Feierliches Gelöbnis von Rekruten des Wachbataillons BMVg, Berlin



Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. h.c. Paul Spiegel

Der heutige Tag ist nicht nur für Sie, die jungen Soldaten, die heute vereidigt werden, ein besonderer Tag, sondern auch für mich: Es ist das erste Mal, dass ich aktiv an einer Gelöbnisfeier der Bundeswehr teilnehme. Darüber hinaus hält zum ersten Mal in der ja noch jungen Geschichte der Bundesrepublik ein Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland die Ansprache bei dieser feierlichen Zeremonie.

Als ich in Ihrem Alter – also 18 Jahre alt – war, hatte der Deutsche Bundestag den Aufbau der Bundeswehr beschlossen. „Bundeswehr - besser nicht!“ Das war im Jahr 1955 meine Meinung. Und ich war nicht der Einzige, der damals so dachte.

Ich kann mich noch gut an die Debatten in unseren jüdischen Gemeinden erinnern, als es um die Wiederbewaffnung ging. Gerade einmal 10 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges - und schon wieder sollte es Deutsche in Uniform geben -das war für uns schlicht unvorstellbar. An deutschen Uniformen hafteten einfach zu viele schreckliche Erinnerungen, Erinnerungen an Krieg und Verfolgung, Flucht und Deportation, Folter und Mord. Die grauen Uniformen der Wehrmacht waren für uns Juden und für Millionen anderer Menschen zu Uniformen des Grauens geworden.

Ich will hier und heute nicht näher auf die Debatte zur Wehrmacht-Ausstellung eingehen. Auch hier müssen wir, um der Wahrheit und der Menschen willen, genau und unvoreingenommen hinsehen. Unbestritten ist die Tatsache, dass die Vernichtungsmaschinerie der Nazis den deutschen Wehrmachtstruppen folgte. Denn:

- Ohne die Besetzung Polens hätte es nicht Auschwitz und Treblinka gegeben.
- Ohne die militärische Unterwerfung Europas wäre die Shoa, der millionenfache Mord und die Vernichtung des europäischen Judentums, überhaupt nicht möglich gewesen.
- Und es ist kein Zufall, dass die Befreiung der Konzentrationslager erst mit der militärischen Niederlage der Wehrmacht kam.

Für uns war der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung. So lange der 8. Mai 1945 in der Erinnerung von nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes als Niederlage und nicht als Befreiung von der Tyrannei des Nazi-Terrorregimes begriffen wird, so lange sind die Lehren und Erfahrungen aus der schwärzesten Zeit Deutschlands im 20. Jahrhundert nicht begriffen worden.

Am 8. Mai 1945 war die Befreiung von Terror, Verfolgung und Diktatur und zugleich die Geburt eines freiheitlich demokratischen Deutschlands. Die deutsche Bundeswehr ist aus diesem befreiten Staat geboren worden. Die Fundamente dieser Bundesrepublik Deutschland und dieser Bundeswehr sind begründet aus den Lehren und Erfahrungen, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes, unserer Verfassung, gezogen haben. Dies wach zu halten und damit zum Maßstab auch für die Zukunft zu machen, dies muss unser aller und damit Ihr Vermächtnis und Ihre Verpflichtung sein.

Inzwischen hat sich meine frühere Haltung grundlegend geändert. Die Bundeswehr hat in den fast fünf Jahrzehnten ihres Bestehens bewiesen, dass sie weder ein Staat im Staat noch eine Fortsetzung des alten deutschen Militarismus mit anderen Mitteln ist. Vielmehr ist sie Teil unserer rechtstaatlichen Demokratie. Sie ist Partner in einem Bündnis, das nun schon seit Jahrzehnten erfolgreich den Frieden sichert. Dafür bin ich als Bürger dieses Staates dankbar. Deshalb hat mir Ihre Einladung, Herr Minister Scharping, auch keine Kopfschmerzen bereitet. Und ich bin gerne zu dieser feierlichen Zeremonie gekommen.

Ich denke, meine frühere Skepsis ist auch deshalb einem großen Vertrauen gewichen, weil sich die Bundeswehr immer wieder sehr ernsthaft damit beschäftigt hat, über welche Traditionen sie sich selber definieren sollte. Dass es nach 1945 auch nicht mehr möglich war, einfach an die soldatisch-militärischen - und leider viel zu oft militaristischen - Traditionen in Preußen und in Deutschland vor 1933 anzuknüpfen, hat man gesehen und ernst genommen.

Einer der wichtigsten Traditionslinien der heutigen Bundeswehr führt zum 20. Juli 1944 zurück. Es ist ja kein Zufall, dass wir heute hier im Bendler-Block zusammengekommen sind, in dem Oberst Stauffenberg und andere geplant hatten, die Diktatur zu beseitigen - und von dem sie wenige Schritte entfernt erschossen wurden.

