Rede von Dr. Josef Schuster



Begrüßungsrede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, bei der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises 2018, 18.06.2018, Hannover

Sperrfrist: Montag, 18.06.2018, 11.00 Uhr (MESZ)

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Anrede,

ich freue mich sehr, Sie alle hier in Hannover in diesem außergewöhnlichen Gebäude, dem Expowal, begrüßen zu dürfen!

Jeder von uns hier im Saal hat sicherlich schon einmal an einer Kundgebung teilgenommen. Sei es einfach privat als Bürger oder weil wir in unserer Funktion eingeladen waren, mitzumachen. Ob es nun um mehr Kita-Plätze geht, um den Klimawandel oder um die klassische Gewerkschaftskundgebung am 1. Mai – zum Glück nehmen nach wie vor tausende Bürger regelmäßig ihr Versammlungsrecht wahr.

Eines zeichnet die Teilnahme so gut wie immer aus: Sie ist vollkommen ungefährlich. Vereinzelte Störer werden in der Regel sehr schnell von der Polizei entfernt. Und politisch oder in unserem Alltagsleben müssen wir gar nichts befürchten, weil wir an einer Demo teilgenommen haben.

Auch unser Preisträger Pastor Manneke nimmt an Demonstrationen teil. Er nimmt nicht nur teil, er organisiert sie auch. Gemeinsam mit dem „Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus“ oder der Initiative der hiesigen Landeskirche, „Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ ist Herr Manneke regelmäßig an verschiedenen Orten bei Protesten anzutreffen. Am kommenden Samstag zum Beispiel in Eschede, um gegen eine sogenannte Sonnwendfeier zu demonstrieren.

Es sind Proteste gegen Rechtsextremisten. Und das ist etwas ganz anderes, als gegen den Klimawandel oder Hartz IV auf die Straße zu gehen. Diese Proteste gegen Rechts sind gefährlich. Alle, die mitmachen, nehmen ein persönliches Risiko auf sich. Vor allem die Organisatoren.

Denn die Rechtsextremisten kennen ihre Namen. Ihre Gesichter. Und häufig ihre Wohnorte.

Und wohl jeder, der sich gegen Rechtsextremisten wendet, ist schon von ihnen bedroht worden.

Auch Pastor Manneke. Er erhält Drohungen per Post und übers Internet. 2011 wurden Molotow-Cocktails auf sein Wohnhaus und das Haus von zwei Mitstreitern geworfen. Nur durch Glück wurde niemand verletzt. Auch die Kinder von Pastor Manneke wurden schon gemobbt und bedroht wegen des Engagements ihres Vaters.

Und jetzt bitte ich Sie, verehrte Damen und Herren, möge sich jeder ehrlich fragen: Hätte ich den Mut, das Gleiche zu tun? Hätte ich die Stärke, über Jahrzehnte Beschimpfungen und handfeste Bedrohungen auszuhalten?

Ich trete hier hoffentlich niemandem zu nahe, wenn ich wage zu behaupten: Die wenigsten von uns haben diesen Mut und diese Stärke. Mich selbst eingeschlossen.

Es sind ganz außergewöhnliche, sehr besondere Menschen, die diesem Engagement an vorderster Front gewachsen sind.

Pastor Manneke gehört zu diesen Menschen!

Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen, verehrter Herr Pastor Manneke, heute im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage verleihen darf!

Und indirekt verleihen wir diesen Preis übrigens auch Ihrer Familie! Ohne den Rückhalt Ihrer Frau und Ihrer Söhne – davon gehe ich aus – wäre Ihr Engagement nicht möglich. Sie sind für uns alle, mit Sicherheit aber für Ihre vier Söhne, ein großes Vorbild.

Wie wichtig Sie Ihren Kindern sind, zeigt sich ja auch darin, dass zwei Ihrer Söhne extra aus Südafrika angereist sind, um bei Ihrer Ehrung dabei zu sein. Das ist eine besonders schöne Geste. Vielen Dank, dass Sie diese weite Reise extra auf sich genommen haben!

