Anrede,
Die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sollte eigentlich vor mehr als einem Jahr stattfinden. Durch die Corona-bedingte Verschiebung erhalten Sie diese Ehrung jetzt zum Ende Ihrer Amtszeit. Dennoch empfinde ich das als einen guten Zeitpunkt, weil es Ihre gesamte Amtszeit in dieser Hinsicht zu würdigen gilt, nämlich Ihre Verdienste um den christlich-jüdischen Dialog.
Es ist für mich eine Ehre, die Laudatio halten zu dürfen. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich!
Vor allem aber möchte ich Ihnen, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, herzlich zu dieser Auszeichnung gratulieren! Ich denke, in diesem Fall schmückt die Preisträgerin den Preis, nicht umgekehrt.
Lassen Sie mich zum Einstieg ein paar Sätze von Rabbiner Leo Baeck wiedergeben. In einem Vortrag im Jahr 1956 äußerte er sich zum Dialog zwischen den drei monotheistischen Religionen. Leo Baeck sprach sich gegen eine Gleichmacherei aus, forderte aber gegenseitigen Respekt. Und er erklärte:
„Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiter leben, aber sie werden wissen, daß sie zusammen gehören, Teile der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehend und einander verstehend, und, wenn es Not tut, einander helfend.“
Meine Damen und Herren,
in diesen Tagen, in denen einerseits in den Hochwassergebieten eine beeindruckende Solidarität der Bürger zu beobachten ist, andererseits in Berlin die Polizei mit illegalen Demonstrationen von Corona-Leugnern kämpfen muss, berühren mich diese Worte auf besondere Weise. Ich frage mich: Sind wir inzwischen weiter auf dem Weg der Verständigung als damals?
Und weil diese Frage im Raum steht, ist es genau der richtige Zeitpunkt, unsere Bundeskanzlerin dafür zu würdigen, wie sie sich über all die Jahre ihres politischen Wirkens für das Miteinander der Religionen und für Israel eingesetzt hat und aus der historischen Verantwortung Deutschlands heraus gehandelt hat!
Was Sie, sehr geehrte Frau Merkel, besonders auszeichnet, ist Ihre Standfestigkeit.
Ihre Solidarität mit Israel,
Ihr Eintreten für die Religionsfreiheit,
Ihr Engagement gegen Antisemitismus -
all das ist bei Ihnen nicht abhängig von politischen Stimmungslagen, sondern es geschieht aus Überzeugung. Und an diesen Überzeugungen halten Sie auch fest, wenn es gerade nicht populär ist, wenn Sie dafür heftig kritisiert werden oder wenn es Rückschläge zu verzeichnen gibt.
In Zeiten, in denen politischer Populismus leider häufig mit vielen Wählerstimmen belohnt wird, ist diese Standfestigkeit höher zu schätzen denn je.
An ein paar Kristallisationspunkte Ihrer Kanzlerschaft möchte ich heute erinnern. Es sind Ereignisse, die vor allem in der jüdischen Gemeinschaft bis heute wertgeschätzt werden.
Unvergessen ist Ihre Rede in der Knesset. 2008 sagten Sie im israelischen Parlament:
"Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Das Schlüsselwort in diesem Zitat ist aus meiner Sicht: niemals.
Sie sagten, die Sicherheit Israels sei niemals verhandelbar. Das bedeutet, dass sie auch für kommende Generationen nicht verhandelbar ist.
Dieses Verantwortungsbewusstsein für Israel, resultierend aus der deutschen Geschichte, muss auch dann noch Bestand haben, wenn längst andere Generationen die politische Verantwortung im Land übernommen haben!
Ihr historisches Verantwortungsbewusstsein war ebenfalls zu spüren, als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 die Ratsversammlung des Zentralrats der Juden in Frankfurt besuchte. Sie erhielt Standing Ovations. Denn uns Delegierten aus den jüdischen Gemeinden und Landesverbänden war völlig klar: Ohne diese Bundeskanzlerin wäre es nicht dazu gekommen, dass der Bundestag mit großer Mehrheit das Beschneidungsgesetz verabschiedet hätte.
Nach dem unseligen Urteil des Landgerichts Köln hatte sich mein Amtsvorgänger Dieter Graumann sehr schnell mit der Bundeskanzlerin in Verbindung gesetzt. Denn wenn es geltendes Recht geworden wäre, dass die Beschneidung als Körperverletzung eingestuft und daher verboten worden wäre, dann wäre jüdisches Leben in Deutschland unmöglich geworden.
Doch selbst eine Angela Merkel hätte das Beschneidungsgesetz nicht alleine durchsetzen können. Ganz entscheidend war nach dem Urteilsspruch die Haltung der beiden christlichen Kirchen. Sie stellten sich sofort an die Seite der jüdischen Gemeinschaft, und damit, im Übrigen, auch natürlich an die Seite der Muslime.
Neben der interreligiösen Verständigung war und ist der Bundeskanzlerin die Bekämpfung des Antisemitismus besonders wichtig. Daher hatte sie auch ein offenes Ohr, als wir ihr vorschlugen, nach der Bundestagswahl 2017 einen Antisemitismus-Beauftragten zu berufen. Denn der Kanzlerin war klar, dass es weiterer Anstrengungen bedarf, um den Antisemitismus zurückzudrängen.
Es ist ein deutlicher Fortschritt, dass wir mit Felix Klein einen engagierten Beauftragten für das jüdische Leben und den Kampf gegen Antisemitismus auf Bundesebene haben und dass in den Bundesländern ebenfalls Beauftragte berufen wurden. Sie gehen nicht nur praktische Maßnahmen an, sondern sie sensibilisieren die Bürger für das Thema.
Abschließend möchte ich noch den Besuch der Kanzlerin in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau im Dezember 2019 erwähnen. Sie fanden dort sehr eindringliche Worte, die ich noch einmal wiedergeben möchte:
„(…) Wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. (…) Gerade Auschwitz mahnt und verpflichtet jeden Einzelnen von uns, täglich wachsam zu sein, Menschlichkeit zu bewahren und die Würde unseres Nächsten zu schützen.“
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
für uns, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, bedeutet es sehr viel, dass Sie Auschwitz besucht und dort diese Worte gesprochen haben!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
es sind keine leichte Zeiten. Doch gerade deshalb möchte ich zum Schluss auf eine Eigenschaft von Angela Merkel eingehen, die ich wichtig finde: Das ist ihr Humor.
Sie alle kennen den Spruch: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Das ist, wenn man so will, das Grundprinzip des jüdischen Humors. Es steckt auch eine gute Portion Trotz und Kampfgeist darin.
Und, gestatten Sie mir bitte diese Bemerkung, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich habe den Eindruck, dass Sie, was den Humor angeht, fast ein wenig jüdisch sind.
Ich gratulieren noch einmal ganz herzlich und wünsche Ihnen für den neuen Lebensabschnitt beruflich und persönlich alles Gute!