"Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind eine Erfolgsgeschichte"



Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, beim Israel-Tag im Rahmen der Jüdischen Woche Leipzig, 05.07.2015

Anrede,

die Leipziger Buchmesse hatte in diesem Jahr Israel als Schwerpunktthema. Aus diesem Anlass bin ich von einer Tageszeitung um einen Buchtipp gebeten worden. Nun wäre es nicht schwierig gewesen, einen Roman zu empfehlen, angesichts der Fülle an herausragenden israelischen Schriftstellern. Und sicherlich erwarten dies auch die meisten vom Zentralratspräsidenten. Ich habe mich jedoch bewusst für etwas anderes entschieden: Ich habe ein Kochbuch empfohlen. Das wird Sie jetzt vermutlich etwas verwundern.

Doch ich wollte den Lesern gerne vermitteln: Israel ist viel mehr als der Nahostkonflikt, Israel ist mehr als Politik, mehr als ein Dasein unter manchmal schwierigen Bedingungen. Israel – das ist pralles jüdisches Leben am Mittelmeer. Eine mediterrane Kultur, mit Einflüssen aus vielen, vielen Ländern. Und das spiegelt sich ganz großartig in der Küche Israels wider. Ich wollte sozusagen die Leser auf den Geschmack bringen. Und so neugierig machen, dass sie vielleicht selbst einmal nach Israel reisen.

In diesem Jahr feiern wir das 50-jährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Sie haben dieses Jubiläum 2015 in den Mittelpunkt der Jüdischen Woche Leipzig gestellt, die alle zwei Jahre von der Stadt gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig und der Ephraim-Carlebach-Stiftung veranstaltet wird. Für dieses langjährige Engagement danke ich Ihnen ganz herzlich!

50 Jahre sind eine lange Zeit, doch immer noch ist für viele Deutsche Israel ein unbekanntes Land. Und – leider müssen wir im Jubiläumsjahr feststellen: Israel braucht Bündnispartner, braucht Werbung mehr denn je. Denn die Stimmung gegenüber Israel ist derzeit in Deutschland nicht gut. Erst jüngst hat eine Bertelsmann-Studie zutage gefördert: 48 Prozent haben eine ablehnende Haltung zu Israel. Jeder zweite Deutsche lehnt eine politische Unterstützung Israels im Nahostkonflikt ab. 62 Prozent gaben an, eine schlechte Meinung über die israelische Regierung zu haben. Und nur 40 Prozent waren der Meinung, dass Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk trägt.

Einer einzigen Umfrage sollte man auch nicht zu viel Bedeutung beimessen. Allerdings erscheinen mir die Zahlen durchaus realistisch. Und ich nehme an, lieber Küf Kaufmann, du als Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, wirst ebenfalls Erfahrungen gemacht haben, die diese Zahlen bestätigen.

Wieso konnte sich, um ein Beispiel zu nennen, der Begriff „Israel-Kritik“ einbürgern? Es gibt doch auch keine „Irak-Kritik“ oder „Nordkorea-Kritik“ – Staaten, bei denen ein solcher Begriff eindeutig mehr Berechtigung hätte.

Auch in den Medien wird Israel meistens weitaus kritischer betrachtet als andere Staaten. Israel wird sehr oft als Aggressor, die Palästinenser werden als Opfer dargestellt.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Erst jüngst wurde anlässlich des Besuchs von Außenminister Steinmeier im Gaza-Streifen im ZDF über den schleppenden Wiederaufbau berichtet. Zu sehen waren zerstörte Häuser und Menschen in Armut. Die Botschaft dazu: Israel hat dies alles zerstört, und jetzt hemmt es durch seine Blockadepolitik auch noch den Wiederaufbau.

Nicht erwähnt wurde, dass ein Großteil der Hilfsgelder in den Kanälen der Hamas verschwindet, dass die Hamas mit dem Geld nicht Wohnhäuser wieder aufbaut, sondern neue Tunnel für ihren Terrorkampf. Ebenso wenig wurde der Grund für das Bombardement durch die Israelis dargestellt.