Liebe Rekruten, der 20. Juli war und ist ein besonderer Tag für unser Land und die Bundeswehr -und in Zukunft hoffentlich auch für Sie. Denn der 20. Juli ist Symbol für den gesamten deutschen Widerstand, er ist ein Tag sowohl des Scheiterns wie auch der Hoffnung, und nicht zuletzt ist er ein Tag der Mahnung und der Ermutigung. Allerdings: Wäre dieser aktive Widerstand nicht erst 1944, sondern bereits Anfang der Vierziger Jahre erfolgt, hätte ohne Zweifel das Leben von Millionen Menschen gerettet werden können.

Zum aktiven Widerstand gehörten Linke und Liberale, Fortschrittliche und Konservative, Unternehmer und Gewerkschafter, Diplomaten und Generale aber auch einfache Soldaten. Mit ihrem mutigen Einsatz haben sie Menschenleben gerettet - und in den meisten Fällen für ihre Menschlichkeit mit dem Tod bezahlt. Widerstand gegen eine Diktatur ist gefährlich und scheitert vielfach. Die Freiheitskämpfer zahlen oft mit ihrem Leben. Dennoch ist dieser Widerstand notwendig und sinnvoll. Er ist der Ansatzpunkt des Anstands und der Menschenwürde. Daraus folgen Freiheit und Demokratie. Diese wollten auch die jungen Menschen, die unter dem Namen „Weiße Rose“ mit ihrem „Aufschrei des Gewissens“ im Sommer des Jahres 1942 in ihren Flugblättern zum passiven Widerstand aufgerufen haben. „Nieder mit Hitler – Freiheit“ lautete ihre Parole, dafür haben auch sie mit ihrem Leben bezahlt.

Ein anderer Widerstandskämpfer war Feldwebel Anton Schmid, den der Staat Israel posthum als "Gerechter der Völker“ auszeichnete. Nachdem Anton Schmid im Jahr 1941 mit Mordaktionen an litauischen Juden konfrontiert worden war, brachte er Lebensmittel ins Ghetto von Wilna, stellte Passierscheine aus und rettete insgesamt über 250 Menschen vor dem sicheren Tod, bis er selber verhaftet und umgebracht wurde. Nach ihm wurde kürzlich die Kaserne in Rendsburg benannt. Männer wie Anton Schmid sind die eigentlichen Helden der deutschen Militärgeschichte im vergangenen Jahrhundert. Denn sie wagten alles - um Anderer willen.

Wenn wir heute am Tag des Aufstandes gegen Hitler solcher mutigen Menschen gedenken, dann geht es allerdings nicht um ein Helden-Stück aus vergangenen Tagen, dem man pflichtschuldig seine Reverenz erweisen muss, um dann wieder rasch zur Tagesordnung überzugehen. Die Männer und Frauen des Widerstandes waren vor allem Menschen,

  • die sich nicht mit den Verbrechen der Nazis abfinden wollten,
  • die Wegschauen nicht zu einer grundsätzlichen Lebenseinstellung machten wie so viele damals und
  • die ihr Gewissen nicht betäubten, um -im wahrsten Sinne des Wortes - dann über Leichen zu gehen.

Sie waren Menschen mit Mut und Zivilcourage, bereit, alles zu wagen und auch einem übermächtigen Bösen zu trotzen. Deshalb gehören sie nicht nur zur Vergangenheit Deutschlands sondern auch zu unserer Zukunft.

In einer Diktatur gehören Mut und Zivilcourage zu den wichtigsten - und rarsten ­Gütern. Zivilcourage ist aber nicht nur in einem Unrechtstaat bitter nötig ­Zivilcourage brauchen wir auch heute noch. Zivilcourage ist ein wesentlicher Pfeiler der Demokratie. Auch im Jahr 2001 gehört Zivilcourage zu den wichtigsten Überlebens-Mitteln für unsere Gesellschaft.

Heute steht unser Land vor Herausforderungen - und eine der größten kommt wieder von rechts. In den ersten Jahrzehnten nach 1945 hielten ich und andere es schlicht für undenkbar, dass noch einmal Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland Wurzeln schlagen könnten. Zu schrecklich waren die Bilder des Nazi­Terrors, zu eindeutig die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, zu unmissverständlich das Urteil der Geschichte, um noch einmal in Versuchung zu geraten. Davon waren wir überzeugt. Aber es war eine Illusion.

Wenn heute wieder Gedenkstätten besudelt und Brandsätze gegen Synagogen geschleudert werden, wenn wieder Morddrohungen gegen Andersdenkende ausgestoßen und regelrechte Hetzjagden auf Ausländer veranstaltet werden, dann sind das ja leider keine Einzelfälle mehr. Fremdenhass, Rassismus, Antisemitismus sind längst Teil einer bedrückenden Realität in Deutschland geworden - und das nun schon seit Jahr und Tag. Inzwischen scheint der Rechtsextremismus sogar eine neue Qualität gewonnen zu haben: Was früher meist nur klamm-heimlich geschehen ist, passiert jetzt zunehmend am helllichten Tag, öffentlich, unverschämt, provokativ.