Liebe Gäste,

dem früheren Zentralratspräsidenten Paul Spiegel sel. A. lag der Einsatz gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und damit auch gegen Rechtsextremismus sehr am Herzen. Daher entschloss sich der Zentralrat der Juden nach seinem viel zu frühen Tod, einen nach ihm benannten Preis zu verleihen.

Und wenn unsere bisherigen und unser aktueller Preisträger uns etwas vor Augen führen, dann ist es diese Erkenntnis: Unsere Demokratie können wir nur dann wahren und schützen, wenn wir uns aktiv dafür einsetzen, wenn wir etwas tun!

Das galt 2009, als wir den Preis zum ersten Mal verliehen haben, und das gilt auch heute, meines Erachtens sogar noch viel mehr.

Wenn wir uns bequem zurücklehnen und viele Missstände einfach als gegeben hinnehmen, wird unsere Demokratie Schaden nehmen. Ja, in meinen Augen ist sie bereits gefährdet.

Denn nicht nur Extremisten von Links und Rechts sowie Islamisten versuchen, ihr Fundament auszuhöhlen. Sondern mit der AfD haben wir zudem eine Partei in fast allen Parlamenten dieses Landes sitzen, die unsere demokratische Kultur massiv angreift.

Zunächst über die Sprache. Ich will die sprachlichen Zynismen und Tabubrüche von AfD-Politikern, auch aus der jüngsten Zeit, gar nicht zitieren. Das sind sie nicht wert. AfD-Politiker greifen den hasserfüllten und menschenverachtenden Duktus auf, den man in den sozialen Netzwerken haufenweise findet. Sie tragen diese Sprache in die Parlamente und multiplizieren ihre Aussagen über Kanäle wie Facebook und Twitter wieder um ein Vielfaches nach draußen.

Ich kann es daher auch nur begrüßen, dass der TV-Moderator Frank Plasberg den AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland nicht mehr in seine Talkshow einladen will.

Der Politologe Dolf Sternberger hat einmal gesagt: „Die Barbarei der Sprache ist die Barbarei des Geistes.“

Wo Menschen einer bestimmten Gruppe, wie etwa Flüchtlinge, systematisch in Worten abgewertet werden, ist der Weg zu physischer Gewalt gegen genau diese Menschen nicht weit. Das nimmt die AfD nach meinem Eindruck bewusst in Kauf.

Und die Überschneidungen zwischen AfD und verschiedenen rechtsextremen Gruppierungen und Denkschulen sind sehr groß.

Der Verfassungsschutz stellt fest, dass die rechtsextreme Szene steten Zulauf hat. Die rechtsextremistische Gewalt nimmt seit 2014 stetig zu. Es entstehen immer wieder neue Gruppierungen und Formen, wie etwa die sogenannten völkischen Siedler, die vor allem hier in Niedersachsen eine Rolle spielen.

Im vergangenen Jahr hatten wir die bisherigen Träger des Paul-Spiegel-Preises zu einem Gespräch mit dem Präsidium des Zentralrats eingeladen. Wir wollten aus erster Hand eine Einschätzung der aktuellen Lage bekommen. Und die Ergebnisse waren erschreckend: Alle berichteten übereinstimmend, dass die Rechtsextremisten ihre Methoden verfeinern, die sozialen Medien ganz gezielt nutzen und sich untereinander immer besser vernetzen. Ebenso herrschte Übereinstimmung, dass Antisemitismus kontinuierlich und stärker als bisher bekämpft werden muss.

Auch rechtsextreme Konzerte erfreuen sich großer Beliebtheit. Diese Erfahrung haben Sie auch im Landkreis Celle schon gemacht.

Der südthüringische Ort Themar zum Beispiel muss seit Jahren rechtsextreme Musikfestivals ertragen. Vor gut einer Woche versammelten sich dort erneut rund 2.000 Neonazis. Tapfer hatten sich die Bürger gewehrt. Doch die Rechtslage machte es sehr schwierig, den Neonazis einen Riegel vorzuschieben. Eigentlich hatte die Gemeinde einen Hebel gefunden: bedrohte Vogelarten auf der entsprechenden Wiese.

Angesichts von Neonazi-Konzerten werde auch ich zum militanten Naturschützer. Die Richter leider nicht. Sie hoben das Verbot auf.

