"Wir stehen an eurer Seite"



Foto: Uwe Steinert

Rede von Vizepräsident Mark Dainow bei der Kundgebung zum Welt-Roma-Day, 8. April 2016 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

es ist mir eine große Freude und Ehre, hier an diesem besonderen Tag als Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein Grußwort an Sie richten zu dürfen.

So sehr ich mich darüber freue, bei Ihnen zu sein, so groß sind aber auch meine Trauer und Wut. Denn dass es überhaupt notwendig ist, sich hier zu versammeln, macht mich traurig und wütend: Sinti und Roma sind die am stärksten diskriminierte Minderheit in Europa. Das ist eine traurige Tatsache. Gegen diese Diskriminierung wollen wir heute ein starkes Signal senden! Das ist notwendig und wichtig und trifft hoffentlich auf viele Nachahmer in ganz Europa!

Heute vor 45 Jahren trafen sich Roma aus 14 Staaten in London zum ersten Welt-Roma-Kongress. Der Tag ging als Meilenstein in die Geschichte der Emanzipation der Gemeinschaft ein. Es sollte Schluss sein mit der jahrhundertelangen Stigmatisierung. Die Roma sollten endlich als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt werden. Begriffe wie „Zigeuner“ sollten ein für alle Mal Geschichte sein.

Und nun stehen wir hier: 45 Jahre später. An diesem so bedeutsamen Ort und müssen feststellen: Zwar wissen in Deutschland viele, dass „Zigeuner“ ein abwertender Begriff ist. Auch in den Medien hat sich „Sinti und Roma“ als Bezeichnung eingebürgert.

Doch hat die Diskriminierung damit ein Ende? Werden Sinti und Roma in ihrer Vielfalt und mit ihrem ganzen kulturellen Reichtum wahrgenommen? Und angenommen? Hat die Mehrheitsgesellschaft Respekt für ihre lange Geschichte und Tradition? Wird die Geschichte der Roma in unseren Schulen vermittelt?

Leider nein!

Im Gegenteil: Noch immer werden Sinti und Roma benachteiligt. Ihnen wird mit Klischees begegnet. Einige Medien und Politiker bedienen sich gar mutwillig antiziganistischer Ressentiments. In Europa, aber auch in Deutschland herrscht eine erschreckende Ablehnung gegenüber der größten europäischen Minderheit.

Und genau das ist es, was mich mit Trauer und Wut erfüllt.

Und deshalb sagen wir heute, am Welt-Roma-Tag, ganz klar: Wir akzeptieren es nicht, dass Sinti und Roma an zig Orten in Europa immer wieder an den Rand gedrängt werden!

Wir akzeptieren es nicht, dass Sinti und Roma von der Gesundheitsversorgung, von Bildung oder sozialen Leistungen ausgeschlossen werden!

Wir fordern Gleichberechtigung für Sinti und Roma in ganz Europa!

Die Sinti und Roma brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. Für uns, den Zentralrat der Juden in Deutschland, war es daher eine Selbstverständlichkeit, das neue Bündnis für Solidarität mit zu gründen.

Wir, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, fühlen uns mit der Gemeinschaft der Sinti und Roma aufgrund unserer tragischen Geschichte sehr verbunden. Sechs Millionen Juden und etwa eine halbe Million Sinti und Roma wurden zwischen 1933 und 1945 ermordet.

Das vergessen wir bestimmt niemals.

Wir vergessen nicht, dass wir Schicksalsgenossen waren. Doch ebenso wenig vergessen wir, dass dieser schlimmen eine lange Tradition der Freundschaft und des Miteinanders in vielen Ländern Europas vorausging. Diese Freundschaft wollen wir wahren und stärken.

Und daher ist eines ganz klar, und Sie alle können sich darauf verlassen: Die jüdische Gemeinschaft steht an der Seite der Sinti und Roma. Wir gedenken in Trauer gemeinsam ihrer Opfer! Und stehen auch in Zukunft fest zusammen.