Natürlich ist hier der Staat gefordert. Nicht nur mit dem Verbotsantrag gegen die NPD und dem Aussteigerprogramm für Rechtsradikale hat er inzwischen deutliche Zeichen gesetzt. Gefordert ist aber nicht nur die Politik sondern jeder von uns. Wer wieder wegschaut, wer wieder verharmlost oder meint, all das gehe ihn nichts an, macht sich schuldig -in unserer Gesellschaft und auch in der Bundeswehr, in der es ja in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von rechtsextremistischen Vorkommnissen gegeben hat. Dass die Bundeswehr nicht frei davon ist, wird niemanden verwundern: Denn die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft und spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse wider - mit all ihren Spannungen und Widersprüchen, Problemen und Gefährdungen.

Gott sei Dank nimmt die Bundeswehr-Führung die hier liegenden Herausforderungen sehr ernst und hat inzwischen eine ganze Menge unternommen, um dem Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit in der Truppe den Boden zu entziehen und die Integration von Soldaten ausländischer Herkunft zu erleichtern und zu beschleunigen. Immerhin tun heute viele Soldaten ihren Dienst in der Bundeswehr, die selber oder deren Eltern nicht in Deutschland aufgewachsen sind und aus über 80 Nationen stammen!

Vor allem überlässt die Bundeswehr zum Beispiel die mühevolle Aufgabe der Aufklärung nicht nur den Anderen. Ich will hier nur an den Viktor Klemperer-Preis erinnern, an dem - auf Anregung des Verteidigungsministers -auch junge Soldaten teilnehmen konnten. Ich war überrascht, wie groß die Resonanz gewesen ist. Dies zeigt, wie sehr man sich auch in der Bundeswehr mit dem Thema „Holocaust“ beschäftigt.

Bei der Lektüre der bewegenden Tagebücher von Viktor Klemperer wird die große, brutale Weltgeschichte plötzlich unerwartet greifbar. Hier verdichten sich mit einem Mal politische Begriffe und nackte Zahlen von Verfolgten und Opfern zu einem einzelnen, ganz persönlichen Schicksal, das uns berührt.

Bei einem Ereignis wie dem heutigen möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass im Ersten Weltkrieg 100 000 jüdische Männer aus Liebe zu ihrem deutschen Vaterland ebenso wie ihre nichtjüdischen Kameraden zu den Waffen geeilt sind. Mehr als 10 000 Juden sind gefallen, Tausende jüdische Soldaten sind hoch dekoriert worden. Aber der bedingungslose Einsatz für ihr deutsches Vaterland hat ihnen nichts genutzt, die meisten von ihnen wurden wenige Jahre später von NS-Barbaren verfolgt, gefoltert und auf bestialische Weise umgebracht.

Ich denke, auch die Geschichte des 20. Juli lässt uns nicht kalt, mich nicht und nicht Sie, die jungen Soldaten, die heute vereidigt werden. Hier werden der Widerstand gegen ein unmenschliches Regime, der Kampf um Wahrheit und Menschlichkeit sehr konkret, tragen Namen, haben Gesichter.

Diese Namen und Gesichter helfen uns, besser zu verstehen, was es heißt, wenn die Verantwortung als Mensch an die Stelle des blinden Gehorsams tritt. Was es heißt, für Recht und Freiheit, Demokratie und Menschenwürde einzutreten und sie, wenn nötig, tapfer zu verteidigen. Und sie machen uns Mut: Denn man muss sich nicht mit dem Bösen, mit Brutalität und Gewalt abfinden. Erst recht nicht in einer funktionierenden Demokratie wie unserer.

Das fängt manchmal im Kleinen an, z. B. bei dummen ausländerfeindlichen Bemerkungen. Dann ist zumeist kein großes Heldentum gefragt, sondern einfach ein Quentchen Zivilcourage, ohne das Freiheit und Demokratie langsam vertrocknen und die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.

Liebe Rekruten, mit Ihrem Gelöbnis erklären Sie Ihre Bereitschaft, für die Demokratie einzustehen und Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Dafür will ich Ihnen ganz herzlich danken. Denn Verantwortung zu übernehmen, ist heute in unserer Spaßgesellschaft keine Selbstverständlichkeit. Die Erinnerung an den 20. Juli unterstreicht, worauf es dabei ankommt.

In diesem Sinne ist dieser Tag nicht nur Mahnung und Ermutigung sondern auch konkrete Orientierungshilfe für die Zukunft. Dass Sie, liebe Rekruten, diese Orientierungshilfe bei Ihrem Dienst in der Bundeswehr und auch später aktiv nutzen, wünsche ich Ihnen und uns allen.

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