Simon-Snopkowski-Ehrenpreis



Laudatio zur Verleihung des Simon-Snopkowski-Ehrenpreises an Bundespräsident a. D. Joachim Gauck, 19.7.2018, München

(Fotos: Andreas Gebert/StMUK)

Anrede,

vor wenigen Tagen haben wir Frankreich als neuen Fußball-Weltmeister gefeiert. Und beim ein oder anderen unter uns hat sich bestimmt etwas Wehmut eingeschlichen. Wehmut darüber, dass es dieses Mal kein deutsches Sommermärchen gab. Die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft mischte sich in den vergangenen Wochen mit Unverständnis über Teile der Bundesregierung, die ähnlich konfus wirkten wie mancher Fußballspieler.

Der Begriff der „German Angst“ ist im politischen Diskurs längst fest etabliert. In jüngster Zeit, so scheint mir, gesellt sich zur „German Angst“ noch der „German Frust“. Beunruhigung und Sorge paaren sich mit Unzufriedenheit und dem Gefühl, zu kurz zu kommen.

Meine Damen und Herren,

abgesehen davon, dass dies eine ganz schlechte Gefühlslage ist, um damit in die Sommerferien zu starten, wird es höchste Zeit, diesem Frust entgegenzuwirken. Er verursacht Magenbeschwerden – das sage ich Ihnen als Mediziner. Und er ist politisch gefährlich – das sage ich Ihnen als Präsident des Zentralrats der Juden.

Heute Abend ist eine sehr gute Gelegenheit, dieser German Angst und diesem German Frust entgegenzusteuern.

Denn wir haben heute zwei Vorbilder vor Augen, die uns gezeigt haben bzw. zeigen, wie das geht:

einmal Simon Snopkowski sel. A., an den wir mit dem gleichnamigen Preis erinnern,

und zum zweiten Sie, sehr geehrter Herr Gauck!

Ich freue mich sehr, dass Sie heute den Simon-Snopkowski-Ehrenpreis erhalten und habe sehr gerne die Laudatio übernommen!

 

Verehrte Festgesellschaft,

wie Sie alle wissen, stand Simon Snopkowski sel. A. mehr als zwei Jahrzehnte an der Spitze des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Er war darüber hinaus auch noch ehrenamtlich für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden und den Zentralrat der Juden aktiv. Ich ahne, liebe Frau Snopkowski, wie oft Sie auf Ihren Mann verzichten mussten!

Seine Lebenserinnerungen überschrieb Simon Snopkowski sel. A. mit dem Titel „Zuversicht trotz allem“.

Dieser Titel traf seine Haltung sehr gut. Obwohl er seine Familie in der Schoa verloren hatte, entschied er sich, in Deutschland zu bleiben. Obwohl ihm manchmal der Wind rau entgegen blies, engagierte er sich unermüdlich für die jüdische Gemeinschaft. Er ließ sich in seinen Vorhaben nicht beirren und gab die Hoffnung nie auf.

 

„Zuversicht trotz allem“ – das könnte auch Ihr Motto sein, sehr geehrter Herr Gauck.

Sie verstehen es wie nur wenige, die Realität zu beschreiben, wie sie ist, ohne Schönfärberei, mit allen Schwierigkeiten zwar,  aber ohne Endzeitstimmung. Denn Ihnen gelingt es zugleich, Zuversicht auszustrahlen.

Dabei wirken Sie immer glaubwürdig. Damit verkörpern Sie einige Tugenden, die wir heutzutage zu selten in der Politik vorfinden.

Und etwas zeichnet Sie besonders aus: Unangepasst die Verhältnisse zu benennen, wie sie sind, und aufrichtig zu bleiben – das haben Sie auch in einer Diktatur geschafft. Als evangelischer Pfarrer gehörten Sie in den Augen des DDR-Regimes schon qua Beruf zu den „zweifelhaften Subjekten“. Und aus Ihrer Skepsis gegenüber Partei und Staatsapparat haben Sie zu DDR-Zeiten nie einen Hehl gemacht. So sehr, dass die Stasi notierte, sie würden die Jugend „antisozialistisch“ inspirieren.

