Rede von Dr. Josef Schuster



Rede von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zur Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Bundestagspräsident a. D. , Prof. Dr. Norbert Lammert, 1.2.2018, Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sperrfrist: Donnerstag, 1. Februar 2018, 20.50 Uhr MEZ

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Nachdem ich Sie eben ausführlich begrüßt habe, möchte ich jetzt noch ein paar Worte verlieren zu unserer diesjährigen Verleihung des Leo-Baeck-Preises und natürlich zu unserem Preisträger.

Bei der Vorbereitung dieses Festaktes kam mir eine – wie ich zugeben muss – etwas abstruse Idee: Sollten wir nicht einfach anstelle meiner Rede einen Schauspieler engagieren, der heute Abend Reden von Ihnen, lieber Professor Lammert, vorträgt?

Ich bin überzeugt, liebe Gäste, Sie würden nicht nur gut unterhalten werden, sondern auch bereichert mit neuem Wissen und viel Stoff zum Nachdenken nach Hause gehen.

Denn wie kaum ein anderer Politiker ist Prof. Lammert ein Meister des Wortes, ein Künstler der Sprache. Seine Sätze bringen seine Ansichten mit eindringlicher Klarheit auf den Punkt und sind geschliffen.

Geschliffen, aber nicht gefällig.

Anbiedernde Lobhudeleien finden sich in seinen Reden und Beiträgen ebenso wenig wie glatt gebügelte und auf jeden Fall mehrheitsfähige Sätze aus dem Handwerkskasten eines PR-Managers.

Von daher ist es ein Genuss und bleibender Gewinn, seine Reden noch einmal zu lesen oder anzuhören – das ist ja heutzutage dank Youtube kein Problem.

Dennoch, meine Damen und Herren, habe ich mich gegen einen Schauspieler und für eine eigene, kurze Ansprache entschieden.

Denn etwas finden Sie in den Reden Norbert Lammerts garantiert nicht: Dass er sich selbst lobt für sein jahrzehntelanges Engagement für die Demokratie, für seine eindrücklichen Worte in den Festakten des Bundestags am Holocaust-Gedenktag und für sein glaubwürdiges Eintreten für die deutsch-israelische Freundschaft.

Nein, dieses Selbstlob finden Sie in den Texten von Norbert Lammert nicht. Deshalb übernehme ich dies heute Abend in Kurzform. Und überlasse sehr gerne und mit großer Vorfreude die Laudatio Dr. Navid Kermani.

Die Reden von Herrn Kermani sind es im Übrigen auch wert, sie nachzulesen oder anzuhören, wie ich es erst vor einem halben Jahr in München erlebt habe zur Feier des 20-jährigen Bestehens des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur.

Lieber Herr Prof. Lammert, meine sehr geehrten Damen und Herren,

dass sich unser Preisträger als Laudator Herrn Kermani gewünscht hat, hat mich auch noch in anderer Hinsicht gefreut. Denn Prof. Lammert hat damit genau im Geiste Leo Baecks gehandelt.

Rabbiner Leo Baeck hat sich in einer Zeit intensiv um den interreligiösen Dialog bemüht, als es diesen Begriff noch gar nicht gab und als es – vor allem – kaum Begegnungen zwischen Juden und Christen gab. Verständnis für die andere Religion zu wecken, sich mit ihren Schriften auseinanderzusetzen und nach einem Dialog auf Augenhöhe zu suchen – das entsprach am Beginn des 20. Jahrhunderts keinesfalls dem Mainstream.

Es ging Leo Baeck sowohl darum, sich des eigenen Glaubens zu vergewissern, als auch um Respekt vor den Unterschieden zwischen den beiden großen monotheistischen Weltreligionen Judentum und Christentum. Obwohl damals der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ faktisch nicht gestimmt hätte, hat Leo Baeck den Blick auch auf den Islam geweitet. Im Zentrum seiner Überlegungen stand jedoch der christlich-jüdische Dialog.

Viele seiner Schriften zu diesem Thema sind bis in unsere heutige Zeit aktuell geblieben und können hilfreich sein für unsere Debatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

einen festen eigenen Standpunkt bei gleichzeitiger Offenheit für andere Haltungen sowie einem hohen Respekt vor anderen Religionen – das zeichnet auch Prof. Lammert aus.

Über viele Jahre hat er am Holocaust-Gedenktag im Bundestag gesprochen und dabei auch Wahrheiten ausgesprochen, die sicher nicht alle Bürger in diesem Land gerne hören wollten.

Prof. Lammert hat dabei zugleich immer darauf geachtet, dass im Mittelpunkt der Gedenkstunde die Überlebenden standen. Der Holocaust-Gedenktag ist der Tag der Opfer. Die Gedenkfeiern sind ihnen gewidmet.

Bei der Auswahl der Redner hat sich Prof. Lammert nicht auf jüdische Überlebende beschränkt. Er hat auch andere Opfergruppen in den Blick genommen: zum Beispiel Sinti und Roma oder Euthanasie-Opfer.

