"Ordination ist Ausdruck der wachsenden Vitalität unserer jüdischen Gemeinschaft"



Grußwort von Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann bei der ersten Rabbinerordination des Zacharias Frankel College, 18.6.2017, Berlin

Foto: Tobias Barniske
Foto: Tobias Barniske

Junge jüdische Menschen fassen den Entschluss Rabbinerinnen und Rabbiner zu werden. Sie lernen täglich die Tora, die Halachot, die Kommentare unserer Weisen und die vielen religiösen Werke. Nach Jahren folgt die Ordination. Eine Ordination von Rabbinerinnen und Rabbinern, meine Damen und Herren, ist eine riesige Freude für uns, für die jüdische Gemeinschaft. Besonders bedeutend ist aber zweifellos die erste Ordination, die an einer Rabbinerausbildungsstätte stattfindet.

Sie berührt unsere Herzen auf ganz besondere Weise, da eine solche Ordination für einen Anfang steht und ein weiterer Beweis dafür ist, dass gelingt, was wir uns - unabhängig von der jeweiligen religiösen Ausrichtung - doch so sehr von Herzen wünschen:

Nämlich, dass in Deutschland wieder zahlreiche Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet werden, die die jüdische Gemeinschaft bereichern. Jede Ordination, ob orthodox, liberal oder konservativ, ist Ausdruck und Symbol der wachsenden Vitalität unserer jüdischen Gemeinschaft.

Auch wenn wir uns besonders freuen, wenn diese Rabbinerinnen oder Rabbiner nach ihrer Ausbildung in unseren Gemeinden in Deutschland tätig sind, so freuen wir uns doch auch, wenn sich diese – wie es der ehemalige Präsident des Zentralrats, Dr. Dieter Graumann, einst formuliert hat – als „Exportschlager“ ins Ausland erweisen.

Und ich bin sicher, dass es sich bei Ihnen, Frau Nitzan Stein Kokin um einen solchen handelt. Deutschland, Israel und die USA haben die Erfahrungshorizonte in Ihrem Leben geprägt. Damit sind Sie geradezu prädestiniert dazu, zu einer künftigen Brückenbauerin zwischen den Nationen, den Kulturen und den jeweiligen jüdischen Communities zu werden.

Und Brückenbauer, meine Damen und Herren, brauchen wir in den heutigen Zeiten mehr denn je. Denn wer mit seinem Gegenüber in Kontakt treten will, der muss zuerst wissen, wer er selber ist, woher er kommt, was ihn prägt, wo seine Wurzeln sind. Nur dann kann Kommunikation mit dem Anderen gelingen.

Dies gilt für das innerjüdische Gespräch genauso, wie für den in diesen Zeiten immer wichtiger werdenden interreligiösen Dialog.

Wir brauchen gut ausgebildete, engagierte jüdische Menschen, die mit aller Kraft daran mitwirken, eine jüdische Gemeinschaft zu etablieren, die ihre religiösen und traditionellen Werte kennt, lebt und liebt, und sie an die kommenden Generationen weitergibt. Selbstbewusst, engagiert und freudig.

Wir können uns heute glücklich schätzen, dass es gelungen ist, in Deutschland wieder eine großartige und vielfältige jüdische Bildungslandschaft zur Ausbildung von Rabbinern, Kantoren und Religionslehrern aufzubauen.

Dass dies gelingen würde, war nach der Katastrophe, der Schoah nicht zu erwarten. Wenn wir bedenken, dass sich bei Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland 1950 gerade noch ungefähr 15.000 jüdische Menschen in Deutschland aufhielten, die überwiegend kein auf Dauer angelegtes Leben in Deutschland planten, mag es manchen wie ein „Wunder“ erschienen sein, das hier stattgefunden hat. Wir wissen aber auch, Wunder geschehen nicht ganz von allein – manchmal braucht ihr Entstehen auch etwas „Unterstützung“.

Die Festigung des Judentums in all seinen Facetten unter dem Dach der Einheitsgemeinde gehörte daher stets zur Agenda des Zentralrats der Juden in Deutschland, weshalb wir alle relevanten Strömungen des Judentums ideell ebenso wie finanziell unterstützen.

Dieses Konzept hat sich, wie wir heute sehen können, als durchschlagender Erfolg erwiesen. Denn trotz zahlenmäßig überschaubarer Größe der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, können wir mit einigem Stolz auf eine vielfältige und vor allem erfolgreiche religiöse Ausbildungslandschaft blicken.

Für diesen Erfolg stehen so unterschiedliche Ausbildungsstätten wie das Abraham Geiger Kolleg in Potsdam, das Hildesheimersche Rabbinerseminar in Berlin, die 1979 gegründete Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und seit seiner Gründung 2013 nunmehr auch das Zacharias Frankel College.