Dieses Misstrauen gegenüber dem Unrechtsstaat war bereits in ihrer Kindheit gelegt worden: Die Sowjets verschleppten Ihren Vater in den 50er Jahren für vier Jahre in ein sibirisches Arbeitslager. Diese Erfahrung, die Sie als Elfjähriger machen mussten, hatte Sie geprägt.

Die Schlussfolgerungen, die Sie als Erwachsener zogen, sind beeindruckend: Sie entwickelten nicht etwa ein Misstrauen gegen jede Staatlichkeit an sich. Nein, Sie entwickelten sich zu einem überzeugten Demokraten.

Als sich am Ende der DDR die Möglichkeit bot, in demokratischen Bürgerrechts-Gruppen aktiv zu werden, waren Sie sofort dabei. Mit dem Mauerfall begann auch Ihre politische Karriere.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

diesen Werdegang unseres Preisträgers sollten wir uns heute wieder deutlich vor Augen halten. Denn ich habe den Eindruck, dass sich sehr viele Menschen, ja, viel zu viele Menschen in unserem Land derzeit von der Politik abwenden und den Staat verächtlich machen, obwohl sie mitnichten so negative Erfahrungen mit ihm gemacht haben wie damals Herr Gauck oder andere DDR-Bürger.

Doch es wird vergessen und verdrängt, welchen Beschränkungen die Menschen in der DDR unterlagen. Es wird noch viel mehr verdrängt, was die Deutschen in der Nazi-Zeit getan haben. Viele Bürger richten sich in tiefer Geschichtsvergessenheit ein – wissen aber zugleich die Rechte, die sie heute genießen, nicht zu schätzen.

Sie, sehr geehrter Herr Gauck, haben das 2017 in Ihrer Abschiedsrede als Bundespräsident sehr treffend formuliert. Sie sagten – ich zitiere:

„(…) In Teilen der Gesellschaft existiert ein Anspruchsdenken, das den Staat allein als Dienstleister sieht (….) Aber Demokratie ist kein politisches Versandhaus“.

Zitat-Ende

Das Anspruchsdenken verbunden mit  Geschichtsvergessenheit ist ein gefährlicher Nährboden für extremistische Parteien. Auch die AfD macht sich genau diese Haltung vieler Bürger zunutze. Und wir merken, wie schwer sich die anderen Parteien tun, Rezepte dagegen zu entwickeln.

Umso wichtiger ist daher das Engagement der Zivilgesellschaft. Und auch hier waren Sie, lieber Herr Gauck, vorbildlich aktiv. Fast zehn Jahre lang standen Sie als Vorsitzender an der Spitze des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, und heute sind Sie sein Ehrenvorsitzender.

Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, an zig Orten in Deutschland und überregional die Erinnerung an die NS-Verbrechen ebenso aufrecht zu erhalten wie die Erinnerungen an das DDR-Unrecht. Und aus dieser Erinnerung ziehen Sie die Lehren für unsere heutige Gesellschaft. Demokratieerziehung, Instrumente gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus – das sind ebenfalls Themen, an denen der Verein arbeitet.

Diesen Erziehungs- und Aufklärungsgedanken halte ich für zentral.

Bei der Frage, wie wir Antisemitismus und andere Vorurteile gegen Minderheiten bekämpfen können, spielt die Bildung meines Erachtens eine Schlüsselrolle.

An erster Stelle stehen dabei die Schulen.

In jüngster Zeit sind mehrere Fälle von antisemitischen Übergriffen auf Schüler bekannt geworden. Und ich kann Ihnen versichern: Was bekannt wird, ist nur ein Bruchteil. Es gibt kaum jüdische Schüler auf staatlichen Schulen, die noch nicht Antisemitismus am eigenen Leib erfahren haben. Übrigens nicht nur durch Mitschüler, sondern manchmal auch durch Lehrer. Und sicherlich nicht immer böswillig, sondern mitunter einfach durch eine Unbedachtheit oder mangelnde Sensibilität. Das macht die Sache unterm Strich allerdings nicht besser.

Doch ebenso wenig, wie es hilft, wenn Schulen aus Angst um ihren Ruf solche Vorfälle verschweigen, hilft es,  anklagend mit dem Finger auf Schulen oder Lehrer zu zeigen.