Ein großer öffentlich-rechtlicher Sender wie das ZDF wäre nicht nur in der Lage, differenziert über den Nahostkonflikt zu berichten. Es ist sein Auftrag, dies zu tun. Durch die Einseitigkeit, die wir in vielen Medien finden, beileibe nicht nur im ZDF, wird aber die Stimmung weiter gegen Israel geschürt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Stimmung hat nichts mehr mit einer sachlichen Kritik an Israel zu tun. Denn daran wäre ja gar nichts auszusetzen. Nein, es ist der alte Antisemitismus in neuem Gewand, dem wir begegnen. Israelis, die sich auf Nachfrage als solche zu erkennen geben, werden auf deutschen Straßen angepöbelt und bedroht. Mitglieder unserer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sind mittlerweile daran gewöhnt, dass Juden generell haftbar gemacht werden für – so heißt es dann gerne – das unendliche Leid der Palästinenser unter dem israelischen Besatzungsregime. Sie lebten im Gaza-Streifen wie in einem Ghetto.

Und auf der Facebook-Seite des Zentralrats lesen wir dann: Was Israel mit den Palästinensern macht, ist Völkermord. Und nur am Rande sei erwähnt: Solche Kommentare löschen wir übrigens. Und im vergangenen Sommer während des Gaza-Konflikts mussten wir solche Sätze und noch viel Schlimmere mehrmals täglich löschen.

Vergleiche der israelischen Politik mit der Nazi-Zeit sind mitnichten nur in politisch sehr rechten Kreisen und mitnichten nur in sehr linken Kreisen zu hören. Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Und ich frage mich: Denken die Menschen eigentlich noch über das nach, was sie von sich geben? Merken sie nicht, wie sie alte antisemitische Vorurteile bedienen wie das der übermächtigen Juden, am besten noch in Bruderschaft mit dem Kapitalismus und den USA – und dann sind wir wieder bei der jüdischen Weltverschwörung. Ist ihnen nicht bewusst, dass sie solche alten Vorurteile benutzen und zugleich noch die Menschen, die wirklich in Ghettos gelitten haben und uns Juden, die durch einen Völkermord fast ausradiert wurden, dass sie uns damit verhöhnen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Sicherheit Israels zum Bestandteil der deutschen Staatsräson erklärt. Es gibt keinen Zweifel, dass die deutsche Bundesregierung fest an der Seite Israels steht. Auch der Bundespräsident hat sich stets eindeutig für Israel positioniert.

Es gibt aber offensichtlich eine Diskrepanz zwischen der Politik und der Bevölkerung. Zu dieser Bevölkerung zählen im Einwanderungsland Deutschland auch die Migranten. Vor allem junge arabischstämmige Menschen sind sehr oft vom Nahostkonflikt beeinflusst. Wenn ihre Eltern bereits ein Flüchtlingsschicksal hinter sich haben oder wenn sie arabische Fernsehsender sehen, dann hegen sie oft eine tiefe Abneigung, ja sogar Hass gegen Israel - und gegen Juden generell.

Diese Haltung dürfen wir nicht tatenlos akzeptieren. In erster Linie ist hier die muslimische Community selbst gefragt. Leitende Persönlichkeiten, Imame und die Verbände müssen es sich zur Aufgabe machen, gegen den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen vorzugehen. Absolut vorbildlich ist zum Beispiel die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die der Zentralrat der Juden dafür 2012 mit dem Paul-Spiegel-Preis ausgezeichnet hat.

Ebenso sind die Schulen und Lehrer gefordert. Es gilt, in unserer Einwanderungsgesellschaft einen Grundkonsens herzustellen. Er muss die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel umfassen. Diese Verantwortung rührt aus der deutschen Geschichte. Daher ist es so wichtig, dass allen Schülern Wissen über den Nationalsozialismus und die Shoa vermittelt wird – egal, ob die Wurzeln der Familie in Bayern, in Sachsen oder in Anatolien liegen. Deshalb plädiere ich für einen verpflichtenden Besuch in einer KZ-Gedenkstätte für alle Schüler ab der neunten Klasse.

Die kulturelle Diversität in den Klassenzimmern ist heutzutage für die Lehrer eine große Herausforderung. Sie brauchen unsere Unterstützung. Vor allem gilt dies derzeit für jüdische Lehrer. Wenn sie so stark von ihren Schülern angefeindet werden, und so wenig vom Kollegium und der Schulleitung unterstützt werden, dass sie Brandbriefe veröffentlichen – dann müssen bei uns die Alarmglocken schrillen!