So wie der Rattenfänger von Hameln der Legende nach mit seiner Flöte einst auf beängstigende Weise erfolgreich war, so sind es die Rechtsextremisten über die Musik auch. Allein im vergangenen Jahr fanden fast 300 rechtsextreme Musikveranstaltungen in Deutschland statt. Und das sind nur jene, die öffentlich bekannt wurden. Mit den Events werden Anhänger rekrutiert und Einnahmen gemacht.

Die Debatte jüngst um den „Echo“-Musikpreis hat gezeigt, was gesellschaftlicher Protest bewirken kann. Gegenüber den zahlreichen rechtsextremen Musikgruppen ist meines Erachtens sowohl in unserer Gesellschaft als auch in der Musikindustrie die Toleranz viel zu groß! Hier wünsche ich mir auch ein beherztes Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden!

Die Arbeit der Bündnisse gegen Rechts hier in Niedersachsen, in denen Pastor Manneke aktiv ist, und die Arbeit der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zeigen, wie wichtig die Vernetzung im Kampf gegen Rechtsextremismus ist. Die evangelische Kirche ist deutschlandweit viel engagierter auf diesem Gebiet, als es allgemein bekannt ist. Allein in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“ sind 42 kirchliche Initiativen und Gruppen zusammengeschlossen. Das ist ein bemerkenswertes Engagement, das unser aller Respekt verdient!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn ich meine Sorge über den Zustand unserer Demokratie äußere, dann hat das viel mit dem Antisemitismus zu tun, dem sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ausgesetzt sieht. Es ist mir wichtig, heute dazu ein paar Worte zu sagen.

Wir haben es mittlerweile mit verschiedenen Formen von Antisemitismus zu tun. Das macht die Bekämpfung noch schwieriger als früher.

Es ist daher ein sehr wichtiger Schritt gewesen, dass die Bundesregierung einen Beauftragten für dieses Amt berufen hat. Dafür bin ich der großen Koalition sehr dankbar. Ihnen, lieber Herr Klein, wünsche ich viel Erfolg!

Der Bundesbeauftragte braucht die Unterstützung aus den Ländern. Daher freue ich mich, dass immer mehr Bundesländer ebenfalls Antisemitismusbeauftragte berufen. Niedersachsen wird diesem Beispiel hoffentlich folgen!

In der öffentlichen Debatte liegt der Fokus in jüngster Zeit auf dem muslimischen Antisemitismus. Das hat neben islamistischen Terroranschlägen viel mit antisemitischen Übergriffen zu tun wie im April im Prenzlauer Berg, der von einem arabisch-stämmigen Mann verübt wurde.

Hinzu kamen Fälle von religiösem Mobbing in Schulen durch muslimische Schüler. Mobbing, das sich übrigens nicht nur gegen jüdische, sondern auch gegen christliche Schüler richtete.

So sehr uns in der jüdischen Gemeinschaft der Antisemitismus unter Muslimen beschäftigt und beunruhigt, so übersehen wir darüber nicht den Antisemitismus, der fester Bestandteil des Weltbildes von Rechtsextremisten ist. Es war gut, dass zum 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen die Gefahr durch Rechtsextremisten wieder mehr öffentliches Interesse erfahren hat. Der NSU-Prozess hat sich so lange hingezogen, dass die Medien ihn nur noch schlaglichtartig begleiten konnten. Jetzt, da er sich offenbar dem Ende nähert, wird der NSU samt seinem Umfeld hoffentlich wieder mehr Aufmerksamkeit finden.

Denn wir dürfen diese Bedrohung von Rechtsaußen auf keinen Fall unterschätzen!

Und hinzukommt eine Form des Antisemitismus, der wir überall begegnen: In politisch linken ebenso wie in bürgerlichen Kreisen, auch in Kirchengruppen: Es ist eine einseitige und überzogene Abneigung gegen Israel. Diese Menschen differenzieren nicht mehr. Fast erscheint es, sie sehen allein deshalb Israel ausschließlich als Täter, um die historische Schuld Deutschlands oder die der eigenen Familie mindern zu können.

