Redebeitrag Dr. Dieter Graumann



anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises für Zivilcourage, am 12. 5. 2011 in Schwerin

Anrede

Den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage vergeben wir heute erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Zentralrats. Wir erinnern damit zunächst an unseren verehrten früheren Präsidenten Paul Spiegel sel. A., der von 2000 bis 2006 einer der populärsten Präsidenten war, den wir überhaupt jemals im Zentralrat der Juden hatten.

Paul Spiegel war ein Mensch voller Wärme und Herzlichkeit.
Er war der Präsident der Herzen.
Für mich selbst war er ein Kollege, der mir rasch zum guten Freund wurde.
Und ich verbinde mit Ihm so viele wertvolle Erinnerungen und vertraute Gespräche, die ich für immer in meinem Herzen bewahren werde.
Ein Präsident, und ein Freund, dem ich persönlich und politisch sehr viel zu verdanken habe.

Paul Spiegel war aber auch ein engagierte Bürger und Demokrat. Ein Mann, dem es auch immer darum ging, für Freiheit und Toleranz zu werben und entschlossen gegen den Geist der Unfreiheit aufzustehen. Er war es, der gemeinsam mit anderen entschlossen und beherzt die Aktion "Gesicht zeigen" im Jahr 2000 begründete, eine Initiative, um vorbildlich gegen den neuen Faschismus im Land aufzubegehren und Flagge zu zeigen gegen den neuen Geist von Unfreiheit und von Rassismus.

Und dann: Im Jahr 2002 war Paul Spiegel dann über Monate hinweg mit der heftigsten Auseinandersetzungen beschäftigt, die die jüdische Gemeinschaft hier überhaupt in den letzten Jahrzehnten zu bestehen hatte: Stichwort Möllemann. Als versucht wurde, aus der Mitte einer renommierten Partei heraus, mit antisemitischen Stimmungen politische Stimmen zu gewinnen, und als nicht geringe Teile jener Partei, und nicht wenige Prominente darunter, über Monate hinweg den Versuch unternahmen oder zumindest diesen hinnahmen, die Partei ziemlich direkt judenfeindlich zu positionieren - da war es Paul Spiegel, der mit aller Kraft energisch dagegen stritt.

Damals waren über Wochen hinweg viele politische Gruppen im Land quasi verstummt: die Kirchen vor allem, die Gewerkschaften warteten erst einmal ab, wie sich die Sache entwickeln würde. Schließlich war es die deutsche Presse, die eine wahre Glanzleistung absolvierte. Denn ganz unabhängig von den politischen Differenzierungen in der deutschen Presselandschaft, waren es am Ende alle Presseorgane in diesem Land die unisono diesen Versuch von Teilen der FDP als das bezeichneten was er war: zutiefst verwerflich. Paul Spiegel gebührt ein ganz großes, immerwährendes Verdienst, denn in dieser schwierigen und womöglich wegweisenden Situation, hat er einen harten und belastenden Kampf geführt, durchgehalten und am Ende erfolgreich bestritten. Das war nicht nur Zivilcourage – das war Courage pur.

Heute ehren wir hier gemeinsam ein Ehepaar, das im vorbildlichen Spirit von der Courage von Paul Spiegel, in einem Geist, den andere sich überall zum Beispiel nehmen sollten, sich auf eine Art und Weise einsetzt, die man wirklich nur bewundern kann. Es geht um ein kleines Dorf, in der Hand von Neonazis – Jamel, mitten in Deutschland. Und mittendrin ein einziges Ehepaar, das entschlossen dagegen hält. Einmal im Jahr gibt es dort ein großes Rockfestival für Demokratie und für Toleranz, das die beiden veranstalten. Aber 364 Tage im Jahr, ist ihr Alltag grau und braun.

Sehr geehrte Frau Birgit Lohmeyer, sehr geehrter Herr Horst Lohmeyer,

was Sie leisten und durchhalten, das ist wirklich ganz und gar außergewöhnlich.
Und dass wir Sie heute hier dafür ehren können, ist eine wahre Freude und eine große Ehre für uns.
Es ist jedoch ein Skandal, dass sie das alles überhaupt aushalten müssen.
Wie kann es sein, dass in einem Dorf in Deutschland die Neonazis das Sagen haben?
Wie kann es sein, dass zwei aufrechte Menschen in diesem Dorf quasi alleine stehen?
Wie kann es sein, dass Behörden und Teile der Politik offenbar doch zu wenig, viel zu wenig tun und taten, und das über viele Jahre hinweg?

