Schlussworte von Rabbiner Benjamin Kochan anlässlich der Rabbiner-Ordination, 26.9.2016, Frankfurt/M.



Es gilt das gesprochene Wort!

Sendesperrfrist: Montag, 26.09.2016, 11.00 Uhr MESZ

Anrede,

eines Tages war ich im Gemeindebüro, da kam ein Mitglied der Gemeinde herein und fragte mich, wo er den neuen Rabbiner finden könne. Ich war nur wenig überrascht, weil ich ganz neu in der Gemeinde war und nicht jeder wusste, wie der neue Rabbiner aussah. Mir war es auch bewusst, dass die meisten Menschen ein gewisses Bild von einem Rabbiner haben. Er muss sehr seriös und streng aussehen und auf jeden Fall einen Bart haben, und am besten einen grauen. Als ich dem Fragenden dann sagte, dass ich der neue Rabbiner sei, war er im Gegensatz zu mir sehr überrascht.

Nach diesem Vorfall machte ich mir Gedanken: Warum glaube ich eigentlich ein fertiger Rabbiner zu sein? Habe ich überhaupt das Recht, mich als Rabbiner zu bezeichnen. Na ja! Vielleicht deswegen, weil ich alle in meinem Arbeitsvertrag erwähnten Aufgaben korrekt erfülle. Oder einfach, weil ich mein Studium zum Rabbiner abgeschlossen habe und eine Bescheinigung habe, die es bestätigt. Das schien mir aber irgendwie fragwürdig und nicht ausreichend…

Dann fiel mir Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer ein. Er kam nach Berlin, um einer kleinen Gruppe von Menschen zu dienen - ohne klare Tätigkeitsbeschreibung. Er war nicht nur Rabbiner, sondern auch ein Umwandler, einer, der eine Gemeinde aufgebaut hat, in der ich 100 Jahre später Mitglied wurde, und eine Institution gegründet hat, in der ich 100 Jahre später mein Rabbinerstudium absolvieren durfte. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Rabbiner Hildesheimer seine Aufgabe als Rabbiner mit all den Gottesdiensten, Hochzeiten, Beerdigungen und so weiter perfekt erfüllt hatte. Ich habe auch keinen Zweifel daran, dass es nicht das alles allein war, was ihn zu einem großen Rabbiner machte.

Vielmehr waren es zwei Dinge, die ihn großgemacht haben. Erstens war es das Bewusstsein seiner Verantwortung. Nicht die Verantwortung sich selbst gegenüber oder gegenüber dem Arbeitsgeber, sondern die Verantwortung seinem Volk gegenüber, der Existenz dieses Volkes und die Verantwortung vor Gott.

Zweitens war es für ihn die Erfüllung seiner großen Mission, die Werte der Thora zu verteidigen und die Juden, die sich von der Thora abgewandt hatten in der Hoffnung, von ihren Nachbaren akzeptiert zu werden, davon zu überzeugen, dass es eine Illusion war. Und leider hat es sich Jahrzehnte später auf grausamste Weise bestätigt. Um seine Mission zu erfüllen, musste Rabbiner Hildesheimer neue Wege gehen und neue Strategien entwickeln. Die Verantwortung, die er auf sich genommen hatte, gab ihm den Mut, die Kraft und die Kreativität, um seinem Ziel näher zu kommen.

Rabbiner Hildesheimer hat aus Verantwortung gehandelt. Deswegen war es seine Pflicht, an neue Wege und Strategien zu denken und angesichts der Herausforderungen nicht aufzugeben.

Genauso haben auch die Gründer des heutigen Rabbinerseminars zu Berlin gehandelt. Mr. Ronald Lauder und der Zentralrat der Juden waren sich der Herausforderungen bewusst, vor denen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland stand. Genau aus diesem Grund eröffneten Sie das Rabbinerseminar zu Berlin erneut.

In einem Interview - noch bevor ich meine Arbeit in Thüringen angefangen habe - wurde ich gefragt, wie weise kann ein 27 Jahre alter Rabbiner denn sein? Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht genau erinnern, was ich da geantwortet habe, aber ich stelle mir die Frage selber ab und zu. Ich bin überzeugt davon, dass die Verantwortung, die man als Rabbiner auf sich nimmt, einem auch eine gewisse Weisheit verleiht. Es macht ihn auf jeden Fall kreativer und klüger, weil es nicht nur sein Beruf ist, sondern auch seine Berufung. Das ist unsere Lebensaufgabe, egal als Rabbiner oder als Lehrer oder als Lebensberater und es nützt nichts, sich selbst mit Sprüchen zu beschwichtigen: „ich habe alles Mögliche schon getan…es geht nicht anders...

Ich hoffe, dass dieses Bewusstsein uns hilft, allen Herausforderungen in unserem Dienst als Rabbiner gerecht zu werden.

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