Ehrung der Veteranen



Grußwort des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mark Dainow, bei der Veranstaltung zur Ehrung der Veteranen anlässlich des 75. Jahrestags des Kriegsendes, 23.6.2020, Bad Kissingen

Liebe Freundinnen und Freunde, eigentlich hätte ich Sie gerne vor rund sieben Wochen begrüßt!
Und zwar nicht hier in Bad Kissingen, sondern in Berlin. Denn zum Tag des Sieges wollten wir Sie in diesem Jahr besonders ehren. Ist es doch jetzt 75 Jahre her, dass Deutschland, dass Europa, dass die Welt vom Joch des Nationalsozialismus befreit wurde. Es waren Soldaten und Soldatinnen wie Sie, die für diese Befreiung gekämpft haben. Und Millionen von Menschen haben dafür mit dem Leben bezahlt. Doch wie wir alle wissen, machte die Corona-Pandemie ein Zusammenkommen in Berlin unmöglich. Das bedauere ich noch heute. Umso mehr freut es mich, dass wir Sie jetzt wenigstens in einem kleineren Rahmen dennoch einladen konnten und dass wir uns heute hier wiedersehen! Über die Corona-Krise ist viel geredet und geschrieben worden. Es war viel von Belastungen die Rede: Kinder konnten für rund zwei Monate die Schule nicht besuchen, viele Läden waren geschlossen, in den Supermärkten fehlten Toilettenpapier und Mehl. Ja, auch und gerade für uns Ältere wurde einiges beschwerlicher. Manchen Arztbesuch haben wir vermieden aus Angst, uns mit Corona anzustecken. Den Gang zum Supermarkt haben wir ebenfalls nicht mehr gewagt. Unsere Enkel kamen nicht mehr zu Besuch. Doch etwas fiel mir auf: Viele jüngere Menschen haben deutlich mehr gejammert als wir Älteren. Ihr Leben für eine Zeit lang einzuschränken, erschien ihnen enorm belastend. Menschen wie Sie hingegen wissen, was wirklich Belastungen sind. Sie wissen, was Entbehrung bedeutet. Sie wissen sogar, was es heißt, sich in Lebensgefahr zu befinden.  Wer den Krieg mitgemacht hat, wer Familienmitglieder verloren hat, wer gar in Leningrad die Blockade überlebt hat – der jammert nicht, weil im Supermarkt Klopapier fehlt. Sie alle hier mussten Erlebnisse verarbeiten, die sich in einer ganz anderen Dimension bewegten, als die Corona-Auflagen der zurückliegenden Wochen. Auf viele dieser Erlebnisse kann ein Mensch gut verzichten. Zugleich sind Sie dadurch sehr stark geworden. Und Sie haben sich vom Krieg und von der Schoa nicht den Lebensmut nehmen lassen, sondern danach Familien gegründet und zum Aufbau Ihrer Länder beigetragen. Mit Recht können Sie heute voller Stolz auf Ihr Leben zurückblicken! Sie sind Vorbilder für die jungen Menschen heute, von denen die meisten nur ein Leben in Frieden und Sicherheit kennen.Vor allem, meine lieben Freundinnen und Freunde, sind Sie Vorbilder in Ihrer Haltung gegenüber dem ehemaligen Feind. Denn nicht von Hass, sondern von Toleranz ist Ihr Leben geprägt. Sie haben den Deutschen die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Ihre Kinder und Enkel haben in diesem Land ihr Zuhause gefunden. Heute, da es den Menschen in Deutschland eigentlich so gut geht, treffen wir leider allerorten auf Hass und Intoleranz. Auch der Antisemitismus wächst, obwohl die Zahl der Juden in Deutschland zurückgeht.Im vergangenen Jahr an Jom Kippur wollte ein Mann ein Blutbad in der Synagoge in Halle anrichten. Nur durch ein Wunder ist er an der Tür der Synagoge gescheitert. Anfang dieses Jahres ist ein Mann in Bars in Hanau gestürmt und hat Menschen ermordet, die er als Ausländer wahrgenommen hat. Und immer wieder begegnet uns der Hass im Alltag. In abfälligen Blicken und Sprüchen, in Hass-Briefen und in Tausenden von gehässigen Kommentaren im Internet. Manchmal frage ich mich: Was ist los in Deutschland? In Europa? In der Welt? Jeder Einzelne von uns kann dieser Entwicklung nur wenig entgegensetzen. Doch das Wenige, was wir tun können, sollten wir auch tun. Am Beispiel Ihres Lebens können Sie jungen Menschen so eindrücklich zeigen, wohin Hass führt und was Versöhnung bedeutet. Daher bitte ich Sie: Erzählen Sie jungen Menschen Ihre Geschichten! Schreiben Sie sie auf!  Sie haben in Abgründe geblickt. Sie haben erlebt, wozu Menschen im Schlechtesten und im Besten fähig sind. Ihre Erinnerungen sind ein kostbarer Schatz, den wir bewahren sollten! Nun möchte ich Ihre Geduld nicht länger strapazieren und zum Schluss kommen.Am Ende ist mir eines am wichtigsten: Ihnen zu danken! Die jüdische Gemeinschaft, ja, ganz Deutschland ist Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet! Sie haben alles riskiert, um Deutschland zu befreien und Ihre Heimat zu verteidigen! Ich hoffe, dass Sie den heutigen Festtag genießen können und wünsche Ihnen und Ihren Familien Gesundheit und alles erdenklich Gute!

 

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