Fröhliches Beisammensein gehört zum jüdischen Alltag



Beim Thema Judentum haben viele Menschen in Deutschland die gleichen Assoziationen: Sie denken entweder an einen frommen Juden mit Schläfenlocken und Hut vor der Klagemauer in Jerusalem oder an den Holocaust bzw. wie wir Juden sagen: an die Schoa

Beide Assoziationen sind natürlich nicht falsch. Doch das Judentum umfasst sehr viel mehr als frommes Beten und Gedenken. Zum Beispiel haben wir gerade das fröhlichste Fest im jüdischen Kalender begangen: Purim. Gestern wurde in den jüdischen Gemeinden und Familien kräftig gefeiert. Die Kinder haben sich verkleidet. Es wurde gut gegessen und getrunken.

Es gibt übers Jahr immer wieder Anlässe, zu denen wir in großer und froher Runde zusammenkommen. Dazu zählen wichtige religiöse Feiern wie etwa eine Bar Mitzwa, vergleichbar mit der Konfirmation oder Firmung. Aber auch an einem ganz normalen Schabbat trifft sich die Gemeinde nach dem G‘ttesdienst am Freitagabend zum gemeinsamen Abendessen. Auch Juden, die nicht regelmäßig in die Synagoge gehen, lassen das gemeinsame Essen in der Familie oder mit Freunden zum Beginn des Schabbats nicht aus. Es sind gesellige Abende, die auch säkulare Juden genießen.

Vor dem Krieg war dieser Teil des jüdischen Alltagslebens in Deutschland sehr viel präsenter als heute. Durch die Schoa werden Juden jedoch auch 70 Jahre nach Kriegsende von vielen Menschen ausschließlich als Opfer-Gruppe wahrgenommen.

Die Schulen tragen daran ihren Anteil. Sie haben die Aufgabe, die deutsche Geschichte zu vermitteln. Dazu zählen, was das Judentum betrifft, Pogrome im Mittelalter und die Schoa. Leider bleibt es oft bei diesen Themen. Wie das Judentum die deutsche Kultur geprägt hat, wie der Alltag einer religiösen jüdischen Familie im Mittelalter aussah oder heute aussieht – diese Aspekte kommen häufig zu kurz.

Dies soll keine Schuldzuweisung sein. Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, in der knapp bemessenen Zeit im Schuljahr ein umfassendes Bild des Judentums weiterzugeben.

Mir liegt es aber sehr am Herzen, dass diese Seiten des Judentums in unserer Gesellschaft ebenfalls wahrgenommen werden. Das jüdische Alltagsleben, wie es vor dem Krieg existierte, wurde durch die Schoa unwiederbringlich zerstört. Doch wir knüpfen in unseren Gemeinden und in vielen jüdischen Organisationen daran wieder an. Sichtbar wird diese Entwicklung etwa an jüdischen Schulen, die eröffnet werden. Gebet, Gedenken an die Verstorbenen, Erinnerung – das spielt in allen monotheistischen Religionen eine wichtige Rolle. Die Freude am Leben aber ebenso – ob im Christentum, im Islam oder eben im Judentum.

 

Main-Post, Würzburg vom 02.03.2018

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