Sie alle bieten eine Vielfalt an Ausbildungsangeboten für jüdische Studierende, die einfach nur als großartig bezeichnet werden kann. Sie verbinden, je nach eigenem Zugang zum Judentum, das wissenschaftliche Ethos mit der tiefen Verbundenheit zur jüdischen Tradition und sind damit eine Quelle der Inspiration für uns alle.

Ich hoffe und wünsche mir, dass junge jüdische Menschen diese Angebote noch mehr als bisher nutzen und die enormen Chancen, die in einer solchen umfassenden Ausbildung liegen, ergreifen. Wir brauchen noch viel mehr Rabbinerinnen und Rabbiner, die - unabhängig von der jeweiligen Denomination - zeitgemäße Konzepte für religiöse Bildung und Lebenspraxis an unsere jüdische Jugend, an die Kinder, in die Familien und in unsere jüdischen Gemeinden hineintragen.

Eine jüdische Gemeinschaft ohne Rabbinerinnen und Rabbiner ist nicht denkbar. Und je qualifizierter diese sind, umso besser für die Gemeinde. In einer Welt, die immer komplexer und immer schnelllebiger wird, sind die Herausforderungen, denen sich junge Rabbinerinnen und Rabbiner heute stellen müssen, enorm. Aber sie bieten auch die Chance, enorme gestalterische Kraft zu entfalten. Schließlich sind Rabbinerinnen und Rabbiner im besten Falle die Aushängeschilder für ihre jeweilige Gemeinde und die jüdische Gemeinschaft insgesamt.

Wir sehen also, religiöse Vielfalt meine Damen und Herren, ist nichts was uns Angst machen muss. Auch wenn nicht nur wir Juden wissen, dass Vielfalt auch anstrengend sein kann. Und ich erzähle Ihnen allen nichts Neues, wenn ich sage: Wir brauchen schließlich auch immer eine Synagoge, in die wir nicht gehen.

Aber eines muss uns klar sein: So sehr Vielfalt im Inneren eine Bereicherung ist, so wichtig ist es, dass die jüdische Gemeinschaft nach Außen mit einer Stimme spricht.

Dies gilt umso mehr als die weltweiten Angriffe auf die Fundamente unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaften derzeit massiv sind. Minderheiten gehören stets zu den ersten Zielscheiben derer, die unsere Gemeinschaft zunächst spalten und schließlich zerstören wollen. Deshalb wehren wir uns gemeinsam mit jenen, die ebenfalls zur Zielscheibe gemacht werden, gegen die Antidemokraten jeglicher Couleur! Sie alle sollen wissen: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.

Sowohl die hässlichen Debatten um das Thema Beschneidung als auch die Debatten um das Thema Schächten, die Juden und Muslime gleichermaßen trafen, haben gezeigt, dass das Fundament des vermeintlich garantierten gesellschaftlichen Miteinanders sehr schnell sehr brüchig werden kann.

Europaweit wird derzeit versucht, die Religionsfreiheit einzuschränken. Der Kampf zum Schutz der Schechita in Europa steht deshalb für die jüdische Gemeinschaft ebenso ganz oben auf der Agenda, wie der Kampf gegen Versuche von vermeintlichen „Kinderschützern“, die in Deutschland vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Beschneidung auszuhebeln.

Wir sagen hier als Zentralrat der Juden in Deutschland unmissverständlich: Wer – wie Rechtspopulisten und Antisemiten jeglicher Couleur es derzeit tun - seine Axt an die demokratischen Fundamente unserer Gesellschaft im Allgemeinen oder die Religionsfreiheit im Besonderen legt, der will jüdisches Leben in Deutschland und Europa unmöglich machen und muss daher mit unserem entschiedensten Widerstand rechnen. Die fundamentalen Traditionen des Judentums sind für uns schlicht nicht verhandelbar.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir in diesem Kampf viele Unterstützer haben. Und ich möchte die Gelegenheit nutzen und ausdrücklich jenen aus Politik und Gesellschaft Dank sagen, die nicht nur in diesem Kampf, sondern auch bei der Förderung jüdischen Lebens generell, unverbrüchlich an der Seite der jüdischen Gemeinschaft standen und stehen. Ihnen allen an dieser Stelle unser herzlicher Dank!

Meine Damen und Herren, dies ist heute ein Tag der Freude und des Glücks. Ein Tag, der uns alle als jüdische Gemeinschaft wieder ein wenig stärker und stolzer macht. Und wir dürfen uns heute mit Recht auch einmal ein wenig selbst feiern.
Vor allem aber feiern wir heute die künftige Rabbinerin! Deshalb gehen meine herzlichsten Glückwünsche abschließend noch einmal ausdrücklich an Sie, Frau Nitzan Stein Kokin.

Für die vor Ihnen liegenden Aufgaben wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie von Herzen Mazal tov, Hazlacha und Bracha.

Jetzt heißt es für Sie: Ärmel hochkrempeln und zur Tat schreiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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