Ihre Kritik an Israel projizieren sie auf alle Juden, auch auf Juden in Deutschland, und merken manchmal gar nicht, wie stark ihre Argumentation auf alten antisemitischen Vorurteilen beruht. Leider trifft das offenbar auch auf ein jüngst erschienenes Buch der Theologen Ulrich Duchrow und Hans Ulrich zu, das von der EKD und mehreren Landeskirchen gefördert wurde.

Zu den Bekenntnissen der evangelischen Kirche gegen Antisemitismus gehört jedoch eine verantwortungsvolle Haltung gegenüber Israel dazu! Aus jüdischer Sicht besteht hier Nachbesserungsbedarf!

Pastor Manneke hat einmal gesagt, Rechtsextremismus und christlicher Glaube seien unvereinbar. Antisemitismus und christlicher Glaube sind auch nicht vereinbar!

Unabhängig jedoch davon, woher der Antisemitismus stammt oder wo er sich wiederfindet, kommt in seiner Bekämpfung den Schulen eine Schlüsselrolle zu.

Niemand wird als Antisemit geboren. Dennoch etabliert sich oft schon in der Grundschule das Wort „Jude“ als Schimpfwort. Kommt die Schoah als Thema an die Reihe, ist in manchen Klassen gar kein normaler Unterricht mehr möglich.

Lehrer sind mit dieser Situation häufig überfordert. Sie wurden dafür auch gar nicht ausgebildet. Sie haben dafür kein Lehrmaterial. Sie fühlen sich ziemlich allein gelassen. Und die eigene Haltung zu Juden hat auch noch nicht jede Lehrkraft reflektiert.

Daher ist der Zentralrat der Juden auf verschiedenen Ebenen aktiv geworden. Zum einen haben wir das Begegnungsprogramm „Likrat“ gestartet. Das ist hebräisch und heißt „aufeinander zu“. Dabei gehen jeweils zwei jüdische Jugendliche, die dafür von uns ein Training bekommen haben, in eine Schulklasse. Dort erzählen sie den Gleichaltrigen aus ihrem jüdischen Alltagsleben. Viele Vorurteile fallen dann in sich zusammen. Es entstehen Brücken zwischen Welten, die sich vorher sehr fremd waren.

Daneben haben wir eine intensive Kooperation mit der Kultusministerkonferenz gestartet. Gemeinsam haben wir das Ziel formuliert, die jüdische Religion, Kultur und Geschichte breiter als bislang in den Schulen zu vermitteln. Das soll auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrern künftig eine größere Rolle spielen als bisher. Als kurzfristige Maßnahme haben wir zudem eine kommentierte Materialsammlung für Lehrer online gestellt. Denn wir möchten den Lehrern etwas an die Hand geben und sie unterstützen – und sie nicht nur mit Forderungen überhäufen.

Vor kurzem hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, in einem Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen“ eingeräumt, dass sich in Schulen mit einem hohen Migrationsanteil bei vielen Lehrern Resignation breit macht, dass einzelne Lehrer regelrecht kapitulieren.

Die Versuchung zu resignieren, die ist uns nicht fremd. Und sie ist allzu menschlich.

Sie, lieber Pastor Manneke, zeigen uns jedoch: Es geht!

Im babylonischen Talmud heißt es: „Jeder einzelne soll sich sagen: Für mich ist die Welt erschaffen worden, daher bin ich mit verantwortlich.“ Was heißt das für uns? Wir sind für den Zustand unserer Demokratie verantwortlich! Wir müssen die Werte unseres Grundgesetzes leben und verteidigen!

Sie, sehr geehrter Herr Pastor Manneke, sind uns dafür gleichermaßen Ansporn und Vorbild!

Ich gehe davon aus, dass Ihr bevorstehender Ruhestand nicht dazu führen wird, dass Sie künftig nur noch mit Pantoffeln im Sessel sitzen. Vermutlich werden Sie noch mehr Zeit in Ihr Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus investieren.

Dafür wünsche ich Ihnen und auch Ihrer Familie sowie ihren zahlreichen Mitstreitern viel Kraft und Mut!

Und im Namen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland danke ich Ihnen von Herzen!

 

 

 

 

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