Die Gefühlskälte des IOC ist unangemessen



Von Dieter Graumann | Welt Online, 23.05.2012

Vierzig Jahre nach der Ermordung israelischer Sportler bei den olympischen Sommerspielen in München verweigert das IOC eine Gedenkminute. Doch damit entzieht sich das Komitee seiner Verantwortung.

Nur eine einzige Minute Stille für vierzig Jahre Trauer – ist das zu viel verlangt? Wenn es nach dem Internationalen Olympischen Komitee geht, anscheinend ja. Eine Petition für eine Schweigeminute anlässlich des 40. Jahrestags der Ermordung der israelischen Sportler ist nun vom IOC gefühlskalt abgelehnt worden.

Wieso fällt es so schwer, dem tragischsten Moment der Olympia-Geschichte einen würdigen Platz zu verleihen? Es wird hoffentlich nicht daran liegen, dass dem IOC inzwischen so viele arabische und muslimische Länder angehören und deshalb das IOC in vorauseilender Feigheit sogar davor zurückschreckt, Trauer zu zeigen.

Eine Sprecherin des IOC begründete die Ablehnung der Trauerminute auch damit, dass das IOC bei einer Gedenkzeremonie anwesend sein werde, die freilich die Israelis schon selbst veranstalten müssten. Die Israelis sollen also um ihre Opfer trauern, eventuell erweist dann das IOC einer solchen internen Trauerarbeit die Gnade einer symbolischen Präsenz. Diese Kälte ist nicht nur unsportlich – sie ist einfach unmenschlich.

Ein Angriff auf uns alle
Der Angriff auf die israelischen Sportler war ein Angriff auf uns alle, auf die Werte unserer freien Gesellschaft. Der eisige Umgang mit dem Olympia-Anschlag gehört leider inzwischen schon fast zur Tradition des IOC. Federführend war hier der 1972 amtierende IOC-Präsident Avery Brundage. "The games must go on", verkündete der Mann schnell, der schon bei den Olympischen Spielen von 1936 in München, von den Nazis als Propaganda für den Faschismus missbraucht, eine judenfeindliche Rolle gespielt hatte.

Hat das IOC unter diesen Umständen nicht allen Grund, einen Mentalitätswechsel glaubhaft zu machen? Während damals die jüdischen Sportler ihre letzte Heimreise antraten und ein ganzes Land weinte – ich selbst auch –, wurden lakonisch Sportler zu Siegern gekürt, weil ihr israelischer Kontrahent nicht antrat, genauer: wegen Ermordung nicht präsent sein konnte.

Mehr Engagement wagen
Besonders der Deutsche Olympische Sportbund sollte jetzt mehr Engagement wagen. Denn vergessen haben wir nicht: Das damalige deutsche NOK wurde der großen Aufgabe, die angemessene und sensible Empathie zu zeigen, nur höchst unzureichend gerecht.

Es geht um Respekt. Um Würdigung und um das Zeichen "Wir haben euch nicht vergessen". Im olympischen Feuer werde ich selbst jedenfalls immer zuerst die ewige Flamme des Gedenkens an jene Sportler sehen, die brutal in Deutschland ermordet wurden, nur weil sie Juden waren. Und ich werde immer den Schmerz mitfühlen, der in ihren Familien niemals vergehen wird. 40 Jahre Trauer, eine Minute Stille – ist denn das wirklich zu viel verlangt?

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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