Wenn Lehrer in Klassen mit vielen Migranten oder mit rechtsextremistischen Schülern gegen Antisemitismus wirksam und erfolgreich vorgehen wollen, brauchen sie dafür Unterstützung.

Der Zentralrat der Juden hat daher eine Kooperation mit der Kultusministerkonferenz begonnen, um die Lehrerfortbildung und die Lehrmaterialien zu verbessern. Und wir haben ein Begegnungsprogramm in Schulen mit jüdischen und nicht-jüdischen Jugendlichen gestartet.

Zum Bereich der Bildung zählen meines Erachtens beim Kampf gegen Antisemitismus auch die Integrationskurse. Die aktuelle politische Debatte über die Verteilung der Flüchtlinge in Europa und die Fragen der Grenzsicherung sollte uns nicht die Frage der Integration der Flüchtlinge  vergessen lassen. Es leben viele Menschen aus anderen Kulturkreisen in Deutschland, die sicherlich viele Jahre, wenn nicht für immer hier bleiben werden. Nicht wenige unter ihnen sind mit einer Feindschaft zu Israel und zu Juden generell groß geworden. Auch ihre Einstellungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau oder zu Homosexualität sind häufig gänzlich anders als es unserem Wertekodex entspricht.  

Ihnen müssen wir unsere Werte vermitteln!

Auch Sie, verehrter Herr Gauck, haben erst vor kurzem vor falscher Rücksichtnahme gewarnt und darauf hingewiesen, dass es verbindliche Regeln für unser Zusammenleben gibt, die von allen akzeptiert werden müssen. Denn sonst drohten mehrere Gesellschaften nebeneinander.

Es ist eine immense Herausforderung, vor der unser Gemeinwesen steht. Nur wenn es uns gelingt, Brücken zwischen den Kulturen und Religionen zu bauen, kann unser Zusammenleben funktionieren. Können wir einen fruchtbaren Austausch erreichen, der unser Land und unsere Kultur nach vorne bringt.

Und damit möchte ich noch einmal auf den Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ zu sprechen kommen. Denn ohne diese Unterstützung der Zivilgesellschaft können wir diese Brücken nicht bauen. Von einem ganz jungen Mitglied des Vereins las ich vor kurzem diesen Satz:

„Die Erkenntnis, dass weder die freiheitlichen Errungenschaften der Demokratie im Zusammenleben selbstverständlich sind, noch dass immer alles so bleiben wird, wie es jetzt ist, ereilt uns mit kleinen, aber intensiven Schritten. Weil das so ist, ist gerade meine Generation aufgerufen, sich gegen das Vergessen und für eine Erinnerungskultur einzusetzen.“

 

Und ich könnte mir vorstellen, dass es Herrn Gauck da manchmal ähnlich geht wie mir:

Es sind genau solche Aussagen von jungen Menschen, solche Vereine oder Bürgerinitiativen oder Einzelkämpfer, die mir immer wieder Zuversicht geben – trotz allem!

Und Zuversicht gibt mir auch eine Tatsache, die leicht in Vergessenheit zu geraten droht:

Es ist nur eine Minderheit, die demokratische Rechte und Werte in Frage stellt.

Es ist eine Minderheit, die antisemitisch, islamfeindlich oder rassistisch eingestellt ist.

Dass es diese Minderheit gibt, ist schlimm genug.

Wir sollten uns aber von dieser Minderheit weder politisch treiben lassen noch einschüchtern oder entmutigen lassen.

Stattdessen sollten wir jene stärken, die sich unermüdlich und häufig ehrenamtlich für unsere Demokratie einsetzen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Gauck,

in diesem wunderschönen Theater bzw. im Originalbau führte einst Wolfgang Amadeus Mozart seine Oper „Idomeneo“ zum ersten Mal auf. Sie ist reich an dramatischen und scheinbar ausweglosen Szenen. Doch schließlich folgt das Happy End.

Im wahren Leben, das wissen wir, gelingt dies nicht immer.

Aber es war vielleicht Mozarts Art auszudrücken, was auch für uns gelten sollte:

Zuversicht – trotz allem!

In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen, sehr geehrter Herr Gauck, ganz herzlich zur Verleihung des Simon-Snopkowski-Ehrenpreises 2018!

 

 

 

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