Sie, lieber Herr Weisz, sagten in Ihrer so beeindruckenden Rede im Bundestag anlässlich des Holocaust-Gedenktages im Jahre 2011:

„Eine halbe Million Sinti und Roma - Männer, Frauen und Kinder - wurden im Holocaust ausgerottet. Nichts oder fast nichts hat die Gesellschaft daraus gelernt, sonst würde sie heute verantwortungsvoller mit uns umgehen“.

Lieber Herr Weisz, wie sehr würde ich mir wünschen, Ihnen hier widersprechen zu können. Verantwortung – das ist es, was wir als demokratische Gesellschaft aus den Lehren der Shoa, aus den Lehren des Porajmos ziehen müssen. Und diese Verantwortung gilt für uns Alle – sie beinhaltet den rigorosen Kampf gegen Antisemitismus.

Sie beinhaltet aber auch den Kampf gegen Antiziganismus, gegen Homophobie und gegen jegliche Art von Rassismus und Diskriminierung. Das sind wir den Opfern von damals schuldig. Das sind wir aber auch unseren Kindern für ein friedliches und tolerantes Europa von morgen schuldig.

Dieses Mahnmal, an dem wir uns hier versammelt haben, steht geradezu symbolisch für unsere Nähe: Es wurde vom israelischen Künstler Dani Karavan entworfen. Und es steht in der Nähe der anderen zentralen Gedenk-Orte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen.

Doch es ist wichtig zu zeigen, dass wir nicht nur als Opfer verbunden sind, sondern weiterhin aufeinander Acht geben und füreinander eintreten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es sind gerade schwierige Zeiten, in denen wir leben. Wir stehen in Deutschland vor der Herausforderung, sehr viele neu zugewanderte Menschen in unsere Gesellschaft integrieren zu müssen. Wir wollen ihnen Werte wie Toleranz, Respekt und Gleichberechtigung vermitteln! Das bedeutet aber auch, dass wir diese Werte selbst leben müssen! Wir müssen sie mit Leben erfüllen!

Und diese Werte müssen für alle gelten: Gleichberechtigung gilt für Frauen und Männer, für die verschiedenen Religionen, für die verschiedenen Ethnien und für die Minderheiten in unserem Land. Vor allem eines dürfen wir nicht zulassen: Dass eine Minderheit gegen die andere ausgespielt wird!

Wir dürfen auch nicht zusehen, wie rechtspopulistische Agitatoren und Rechtsextreme ein Klima der Verunsicherung für sich nutzen, um ihre braune Propaganda zu verbreiten und immer mehr Menschen in ihren Bann zu ziehen. Dagegen müssen wir als Zivilgesellschaft mit Unterstützung der Politik aktiv vorgehen.

Sinti und Roma leben seit Jahrhunderten in Deutschland. Sie sollten integraler Teil unserer Gesellschaft sein. Eine Gesellschaft, die ihren Reichtum genau der Tatsache verdankt, dass immer wieder Menschen aus anderen Ecken der Welt hier hergekommen sind. Das müssen wir uns viel öfters in Bewusstsein rufen.

Für den Zentralrat der Juden in Deutschland steht fest: Wo immer Menschen diskriminiert werden, werden wir unsere Stimme erheben! Wir wollen ein Europa der Freiheit und Solidarität!

Lassen Sie mich an diesem besonderen Tag also mit einem Wunsch abschließen: Ich wünsche mir eine Chance für die Sinti- und Roma-Gemeinschaft. Die gleiche Chance auf Ausbildung, Beruf und soziale Sicherheit, wie sie die Mehrheit in Europa hat. Und ich wünsche mir einen würdigen Umgang mit Sinti und Roma. Deswegen sind wir heute hier und senden mit dieser Kundgebung ein wichtiges Zeichen an alle Sinti und Roma in Europa:

Ihr seid nicht allein! Wir stehen an Eurer Seite!

Vielen Dank!

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