Angesichts der oft israelfeindlichen Stimmung in der Bevölkerung sind wir alle gefordert. Wir müssen aufklären und gegenhalten. Wir müssen auf unsere Sprache achten. Wir müssen unseren Kindern die besondere Bedeutung Israels erklären. Das gilt übrigens auch innerhalb unserer jüdischen Gemeinschaft. Auch für unsere jungen Leute ist Israel nicht automatisch ein vertrautes Land. Deshalb schicken wir möglichst viele Jugendliche auf Israel-Reisen.

Denn, und das kann ich gar nicht oft genug betonten: Für alle Juden weltweit ist Israel der sichere Hafen. Israel ist unsere Rückversicherung. Niemals werden wir dem jüdischen Staat neutral gegenüberstehen. Die Existenz Israels ist für uns nicht eine Frage der Staatsräson, sondern der Lebensräson. Hätte es 1933 bis 1945 den jüdischen Staat gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, zu dem es gekommen ist.

Meine Damen und Herren, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren nur 20 Jahre vergangen, als Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen. Wohl niemand hier im Publikum kann besser nachfühlen, was dieser Schritt damals bedeutete, als die Shoa-Überlebenden und ehemaligen Leipziger Bürger und ihre Nachkommen, die heute unter uns sind – Ich freue mich ganz besonders, dass Sie hier sind!

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen war an sich schon alles andere als selbstverständlich. Doch dass aus dieser Beziehung auch noch eine Erfolgsgeschichte wurde, ja, eine Freundschaft – das hätte wohl 1965 kaum jemand zu hoffen gewagt.

Allein ein Blick auf die Zahlen ist schon beeindruckend: Es gibt mehr als 100 Partnerschaften zwischen deutschen und israelischen Städten. Seit Bestehen haben insgesamt 700.000 israelische und deutsche Jugendliche an Austauschprogrammen teilgenommen. 2013 besuchten mehr als 250.000 Deutsche Israel.

Und Deutschland erfreut sich in Israel immer größerer Beliebtheit. Immer mehr Israelis lernen Deutsch. Berlin ist hip bei jungen Israelis. Die Zahlen schwanken, aber rund 10.000 Israelis dürften in Berlin leben. Junge Menschen, deren Großeltern sich geschworen haben, nie wieder deutschen Boden zu betreten, kehren zurück zu ihren Wurzeln. Sie wollen die Orte kennenlernen, die ihre Großeltern verlassen mussten.

Und auch die Ansichten über Deutschland sind in Israel deutlich besser als umgekehrt. Die Bertelsmann-Umfrage ergab, dass 68 Prozent der Israelis eine gute Meinung über Deutschland haben, so viele wie nie zuvor. 84 Prozent der befragten Israelis erhofften sich von der deutschen Bundesregierung eine politische Unterstützung im Nahostkonflikt.

Diese Offenheit der jungen Generation in Israel ist für Deutschland eine Riesenchance. Wenn Israelis ausgerechnet für Deutsche die Arme ausbreiten, sollte hier niemand mit verschränkten Armen vor der Brust reagieren. Ich bin zuversichtlich, dass Deutschland auch in den kommenden 50 Jahren gute und enge Beziehungen zu Israel haben wird.

Woher ich diese Zuversicht nehme?

Jedes Jahr, wenn ich am Israel-Tag von den Veranstaltungen und Ständen in ganz Deutschland höre. Wenn ich Menschen treffe, die sich in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft engagieren, bei Aktion Sühnezeichen, in den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Menschen, die Reisen nach Israel organisieren. Die eine Städtepartnerschaft, einen Jugendaustausch oder jüdische Kulturtage vorantreiben. Die eine neue Partnerschaft zwischen einer deutschen und einer israelischen Universität anstoßen. Die jüdische Wochen und einen Israel-Festakt wie hier in Leipzig oder einen Opernball mit Israel als Gastland organisieren.

Diese Menschen machen mir Hoffnung und stimmen mich zuversichtlich. Und deshalb möchte ich zum Schluss ein ganz großes Dankeschön aussprechen an all die Tausenden engagierten Bürger, die sich von aller Kritik an Israel nicht beirren lassen!

Und falls der ein oder andere bzw. die ein oder andere unter Ihnen ist, die sich eingangs gefragt hat, welches Kochbuch ich eigentlich empfohlen hatte, die will ich nicht länger auf die Folter spannen: Es war das Kochbuch von Tom Franz: So schmeckt Israel.

Ich danke Ihnen!

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