Nahum Goldmann Fellowship



Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, beim Empfang der Teilnehmer des Nahum Goldmann Fellowship in der Jüdischen Gemeinde Hannover, 9. August 2018, Hannover

Fotos: Anne Gonschorek

Anrede,

 

Ich freue mich, dass das Nahum Goldmann Fellowship zum ersten Mal in Deutschland stattfindet! Und noch dazu zu seinem 30. Jubiläum! Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der ganzen Welt sowie den Referenten und dem Vorstand der Memorial Foundation for Jewish Culture ein herzliches Willkommen!

 

Michael Fürst war es, der dieses einzigartige Programm nach Deutschland gebracht hat. Lieber Herr Fürst, Sie haben viel Energie und Überzeugungsarbeit geleistet, um das Fellowship hierher zu holen. Vielen Dank! Herausgekommen ist ein beeindruckendes und vielfältiges Programm, das sich mit Erinnerung, jüdischer Kultur und Identität beschäftigt. Ein Programm, bei dem aber auch Begegnungen und Exkursionen in Niedersachsen nicht zu kurz kommen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir über Judentum und jüdisches Leben sprechen, dann sprechen wir auch über jüdische Identität. Ich möchte den ehemaligen Oberrabbiner von Großbritannien zitieren, Rabbiner Lord Jonathan Sacks. Er stellt in seinem Buch „Radical then, Radical now“ fest: „Jüdische Identität... ist nicht nur Glaube, sondern Schicksal. Sie ist nicht eine Identität, die wir annehmen, sondern eine Identität, in die wir hineingeboren werden.“

 

Daher möchte ich heute einige Gedanken zu jüdischer Identität mit Ihnen teilen.

 

Jüdische Identität wird zunächst durch das Elternhaus geprägt. Dort kommt ein jüdisches Kind mit jüdischer Religion, Geschichte, Tradition und Kultur in Berührung. Auch die jüdischen Gemeinden mit ihren Synagogen, jüdische Kindergärten, Schulen und Jugendzentren unterstützen junge Juden, ihre Identität auszubilden. Der Zentralrat der Juden bietet eine Vielzahl von Programmen, um die jüdische Identität zu stärken. Einmal im Jahr veranstalten wir beispielsweise den größten jüdischen Tanz- und Gesangswettbewerb in Europa, die Jewrovision. Jedes Jahr nehmen rund 1.200 jüdische Jugendliche aus ganz Deutschland an diesem Event teil. Solche Veranstaltungen bringen nicht nur junge Jüdinnen und Juden zusammen, sie bestärken sie auch in ihrer jüdischen Identität.

 

Leider werden auch Traumata über Generationen vererbt, wie wir nach dem Zivilisationsbruch der Schoa schmerzlich erfahren mussten. Selbst die zweite und dritte Generation nach der Schoa wurde durch die Erlebnisse ihrer Eltern und Großeltern geprägt. Die Schoa und die Erinnerung an unsere sechs Millionen ermordeten Brüder und Schwestern ist fester Bestandteil der jüdischen Identität. Daraus speist sich auch der Wille der jüdischen Gemeinschaft, sich gegen jegliche Form von Menschenhass und Diskriminierung einzusetzen. Dies gilt insbesondere in der heutigen Zeit, in der das gesellschaftliche Klima nicht nur in Deutschland deutlich kälter geworden ist. In den vergangenen Wochen wurde eine Vielzahl antisemitischer Übergriffe bekannt. Dieser Verrohung der Gesellschaft, die sich auch in einer Verrohung der Sprache zeigt, müssen wir mit vereinten Kräften entgegenwirken. Auch dies, das Einstehen für einander, das jüdische Gebot der Nächstenliebe und das Gebot der „Reparatur der Welt“, auf Hebräisch „Tikkun Olam“, sind Teil der jüdischen Identität.

 

Denn bereits im Babylonischen Talmud heißt es: „Jeder einzelne soll sich sagen: Für mich ist die Welt geschaffen, darum bin ich mitverantwortlich.“

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein weiterer wichtiger Aspekt der jüdischen Identität ist die Beziehung zu Israel. Denn Israel ist die Erfüllung eines lang ersehnten Traumes nach einer Heimstätte für alle Juden weltweit. Israel ist das Land, in dem unsere Vorfahren lebten und in dem sich unsere religiösen Stätten befinden. Israel ist unsere Lebensversicherung. Hätte es den jüdischen Staat vor 80 Jahren gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, zu dem es gekommen ist. Daher werden wir nicht schweigen, wenn das Existenzrecht Israels in Frage gestellt oder die Vernichtung Israels propagiert wird.

 

Auch der Namensgeber dieses Fellowships, Nahum Goldmann sel. A., war ein leidenschaftlicher Zionist, der sich Zeit seines Lebens für Israel einsetzte. Ein nach seinem Tod veröffentlichter Sammelband über sein Wirken trägt den Titel „Ein Staatsmann ohne Staat“. Das war Nahum Goldmann wahrhaftig: Stets dem jüdischen Staat verbunden – auch wenn er sich Zeit seines Lebens nie gänzlich in Israel niederließ. Denn als Gründer und Präsident des Jüdischen Weltkongresses war Nahum Goldmann der gesamten jüdischen Gemeinschaft weltweit verpflichtet. Seine letzte Ruhestätte fand Nahum Goldmann auf dem Herzlberg in Jerusalem. Seine Verbundenheit mit dem jüdischen Staat ist auch heute noch Sinnbild für das Verhältnis der jüdischen Diaspora zu Israel.

 

Liebe Fellows, ich hoffe, dass Sie bisher viele Eindrücke von Deutschland und jüdischem Leben hierzulande sammeln konnten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in den kommenden Tagen noch viele interessante Einblicke erhalten werden und in Ihrer jüdischen Identität gestärkt nach Hause reisen. Und wenn Sie sich dann weiterhin und verstärkt für die jüdische Gemeinschaft einsetzen, ganz wie Nahum Goldmann, dann können wir weiterhin optimistisch in die Zukunft blicken.

 9. August 2018, Hannover

 

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