Befeuert durch die Ankündigung gerade dieser Preisverleihung und durch die auch damit verbundene Öffentlichkeit, scheint sich einiges nun ein wenig positiv bewegt zu haben. Warum aber denn eigentlich nicht schon vorher? Warum nicht mehr? Wir brauchen doch einen entschlossenen demokratischen Staat, einen Staat, der offensiv argumentiert und der resolut reagiert. Wir brauchen einen Staat, der sich eben nicht mitunter vielleicht sogar bequem weg duckt, sondern einen Staat, der entschlossen interveniert, wenn die Freiheit in Gefahr ist.

Daher werben wir ausdrücklich und immer wieder dafür, den Faschisten nicht freie Bahn zu lassen. Ich werbe daher wieder einmal für einen neuen, entschlossenen Anlauf zum Verbot der NPD. Die NPD genießt als zugelassene Partei das Parteienprivileg mit all seinen immensen Vorteilen, finanziell und politisch und rechtlich betrachtet – das darf nicht sein.

Im September wird es hier in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen geben und wir hoffen sehr, dass die NPD nicht wieder in den Landtag einzieht. Sondern dass sie verschwinden möge im nichtswürdigen Nirwana, auf Nimmerwiedersehen! Wer die NPD wählt, macht nicht nur einfach einen Fehler – nein, der versündigt sich an der Zukunft. Denn die NPD bietet nur Hass und Feindseligkeit. Wir wünschen uns daher, dass die kommenden Landtagswahlen ein lautes Signal gegen den Rechtsradikalismus und für die Freiheit und die Toleranz sein mögen.

Dieses Signal setzen Sie, Frau Lohmeyer und Herr Lohmeyer, nun Tag für Tag aufs Neue in Ihrem ganz persönlichen Alltag. Der Musiker und die Krimi-Autorin – hier erleben Sie quasi Ihren eigenen Krimi: Tote Ratten im Briefkasten, Tierkadaver oder eine Fuhre Mist im Hof, das alles ist ganz gewiss kein Vergnügen. Und dass Sie beide sich eben gerade nicht einschüchtern lassen im braunen Alltag – das kann man gar nicht genug würdigen.

Ihr Dorf, Jamel, mitten in Mecklenburg-Vorpommern, gilt bei Neonazis inzwischen als "national befreite Zone". Solche Zonen darf es in Deutschland definitiv nicht geben. Vielmehr muss ganz Deutschland eine „faschistenfreie Zone" sein – ohne jede Ausnahme. Das wünschen wir uns nicht nur, dass fordern wir alle gemeinsam und entschlossen.

Jamel, das ist inzwischen nicht nur ein Dorf, Jamel, das ist ein unhaltbarer Zustand, eine Zumutung, mit der sich niemand in Deutschland jemals abfinden darf.

Um dieses Zeichen zu setzen, ehren wir Sie heute. Diese Ehrung soll aber zugleich, wie bei jeder Ehrung, Anreiz sein für andere, es ihnen möglichst gleich zu tun. Ihr sagenhafter Mut im Alltag, Tag für Tag, soll daher auch Anderen Mut machen, sich einzusetzen, Flagge zu zeigen für die Sache der Freiheit. Dieser Preis, und die damit verbundene Aufmerksamkeit, möge sie jedoch auch schützen und beschützen.

Sie setzen ein lebendiges Beispiel für Einsatz und Engagement. Sie setzen ein Beispiel für Kraft und für Courage.

Wir bewundern ihre Tapferkeit im Tun und wir ehren ihr beherztes Engagement – und wir alle hoffen, dass es bald gar nicht mehr nötig sein wird.

Für uns sind Sie tatsächlich Helden des Lebens. Bertolt Brecht sagt zwar: "Unglücklich ist das Land, das Helden braucht." Wir jedenfalls, liebe Birgit und Horst Lohmeyer – wir sind von Herzen sehr glücklich, dass wir Sie haben.

– Es gilt das gesprochene Wort! –
– Sperrfrist: 12.5.11 um 10.00 Uhr –

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