitergebildet werden, wenn es Antisemitismusbeauftragte gibt.
Den Anlaufstellen müssen sowohl finanzielle als auch personelle Ressourcen bereitgestellt werden. In den Fällen, in denen es sowohl Antidiskriminierungsbeauftrage als auch Antisemitismusbeauftragte gibt, dürfen die Ressourcen des einen nicht auf Kosten des anderen verteilt werden. Die Zusammenarbeit zwischen beiden muss klar geregelt sein, um Kompetenzgerangel zu vermeiden. Die Stelle des / der Antisemitismusbeauftragen muss im Stellenplan der Universität berücksichtigt werden.
Sensibilisierung bzw. Aufklärung
Studierende, Lehrende und Mitarbeitende an Hochschulen müssen dahingehend sensibilisiert bzw. aufgeklärt werden, was Antisemitismus ist, in welchen Erscheinungsformen er auftritt und wie er wirkt. Für Lehrende und Mitarbeitende bieten sich Fort- und Weiterbildungen, auch mit Hilfe von konkreten Fallbeispielen, an. Hier sind auch Hausmeister und Putzkräfte mitzudenken, die antisemitische Symboliken erkennen können sollten.
Zur Aufklärung von Studierenden können Ringvorlesungen und Studium Generale zwar eine Plattform sein, um ein Bewusstsein für die Thematik zu schaffen; sie reichen jedoch nicht aus. Da in dem Rahmen mitunter auch fragwürdige Thesen verbreitet werden, sollte unbedingt darauf geachtet werden, diese zu kontextualisieren oder diskursiv einzufangen. Die Teilnahme an Ringvorlesungen oder Studium Generale sollte durch Credit Points gesteuert werden. Freiwillige Angebote funktionieren nur bei denjenigen, die sich ohnehin interessieren. Es braucht ein durchdachtes und vor allem disziplinübergreifendes Konzept.
Nötig ist eine modulare Verankerung von Kenntnissen über Antisemitismus, jüdische Geschichte bzw. Judentum und Israel in der Lehre. Neben der wissenschaftlichen Forschung und der Wissensvermittlung zu diesen Themen ist zusätzlich eine antisemitismuskritische Bildung vonnöten. Dafür müssen Reflexionsräume geschaffen werden, um die eigenen Einstellungen zu hinterfragen und Haltung einzuüben. Ein wichtiges Instrument zur Steuerung zur Integration der oben genannten Inhalte sind die Curricula und die Prüfungsordnungen. Die Lehre muss zudem bestimmten Qualitätskriterien unterliegen.
Eine wichtige Zielgruppe sind angehende Lehrkräfte. Die Themen Antisemitismus, Judentum und Israel müssen als verpflichtende Lehr- und Lerninhalte in die universitäre Ausbildung für Lehrkräfte aller Fachrichtungen und aller Schularten integriert werden. Geschichtsstudierende auf Lehramt müssen während des Studiums verpflichtend Lehrveranstaltungen zum Nationalsozialismus oder zur Shoah belegen, um aktualisiertes Wissen zu den Themen und unterrichtspraktische Bezüge zu erlernen. Die Prüfungsordnungen und Lehrkräftebildungsgesetze sind entsprechend zu aktualisieren.
Ausbau der Israelstudien, Jüdischen Studien, Antisemitismusstudien
Um die Themen Antisemitismus, Judentum und Israel stärker in der Lehre verankern zu können, müssen die Jüdischen Studien, die Antisemitismusstudien und vor allem die Zentren für Israelstudien aus- bzw. aufgebaut werden. Austauschprogramme mit Israel müssen aufrechterhalten und ausgebaut werden, da die Begegnung und die Erfahrung vor Ort Diskursräume eröffnen kann.
Gesetzliche Regelungen
Die Hochschulgesetze der Länder sind entsprechend anzupassen, um Hochschulen zu verpflichten, für ein diskriminierungsfreies Klima zu sorgen und gegen Diskriminierung vorzugehen. Hierbei ist Antisemitismus als Diskriminierungsform explizit mit aufzunehmen. Zudem sollten die Hochschulgesetze beinhalten, dass die Studien- und Prüfungsordnungen auf Antrag Ersatztermine für Prüfungen aufgrund religiös bedingter Arbeitsverbote festsetzen.
Die ordnungsrechtlichen Maßnahmen, die die Hochschulgesetze vorsehen, müssen konsequent durchgesetzt werden, um bei Störungen des Hochschulbetriebs, einschließlich antisemitischer Vorfälle, Maßnahmen wie Verwarnungen oder den Ausschluss von Lehrveranstaltungen zu ergreifen.
Grundsätzlich sollten alle gesetzlichen Maßnahmen ausgeschöpft werden. Alle Regelungen, auch die Hausordnungen der Hochschulen, sollten um den Aspekt Antisemitismus ergänzt werden.