Ich möchte heute Abend betonen: Das findet in der jüdischen Gemeinschaft ganz ausdrücklich Zustimmung. Wir wehren uns zwar, wenn die Singularität der Schoa in Frage gestellt wird. Wir lehnen auch Gleichsetzungen ab, die in der heutigen Zeit modern, aber deshalb nicht richtig geworden sind, wie etwa die These, was die gesellschaftliche Ausgrenzung angehe, seien die Muslime die heutigen Juden.

Aber wir lehnen es in keiner Weise ab - im Gegenteil -  das auch anderer Menschen gedacht wird, die unter den Nationalsozialisten unendlich gelitten haben und ermordet wurden.

Gestern hat in der Gedenkstunde im Bundestag die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch eine bewegende Rede gehalten.

Es ist ein großes Privileg, diesen Menschen zuhören zu dürfen. Wir können uns glücklich schätzen, dass noch Zeitzeugen unter uns sind. Daher freue ich mich auch ganz besonders, dass Sie, liebe Frau Friedländer, wieder beim Leo-Baeck-Preis zu Gast sind.

Auch in sehr hohem Alter sind die Überlebenden noch bereit, die Strapazen auf sich zu nehmen, um öffentlich aufzutreten, sei es in Gedenkstunden oder in Schulklassen.

Sie haben nicht nur den Mut, ihr verborgenes Inneres zu öffnen, ihre schmerzhaften Erinnerungen mit uns zu teilen, nein, Sie haben auch den Mut, sich den Fragen von jungen Menschen zu stellen.

Und was mich sehr berührt: Wenn Zeitzeugen hinterher von einem solchen Besuch in einer Klasse erzählen, dann berichten Sie eigentlich nur von positiven Erlebnissen. Die Schüler waren nicht frech oder respektlos. Sie stellten auch nicht in Frage, ob das alles überhaupt stimme, was der Überlebende erzählt. Nein, in der Regel wurden die Schüler sehr still. Es flossen Tränen. Sie fragten sehr vorsichtig nach.

Das zeigt doch, meine verehrten Damen und Herren, dass es unter jungen Menschen durchaus ein Interesse an der Geschichte gibt und auch eine Empathiefähigkeit. Die Gespräche mit Zeitzeugen wird es aber in absehbarer Zeit kaum mehr geben. Wir müssen uns also überlegen, wie Schüler auf andere Weise an das Thema herangeführt werden können. Das ist einer der Gründe, warum ich mich seit langem für Gedenkstättenbesuche ausspreche.

Und ich bin etwas irritiert, wie derzeit über diese Frage  debattiert wird. Sehr schnell wurden von verschiedenen Seiten vor allem Gründe gefunden, warum diese verpflichtenden Besuche nicht sinnvoll sind.

Ich wünsche mir, dass die zuständigen Minister in den Ländern und die Verantwortlichen in den Gedenkstätten zunächst einmal prüfen, wie es gehen könnte. Und ich würde es begrüßen, wenn in Pilotprojekten Erfahrungen gesammelt würden, bevor wir Nein sagen.

Mir ist bewusst, dass bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden müssen, wenn wir Gedenkstättenbesuche in die Lehrpläne aufnähmen:

Lehrern müsste Zeit eingeräumt werden, um solche Besuche gut vor- und nachzubereiten. Um die Fahrten zu Gedenkstätten zu finanzieren, bedürfte es ausreichender Zuschüsse der Länder. Und schließlich benötigten die Gedenkstätten mehr Personal und zum Teil eine bessere Infrastruktur, um mehr Besuchergruppen betreuen zu können.

Ich appelliere an alle politisch Verantwortlichen, den Mut zu haben, hier neue Wege zu beschreiten.

Letztlich geht es dabei nicht nur um den Wunsch, die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten, es geht auch nicht allein um die Bekämpfung von Antisemitismus, sondern im Kern geht es um Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Die Menschenwürde wurde nie so sehr mit Füßen getreten wie in der Schoa. Wem das eindrücklich vor Augen geführt wurde, wer dies in Buchenwald oder in Dachau plötzlich begreift – der wird auch heute für die Achtung der Menschenwürde eintreten.

 

Lieber Herr Prof. Lammert,

heute würdigen wir Ihr Engagement für die Erinnerung an die Schoa und für die deutsch-israelische Freundschaft. Vor allem aber würdigen wir Ihr immerwährendes Eintreten für die Werte unseres Grundgesetzes. In Ihrer Rede im Jahr 2015 vor der Knesset, dem israelischen Parlament, haben Sie Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht über das jüdische Leben, das in Deutschland wieder entstanden ist. Sie sagten:

„Dies ist die schönste Vertrauenserklärung, die es für die zweite deutsche Demokratie gibt.“

Dass die jüdische Gemeinschaft dieses Vertrauen entwickeln konnte, liegt auch an Menschen wie Ihnen.

Für Ihr Wirken möchte ich heute in Namen der jüdischen Gemeinschaft meinen tiefen Dank aussprechen!

Und jetzt freue ich mich auf die Laudatio von Dr. Kermani!

Vielen Dank!

 

 

 

 

 

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